Virtual Reality, Augmented Reality und nun auch noch die Extended Reality: Der Trend geht eindeutig zur Flucht in fremde Welten – und zur Verbindung von Wirklichkeit und Fiktion. Auf dem Automarkt legt diesbezüglich insbesondere Audi vor.
Vor zwei Jahren hat Audi den Einzug der Virtual Reality (VR) auf die Rücksitzbänke seiner Modelle angekündigt – nun bringt das Spin-off Holoride die Technik zur Serienreife. Auf einer Roadshow durch Kalifornien hat die Ausgründung des Ingolstädter Autobauers kürzlich einige Produktionsfirmen und Gamestudios besucht, um sie als Partner zu gewinnen. Statt von VR sprechen die Entwickler ab sofort von Extended Reality (XR). Und diese gilt es, durch Kooperationen zu füllen – im Wortlaut des Unternehmens mit „Elastic Content“ zu bestücken, der ein „multimodales Erlebnis“ beschert.
Brille an Bordelektronik
Eins nach dem anderen – Stichwort Nummer eins: die Extended Reality. Auf den ersten Blick ist die Technik längst keinerlei Besonderheit mehr. Vereinfacht gesagt setzen sich die Passagiere im Fond eine handelsübliche VR-Brille auf, um damit in eine andere Realität fernab der Fahrgastzelle und der Umgebung abzutauchen und etwa interaktive Filme oder Videospiele zu erleben. Allerdings dreht Holoride die Möglichkeiten der VR weiter und dockt die Brille an die Bordelektronik an.
In der doppelten Szenerie
Die ausgespielten Inhalte passen sich dadurch in Echtzeit an die Fahrbewegungen an. Kurvt der Audi etwa nach rechts, fliegt auch das Raumschiff aus dem Film in die entsprechende Richtung. Beschleunigt er, legt auch der virtuelle Flugkörper einen Zahn zu. Kurzum, während die VR naturgemäß alles ausblendet, was um die Nutzer herum passiert, vernetzt Holoride die realen mit virtuellen Elementen. Der Passagier sieht also nicht nur Bilder, um mittels Move-Motion-Controller – eine Art Joystick – Einfluss auf die Handlung von Film oder Spiel zu nehmen, sondern er bewegt sich in der doppelten Szenerie. Zur Abgrenzung: Die Augmented Reality (AR) hingegen erweitert die Umgebung um Informationen. Das beste Beispiel dafür sind die Head-up-Displays, die unter anderem Abbiegepfeile und die Geschwindigkeit in die Windschutzscheibe projizieren.
Weniger Reiseübelkeit
Neben der Unterhaltung erfüllt das bewegungssynchronisierte Fahrerlebnis in der XR den Zweck, Reiseübelkeit zu reduzieren. Alle, die an Bord eines Autos etwa schnell unter Kopfschmerzen leiden, weil sie ein Buch lesen oder audiovisuelle Medien auf einem Tablet genießen, könnten damit eine neue Art der Kurzweil für sich entdecken. Die ersten Demofahrten mit Journalisten, möglichen Kooperationspartnern aus Übersee sowie Besuchern der Salzburger Festspiele und der Münchener IAA sind zumindest vielversprechend.
Die gespiegelte Wirklichkeit
Elastic Content steht dabei für eine neu zu schaffende Kategorie medialer Inhalte, die speziell für die Nutzung in fahrenden Autos gemacht ist. „Ob Weltraumabenteuer, das Streamen der neuesten Blockbuster oder eine Lehrfahrt durch eine historische Stadt – den Möglichkeiten sind nahezu keine Grenzen gesetzt“, teilt Holoride mit. Entscheidend ist vor allem der Faktor Interaktivität. Die Mitfahrer sitzen körperlich im Cockpit des Autos, bewegen sich jedoch durch eine ferne Galaxie. Sie bekommen jegliche Bewegungen aus der Realität in die Fantasiewelt gespiegelt, im besten Fall haben sie zudem die Möglichkeit, Einfluss auf dieses multimodale Erlebnis – frei übersetzt: die Vielfalt der Sinneseindrücke – zu nehmen.

Alle mitmachen, bitte! Holoride war auf Partnersuche in Kalifornien. Das Ziel ist eine selbstwachsende Plattform.
Das erste Produkt derartiger Gattung entstand 2019 in Kooperation mit Disney. Auf der Grundlage der „Guardians of the Galaxy“ und des Comic-Helden Rocket Raccoon, allesamt aus der Feder von Marvel, realisierten Audi, die Konzerntochter Electronic Venture und Holoride einen Mix aus interaktivem Film und Computerspiel. So passten sich die Routen der Raumschiffe nicht nur der Fahrt des Autos an. Vielmehr hatten die Passagiere darüber hinaus die Aufgabe, gegnerischen Raumkreuzern, die hinter der einen oder anderen Kurve lauerten, auszuweichen.
Bewährte Toolbox
2022, der ursprüngliche Termin für die Serienreife, sollte weiter zu halten sein. Letztlich hängt der Erfolg jedoch vor allem davon ab, wie viele Produktionsfirmen und Spieleentwickler sich von der Technologie überzeugen lassen. Klar ist: Holoride hat eine selbstwachsende Plattform im Sinn, auf der Content-Kreateure jeglicher Art ihr Können zeigen. Der sogenannte Creator Space setzt auf das dazugehörige Programmierwerkzeug namens Elastic, das wiederum auf der seit 16 Jahren bewährten Entwicklungsumgebung Unity basiert. Auf dem Fundament dieser Toolbox sind bereits zahlreiche Spiele für PC, Smartphone, Tablet und Konsolen wie Nintendo Switch, Sony Playstation oder die Xbox entstanden.
Entspannt lernen und arbeiten
Besonders interessant ist die Technologie von Holoride für die Zukunft des autonomen Fahrens. Denn neben Unterhaltung schafft die XR auch Möglichkeiten des mobilen Lernens und Arbeitens. Und wer sich nicht mehr auf das Fahren konzentrieren muss, kann schließlich entspannt eine Fremdsprache lernen – oder sich auf das nächste Meeting vorbereiten.