Um das Haus in der Donaustraße 101 ranken sich ein paar wilde Geschichten. Eine besagt, dass Thomas Schaaf mal als Kind hier gelebt habe. Allerdings, so sagt es zumindest Wikipedia, ist er quasi gleichzeitig am Brommy-Platz aufgewachsen. Nun denn, eigentlich ist es auch egal, weil es mir – wie könnte es anders sein – mal wieder nur ums Essen geht. Dass man im „Flüsseviertel“ Werder-Heimspiele auf der Leinwand gucken kann, ist für mich dementsprechend nebensächlich. Im Gegenteil: Ich empfehle jedem, hier sein Augenmerk auf die Teller zu lenken.
Als Sultan Yildiz gemeinsam mit ihrem Mann das Restaurant übernahm, wurde vornehmlich mediterran gekocht. „Unser deutscher Koch hatte dann die Idee, Tellergerichte als Tapas anzubieten“, sagt die Restaurantleiterin bescheiden. Sultan Yildiz ist zurückhaltend: „Nicht ich bin hier wichtig, sondern das Essen.“ Aber ohne sie gäbe es weder den Namen „Flüsseviertel“ noch das Restaurant. Dennoch folge ich ihrem Rat und beschäftige mich mit der Speisekarte und den darin angebotenen Tapas. Vegetarische und Dessert-Tapas kosten 5,90 Euro, alle anderen 6,90 Euro.
Strenggenommen ist Tapas die denkbar schlechteste Vokabel, um das zu beschreiben, was es im Flüsseviertel zu essen gibt. Was vor mir auf dem Tisch steht, sind Tellergerichte im Miniformat. Natürlich habe ich beim ersten Blick in die Karte Sultan Yildiz gefragt, wie viele man denn so bestellen solle – und ich kann nur empfehlen, mit viel Hunger zu kommen. Die Auswahl ist wirklich verlockend und es ist nicht leicht, sich zu entscheiden.
Meine Wahl fällt auf Labskaus, marinierte argentinische Rotschalen Garnelen auf breiten Bandnudeln mit einer scharfen Olivensoße, Iberico Schweinebacke in Portweinsoße mit Schokolade, karamellisierten Möhren und Kartoffelstampf, norwegischen Lachs im Kaffee-Pfeffer gebraten, Duftreis mit Sesam und Lauch und Bernaise sowie die vegetarische Version des Kürbis-Ragout mit Steckrüben, Möhren, Grießnockerln, Curry und Sahne.
Als die ersten „Tapas“ serviert werden, zücke ich mein Handy: Diese liebevolle Arbeit muss ich einfach fotografieren. „Das machen fast alles Gäste“, sagt Sultan Yildiz lachend.
Wenn auf der Karte „Labskaus mit allem Drum und Dran“ steht, dann ist das ernst gemeint. Auf einem Teller, der vielleicht einen Durchmesser von zwölf Zentimetern hat, finden Labskaus, Hering, rote Bete, Senfgurken und Spiegelei Platz. Das sieht super aus und schmeckt auch so. Die Bandnudeln sind al dente, die Soße der Schweinebacke köstlich, den Kaffee beim Lachs schmecke ich nicht heraus, dafür kann ich die ehemalige Anwohnerin verstehen, die sich nur schweren Herzens von der Nähe zum Kürbis-Ragout trennen konnte.
Für alle diese kleinen Gedichte ist Jogi Behrens verantwortlich. „Seit meinem siebten Lebensjahr koche ich“, sagt er, „und für gute Soßen könnte ich sterben.“ Was man schmeckt. Der erste Löffel des Desserts, Erdbeer-Mascarpone-Creme, katapultiert mich in meine Kindheit: deutlich schmecke ich die Süße von Milchmädchen. „Ich habe halt vieles von meiner Oma gelernt“, sagt Jogi Behrens.
Das sagen die Stammgäste: Bei meinem Besuch habe ich keine Stammgäste getroffen, aber die beiden Neulinge am Nebentisch könnten bald welche werden. Schließlich fragten sie, ob sie gleich einziehen dürften. Die beiden hatten sich für Spargel als „echte“ Portion entschieden und waren sich einig: „Genau richtig!“ Ich habe es nicht erlebt, aber es könnte sein, dass man – je nach Andrang und Hunger – ein bisschen Geduld mitbringen sollte. Denn jeder Teller ist ein Hingucker.
Restaurant Flüsseviertel, Donaustraße 101, 28199 Bremen, Telefon 0421-43300554, www.restaurant-flusseviertel.de, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 17.30 bis 23 Uhr, Küche bis 21 Uhr.