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"Flüssiges Gold" So profitieren Frühgeborene in Bremen von gespendeter Muttermilch

Thea ist vier Monate zu früh zur Welt gekommen. Zur Überbrückung hat sie zunächst gespendete Muttermilch bekommen – "flüssiges Gold", wie der Arzt Thorsten Körner von Bremens einziger Frauenmilchbank sagt.
08.09.2024, 05:00 Uhr
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So profitieren Frühgeborene in Bremen von gespendeter Muttermilch
Von Sabine Doll
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Thea räkelt sich in ihrem Wärmebettchen. Seit Kurzem trägt sie eigene Sachen, die ihre Eltern von zu Hause mitgebracht haben. An diesem Tag ein Baumwollshirt, auf dem winzige Hühner und Enten abgebildet sind. Thea streckt die Arme seitlich am Kopf nach oben, ganz entspannt, wie nach einem ausgiebigen Schläfchen. "Diese Haltung zeigt: Es geht mir gut, ich bin zufrieden", sagt Thorsten Körner. Der Leiter der Klinik für Neonatologie im Klinikum Bremen-Mitte kennt Thea seit ihrer Geburt.

Am 22. Juni ist sie zur Welt gekommen, gut vier Monate zu früh. Das Geburtsgewicht: 630 Gramm. "Wir waren drei Tage in der Klinik, als es losging", erzählt Theas Mutter. Bei einer Geburt vor der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche spricht man von extrem Frühgeborenen.

Thea hat sich gut entwickelt. "Sie ist schon auf der Zielgeraden", sagt Körner. Die Intensivstation konnte sie verlassen und ist laut dem Arzt nur noch auf die niedrigste Stufe der Atemhilfe angewiesen. "Wir können sie zum Kuscheln aus dem Bettchen nehmen", sagt Theas Mutter. "Und sie kann mittlerweile an die Brust angelegt werden."

Wenn Kinder viel zu früh zur Welt kommen, ist es für die Mütter häufig nicht gleich möglich, selbst zu stillen. Gemeinsam mit der Oberärztin Birte Tröger hat der Klinikleiter vor drei Jahren Bremens einzige sogenannte Frauenmilchbank gegründet, die sich am Klinikum Mitte befindet. Auch Thea hat zur Überbrückung davon profitiert.

Wie funktioniert eine Frauenmilchbank?

Dabei handelt es sich um eine Einrichtung, die gespendete Muttermilch sammelt, lagert, aufarbeitet und schließlich an Kinder abgibt. "Das sind in der Regel sehr kleine Frühgeborene, deren Mütter noch nicht genug eigene Muttermilch zur Verfügung haben", erklärt Oberärztin Tröger. Auch kranke Neugeborene können damit versorgt werden. "Unser Ziel ist, dass alle Neugeborenen ausschließlich mit der eigenen Muttermilch versorgt werden. Wenn das nicht möglich ist, als Überbrückung mit Frauenmilch – also gespendeter Muttermilch", so Tröger.

Es gibt auch Ersatznahrung – warum ist Muttermilch besser?

Wissenschaftlich belegt ist laut Körner, dass Muttermilch die beste Ernährung ist – gerade auch für Frühgeborene. "Sie ist nicht nur besser verträglich, Muttermilch ist wie ein Medikament für die Kinder – flüssiges Gold."

Laut Tröger enthält Muttermilch viele Stoffe, die für das Immunsystem wichtig sind. Die Kinder seien besser vor Infektionen und chronischen Lungenerkrankungen geschützt. Besonders gefürchtet, vor allem bei Frühgeborenen, ist eine entzündliche und lebensbedrohliche Darmerkrankung (nekrotisierende Enterokolitis). Eine Ernährung mit Muttermilch könne das Risiko erheblich senken. "Muttermilch hat viele positive Effekte, auch für die kognitive Entwicklung", betont die Oberärztin. Die Kinder seien im Laufe ihres Lebens zudem weniger anfällig für verschiedene Krankheiten wie Diabetes und Allergien. "Bei uns bekommt nahezu kein Frühchen mehr Ersatznahrung."

Woher kommt die gespendete Muttermilch?

Die Bremer Einrichtung arbeitet nach dem Prinzip der internen Frauenmilchspende. Das heißt: Spenderinnen sind Mütter von Frühgeborenen, die ebenfalls im Klinikum Mitte entbunden haben. Priorität habe immer das eigene Kind. "Aber wenn Mutter und Kind entlassen werden und die Frauen selbst ausreichend Milch haben, fragen wir, ob sie ihre überschüssigen, abgepumpten Vorräte, die im Kühlschrank lagern, spenden möchten", erklärt Körner. "Zustimmung ist die Voraussetzung, das gilt auch für die Empfänger-Eltern." Wichtig dabei: Die jeweiligen Namen bleiben aus Datenschutzgründen anonym. Und: Ein Kind bekomme immer nur Milch von einer Spenderin. Jede Spende wird laut Körner auf Keime, bestimmte Enzyme sowie Krankheitserreger untersucht, um gesundheitliche Risiken auszuschließen.

