Wer wissen möchte, wie es in Gastroküchen hinter verschlossenen Türen aussieht, muss ins Vegesacker Restaurant „La Prima Casa“. Denn hier gibt es keine. Dafür findet man eine offene Küche und einen Mann, der alleine einen ganzen Laden schmeißt. Es ist Mittwoch, das Lokal ist proppenvoll und Chefkoch Denis Lanz hat alle Hände voll zu tun.
Er füllt Saucen nach, dreht sich zum brutzelnden Rinderfilet am Herd um, prüft, dass die Pasta nicht überkocht, schaut mit einem Auge, ob der hintere Vierertisch glücklich ist, derweil er Lauchzwiebeln in feine Ringe schneidet und sich immer wieder die Schweißperlen vom Gesicht wischt. Ich genieße es in vollen Zügen, diesen usbekischen Sisyphos bei der Arbeit zu beobachten.
„Magst du Chili?“, ruft er endlich, als er Zeit für meine Vorspeise findet. „Natürlich“, erwidere ich und freue mich auf den Starter: Agnolotti. Ein Wochengericht, hinter dem sich mit Sepia geschwärzte, mit getrüffeltem Kartoffelpüree gefüllte Ravioli verbergen. Dazu gibt es ein Oktopus-Ragout mit Pfifferlingen, Lauchzwiebeln, Chili und Kirschtomaten. „Geschmacklich harmoniert alles sehr gut miteinander. Man schmeckt die Röstaromen vom Oktopus“, lobt der 33-Jährige einerseits. Zugleich räumt er ein, dass die Pfifferlinge und das Gericht nicht unbedingt harmonieren. In beiden Fällen bin ich bei ihm. Guter Beginn.
Probiert und empfohlen: Als Nächstes steht mit der Spianata Romana (18 Euro) Lanz’ Lieblingspizza an. Während ich ihn von meinem Platz beim Ausrollen des Teiges beobachte, macht der Bäcker auf die Besonderheit seiner Hauskreation aufmerksam: „Unsere Pizza ist sehr dünn und wie ein Snack. Was Leichtes“, ruft er über die Theke.
Auf den ersten Blick hat sie alles, was man sich nur wünschen kann. Einen erstklassig knusprigen Boden, herzhafte Salami, Zwiebeln, frischen Blattspinat, eine würzige Tomatensauce und diesen Geniestreich von marinierten Tomatenwürfeln, die Frische und Kick geben. Alles ist für den Gaumenschmaus angerichtet.
Siegesgewiss stürme ich in den Sechzehner des Glücks, als ich plötzlich von dieser unerwarteten, fiesen Grätsche des Norditalieners namens Gorgonzola umgehauen werde. „Ich finde, das gibt Würze und ergänzt das Pikante der Romana perfekt“, verteidigt der Geschmacksstratege, was nach objektiven Kriterien gewiss als pfiffiger Schachzug anerkannt werden könnte. Nach persönlichem Urteil gehört Gorgonzola allerdings von jedem Pizzakader verbannt, solange es hochkarätige Besetzungen wie Mozzarella, Burrata, oder Fior di Latte gibt.
Obwohl wir schon einmal Nudeln hatten, wäre es irgendwie verwerflich gewesen, nicht noch einmal den absoluten Klassiker des Hauses probiert zu haben: Spaghetti. Darum wählen wir zum Abschluss die Variante Scampi mit Tomatenwürfeln, Zwiebeln, frischem Chili und Black-Tiger Garnelen in pikanter Tomatensauce (19 Euro). Die Portion ist groß und die Speise ansehnlich auf einem schwarzen Teller dekoriert – vorausgesetzt, man sieht von den sonderbar wie Sushi-Stäbchen reingebohrten Grissini ab.
„Die Spaghetti sind bei uns dicker als man sonst kennt“, verweist Lanz auf das, was beim Betrachten des Gerichtes sofort ins Auge springt. Und bei mir direkt eine Befürchtung aufkeimen lässt. Ich wünschte, es wäre hinterher anders gekommen, aber leider findet sich auch hier wieder die Bestätigung, dass dicke Pasta und leichtes Protein nicht funktionieren. So wie Tagliatelle nur von einem kräftigen Fleischragout getragen werden kann, harmonieren Meeresfrüchte nur mit Leichtgewichten wie Spaghettini.
Weder die reichlich vorhandene, fruchtige Tomatensauce, noch die ordentlichen Garnelen oder sonst ein schöner Zwischenakt können die unvermeidliche Tragik abwenden: die Spaghetti sind zu dominant. „Klar könnte man sie dünner machen“, erklärt Lanz. „Aber wir wollen das als Erkennungsmerkmal behalten.“ In bester Absicht kann ich hier nur noch auf den berühmten Designleitspruch verweisen: Die Form folgt der Funktion.