Durch die Geburt eines Kindes verändert sich der Alltag eines Paares schlagartig. Und das Leben mit einem körperlich, geistig oder psychisch beeinträchtigten Kind stellt für Eltern eine besondere Herausforderung dar. Ihr Alltag wird von Sorgen, viel Aufwand für die Korrespondenz mit Ämtern, Pflege- oder und Krankenkasse und der Organisation von Arztterminen bestimmt. Eine so hohe psychische Belastung und zudem vielfach körperliche Anstrengung kann die Paarbeziehung vor eine Zerreißprobe stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, bietet die Lebenshilfe Bremen betroffenen Eltern eine Beratung an.
"Wir hatten nicht so richtig Streitpunkte", sagt eine Neustädter Mutter eines körperlich gehandicapten Jungen, die ihren Namen nicht öffentlich machen möchte. "Aber irgendwann waren wir an einem Punkt, wo wir als Paar gar keine Zeit mehr für uns hatten und als Paar gar nicht mehr richtig stattgefunden haben", berichtet die 39-Jährige. Zu wenig Zeit zum Reden hat auch Christina Harms bewogen, die Beratungsstelle zu besuchen. Ihr Mann und sie hätten schon vorher "Dinge im Kopf" gehabt, die jeder loswerden wollte, gesteht sie ganz offen. Weil jeder sich in seine Position hineingesteigert hatte, konnten sie das aber nicht miteinander besprechen. Als bei ihrem zweijährigen Sohn vor einem Jahr Diabetes und Zöliakie diagnostiziert wurden, setzte das Paar den Vorsatz um, eine Paarberatung zu machen. "Der Druck von außen ist noch größer geworden", sagt Christina Harms.
Anfängliche Zurückhaltung kennt auch die Neustädter Mutter des zweieinhalbjährigen Kindes. "Aber wir haben zunächst nicht das Gefühl gehabt, Unterstützung von außen zu benötigen. Das hätte für uns zuerst ja wieder einen zusätzlichen Termin bedeutet", sagt die 39-Jährige, die wie Christina Harms durch die Frühförderung der Lebenshilfe von dem neuen Angebot erfahren hat. Doch nachdem sie sich die Website angeschaut hatte, wollte das Ehepaar die Beratung als Chance nutzen, um einer Krise vorzubeugen: "Im Alltag hatten wir gar keinen Raum, um etwas in Ruhe zu besprechen."
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Die neutrale Gesprächsleitung und zielführenden Fragen ihrer empathischen und zeitlich flexiblen Beraterin betrachtet die 39-Jährige als wertvolle "Zeit für uns". Schon in der ersten Stunde sei durch die professionelle Moderation herausgearbeitet worden, wo Zeitfresser und Entlastungsmöglichkeiten lägen und was umorganisiert werden könnte. "Wir konnten das dann gut besprechen und haben eine Lösung gefunden", schildert es die Neustädterin. Nun hätten sie sich einen Babysitter organisiert, ihr Sohn käme bald in die Krippe und sie hätten sich überwunden, Freunde zu bitten, für ein paar Stunden auf ihren Sohn aufzupassen. Jetzt könnten sie sich einmal im Monat für ein "Date" verabreden, erzählt sie und wirkt zufrieden.
Die professionelle Gesprächsleitung ihrer empathischen, freundlichen und zeitlich flexiblen Beraterin und ihre zielführenden Fragen hätten ihnen einen Perspektivwechsel ermöglicht: "Das ist eigentlich immer eine gute Zeit, um als Paar wieder ins Gespräch zu kommen", so ihr Fazit. Dem kann sich Christina Harms nach acht Sitzungen nur anschließen. "Wir haben uns dort immer wohlgefühlt und sind deutlich entspannter geworden", so die Viertelbewohnerin. "Es hat sich schon viel getan", stellt sie freudig fest. Sie und ihr Mann kämen öfter und besser miteinander ins Gespräch.
Sie müssten nicht nur den Alltag mit zeitraubenden Aufgaben bewältigen, spricht die Neustädterin noch eine andere Tatsache an: Akzeptieren zu lernen, dass sie ein Kind mit Behinderung haben und sich von einem vor der Geburt gemachten Bild ihres Kindes verabschieden müssen. Dieser Prozess der Verarbeitung sei bei ihr und ihrem Mann unterschiedlich lang gewesen, was ihnen erst im Laufe der bisher fünf Beratungen bewusst geworden sei.
Bis zu zehn Sitzungen kann Julia Mandos, Leiterin der Lebenshilfe-Paarberatung, Eltern beeinträchtigter Kinder zum Nulltarif anbieten. Denn das im April 2022 in der Kornstraße 20 eingerichtete neue Angebot zur Stärkung der Paarbeziehung wird fünf Jahre lang von der Aktion Mensch finanziert. Die Sozialpädagogin und Therapeutin erklärt, dass manche Paare bereits bei der vorgeburtlichen Diagnose Unterstützungsbedarf haben. Andere Eltern beeinträchtigter Kinder wiederum benötigen externe Hilfe erst, wenn der Wechsel von der Kita in die Schule oder der Auszug aus dem Elternhaus zur Belastungsprobe wird.
„Wir verstehen uns als Wegbegleiterinnen", sagt Soziologin Sandra Siewert. Die Grundlage der Beratung liegt auf der Suche nach hilfreichen Strategien und Lösungen für aktuell belastende Situationen. Somit schlüpfen die Paare gemeinsam in die Experten-Rolle, während die systemischen Beraterinnen ihnen mit ihrem Fachwissen beratend zur Seite stehen. „Gleichzeitig zeigen wir Eltern, welche Unterstützungsmöglichkeiten aus unserem professionellen Helfernetzwerk ihnen weitere Entlastung bieten können", unterstreicht Siewert.