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Wie lange bekommen Frühgeborene diese Überbrückung?

"In der Regel sind es nur einige Tage", sagt Körner. "In den vergangenen sechs Monaten wurden 13 Kinder mit Frauenmilch versorgt, acht von ihnen waren weniger als sieben Tage bedürftig. Im längsten Fall waren es 16 Tage."

Wenn Muttermilch – wissenschaftlich belegt – die beste Ernährung für Frühgeborene ist: Übernehmen die Krankenkassen die Finanzierung von Frauenmilchbanken?

"Bislang leider nicht", sagt Körner. "Die Versorgung Frühgeborener mit gespendeter Muttermilch ist derzeit nicht gesondert im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten." Aus diesem Grund seien es oft Einzelinitiativen an Kliniken. Der Bremer Klinikleiter ist einer der Mitbegründer der bundesweiten Frauenmilchbank-Initiative, etwa 50 solcher Einrichtungen gibt es demnach an deutschen Kliniken. "Wir setzen uns dafür ein, dass alle Frühgeborenen, deren Mütter ihnen keine eigene Milch geben können, Zugang zu Spendermilch aus einer Frauenmilchbank erhalten", heißt es auf der Homepage der Initiative.

Theas Eltern unterstützen diesen Vorstoß: "Wir sind glücklich, dass wir davon profitieren konnten", sagt die Mutter. "Selbstverständlich haben wir gleich zugestimmt und das Angebot angenommen."

Wie wird die Frauenmilchbank in Bremen finanziert?

"Die komplette Finanzierung wird seit dem Jahr 2022 vom Gesundheitsressort getragen", teilt die Sprecherin der Behörde, Kristin Viezens, mit. "Dafür stehen in diesem Jahr Mittel in Höhe von 64.800 Euro zur Verfügung." Senatorin Claudia Bernhard (Linke) setze sich auch für eine Finanzierung im kommenden Jahr ein, die Möglichkeiten würden derzeit geprüft.

Bernhard verweist auf die allgemein bekannten Vorzüge von Muttermilch, und Frühgeborene profitierten besonders davon. "Mit der Frauenmilchbank verhelfen wir nicht nur Frühchen zu einem besseren Start ins Leben, wir unterstützen auch die Mütter in dieser für sie so belastenden Situation", betont die Senatorin gegenüber dem WESER-KURIER. Sie könnten sich von der Geburt erholen, mithilfe von Stillberaterinnen langsam den Stillprozess in Gang bringen und schließlich nach einem kräftezehrenden Klinikaufenthalt mit ihren Kindern vollstillend nach Hause entlassen werden.

Unterstützt Bremens Gesundheitssenatorin die Forderung, dass die Krankenkassen die Finanzierung übernehmen?

"Ja, wir streben eine Kassenfinanzierung an", betont Bernhards Sprecherin. "Aktuell warten wir auf die Auswertung einer gerade beendeten Langzeitstudie. Deren Ergebnisse sollen die gewünschte Regelfinanzierung begründen und realisieren."

Die Frauenmilchbank an der Berliner Charité versorgt auch Frühgeborene in anderen Häusern. Dies sei auch für die Bremer Einrichtung am Klinikum Mitte eine Option: "Die Frauenmilch soll im besten Fall auch Frühgeborenen in anderen Häusern zur Verfügung gestellt werden können", so Behördensprecherin Viezens. Dies erfordere aber mehr personelle Kapazitäten, für die es aktuell keine finanziellen Mittel gebe.

Wie geht es für Thea weiter?

Theas Eltern können die Tage fast schon abzählen, wann sie ihre Tochter endlich mit nach Hause nehmen können: "Das wird etwa Ende September, Anfang Oktober sein", sagt Körner. "Entscheidend ist, dass Frühgeborene die nötige Reife haben, das ist etwa ab der 35. Woche der Fall."

Thea hat den Zipfel an der Mütze ihres Kuschelpüppchens mit den Fingern umschlossen. "Die Puppe hat sie von ihrer Cousine bekommen", erzählt die Mutter. "Das ist ganz süß, denn ihre Cousine hat dieses Püppchen auch. Und sie hat ihr Exemplar Thea genannt."

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