- Meisterstück dank Kundenbefragung
- Abschiedsgeschenk eines Designers
- Ein neuer Industriestandard
- Auf der Rallye schreibt er Geschichte
- Dacia oder Clio?
Was will der Kunde eigentlich genau? Diese Frage beschäftigt die Automobilindustrie seit jeher. 1967 jedoch gehen der frisch zum Direktor für Planung und Produkt beförderte Bernard Hanon und Renaults Chefentwickler Yves Georges einen völlig neuen Weg: Sie befragen ihre Zielgruppe. Erstmals bekommen damit potenzielle Käufer eine Stimme. Fünf Jahre später startet mit dem R5 eines der erfolgreichsten Modelle der Franzosen. Alles Gute zum Fünfzigsten!
Ein Revolutionär mit Witz und Charme soll es sein – kurzum ein Auto, das junge Fahrer ebenso anspricht wie die Kleinfamilie, die Freunde des Zweitwagens und vor allem Frauen. Mit diesem Anspruch schickt Pierre Dreyfus, Renaults Vorstandsvorsitzender, seine Entwickler 1967 ins Rennen um die besten Pläne für den R5. Dass er damit komplett den Geist der Zeit trifft, gehört längst zur Allgemeinbildung der automobilen Fangemeinde.
Meisterstück dank Kundenbefragung
Designchef Gaston Juchet muss nicht lange überlegen. Sein jüngster Mitarbeiter, Michel Boué bekommt den Zuschlag, den Neuling federführend zu zeichnen. Das Novum namens Befragung von Verbrauchern macht klare Vorgaben – bereits mit seinem zweiten Entwurf liefert Boué ab. Lediglich wenige Retuschen sind nötig, um Projekt 122 zum Erfolgsmodell zu machen.

Einer für Kitesurfer: der Renault 5, besser bekannt als R5.
Für den deutschen Markt ziehen die Franzosen den Start des R5 sogar um ein halbes Jahr vor. Die in der Bewertung ausländischer Fahrzeuge traditionell zurückhaltende Presse feiert den Pkw hier schließlich schon lange vorher als „Raumwunder” („Deutsche Automobilrevue“) und „Wagen der Zukunft” („Frankfurter Rundschau“). Was Raumnutzung, Kapazität sowie Agilität angeht, sei er „unter Europas Kleinwagen zweifellos der größte“ („Auto, Motor und Sport“).
Abschiedsgeschenk eines Designers
Von 1972 bis 1994 findet der „kleine Freund“ – so stellt das Unternehmen den Fünfer in der Werbekampagne vor – mehr als neun Millionen Käufer. Für Designer Boué, der diesen Erfolg nicht mehr miterlebt (er stirbt 1971 an Krebs) liegt das in erster Linie an einem Faktor: Seine Kreation sei eben ein Auto, das soziale Grenzen überschreite. „Treffen sich die Frau von Welt, der Arzt und der Arbeiter mit ihm vor einer roten Ampel“, sagte er kurz vor seinem Tod, „fühlen sich alle gleichermaßen wohl.“

Anschnallen, bitte! 34 Pferdestärken, das war damals viel. Für den deutschen Markt gab’s sogar 36 PS.
Um den Wagen auch für den Fahranfänger attraktiv zu machen, ist die Verwandtschaft zum damals bereits bewährten Renault 4 (1961 bis 1994) ausdrücklich erwünscht – das senkt die Kosten und steigert Zuverlässigkeit wie Sicherheit. So verfügt jeder R5 über Einzelradaufhängungen mit Torsionsstäben. Die legendäre Revolverschaltung stammt ebenfalls von seinen Schwestern in Technik und Esprit. Der dringlichste Wunsch von Konzernchef Dreyfus jedoch ist eine ähnlich große Klappe. Diesmal deutlich schräger abfallend, ermöglicht das Heck ein bequemes Be- und Entladen. Die Rückbank umgelegt, fasst der Laderaum stattliche 900 Liter.
Ein neuer Industriestandard
Die keineswegs minder futuristisch wirkenden, schmalen und hochkant angebrachten Rückleuchten runden den modernen und jugendlichen Auftritt ab. So markiert das Fahrzeug in Sachen Design und Flexibilität den Beginn dessen, was heutzutage unter dem Label Kompaktklasse zu haben ist. Nebenbei setzen die großflächig bemessenen Stoßfänger aus Kunststoff einen vollkommen neuen Industriestandard. Der Vorteil der Schutzflächen: Sie sind unempfindlicher und lassen sich kostengünstiger tauschen.

Heads-up: Eher Faltdach oder doch lieber klassisch? Falls sich Letzteres von diesem Auto überhaupt behaupten lässt.
Die Scheinwerfer – gänzlich auf Kindchenschema getrimmt – wecken derweil unverzüglich die Sympathien. Zudem ist der kleine Gallier kinderleicht einzuparken und um nahezu jede Biegung zu zirkeln. Der mit einem Wert von 8,6 Metern amtierende Wendekreismeister Twingo (Vorgänger war der von 2009 bis 2014 gebaute Toyota IQ mit 8,4 Metern) ist nur geringfügig flinker. Damals jedenfalls sind die 9,8 Meter des 3,51 Meter kurzen R5 wegweisend.
Auf der Rallye schreibt er Geschichte
Insbesondere die Vielseitigkeit macht den R5 letztlich so beliebt. Das gilt auch für die Motoren. Der Renault debütiert als 5L mit einem aus dem R4 bekannten Vierzylinder, der aus 782 Kubikzentimetern Hubraum 25 Kilowatt (34 PS) Leistung schöpft – die Palette ist jedoch breit gefächert. Den Deutschen etwa servieren die Entwickler direkt ein moderneres Aggregat mit 26 Kilowatt (36 PS) und 845 Kubikzentimetern. Von 1975 an erzeugt der aufgebohrte Alpine (68 Kilowatt / 93 PS, in der Spitze 173 Kilometer pro Stunde) auch bei ambitionierteren Fahrern wildes Herzklopfen.

Der jüngste Designer Michel Boué bei der Arbeit. Seinen Erfolg erlebt er nicht mehr. Kurz bevor der R5 die Welt erobert, stirbt er.
Die Geschichtsschreibung verortet den R5 am liebsten auf den Rallye-Pisten dieser Welt. Mit üppig aufgemotzten Boliden von mehr als 300 Kilowatt (400 PS) erringt Renault über die Jahre zahlreiche Siege, unter anderem in Monte Carlo und bei der Tour de Corse. Dank Fahrertypen wie Harald Grohs, Peter Oberndorfer, Christian Danner, Joachim Winkelhock oder Volker Strycek bleiben die Pokalschlachten bis heute in bester Erinnerung.
Dacia oder Clio?
Wer heutzutage nach einem wie dem R5 sucht, den bedient Renault weiterhin bestens. Vier Jahre rollten die beiden parallel als Neuwagen vom Band, dann übernahm 1994 der Clio das Zepter der Kompakten. Wer es günstiger mag, greift zum Sandero der Budgetmarke Dacia.

Wie im Kinosessel: Besser lässt sich kaum fahren. Die Pärchen nehmen hinten Platz.