Nach der Explosion einer Verbrennungsanlage in Ritterhude, die am Dienstagsabend in der gesamten Region zu hören war und schwere Schäden hinterlassen hat, kommen die Behörden in Erklärungsnot. Trotz jahrelanger Proteste der Anwohner ist offenbar nicht genug unternommen worden, um die Anlage, in der giftige und hochbrennbare Stoffe verarbeitet wurden, an einen anderen Ort zu verlegen.
Ein Trümmerfeld: Bis zu 40 Häuser, die zum Teil so schwer beschädigt sind, dass sie nicht mehr bewohnt werden können. Die Explosion in einer Verbrennungsanlage in Ritterhude hatte eine solche Wucht, dass sie am Dienstagabend bis nach Bremen und Delmenhorst zu hören war. Ein Mitarbeiter des Unternehmens Organo-Fluid, das die Anlage betrieben hat, wurde bei dem Unglück lebensgefährlich verletzt. Unter den Anwohnern der Anlage, die inmitten einer Siedlung liegt, gab es wie durch ein Wunder nur leichte Verletzungen. Die Sachschäden gehen nach ersten Schätzungen in die Millionen.
Als es gegen halb neun am Abend in Ritterhude den großen Knall gab, ging es den Bewohnern im weiten Umfeld durch Mark und Bein. „Eine unglaubliche Erschütterung“, schildert Tobias Dohr den kurzen Moment. Der 37-Jährige wohnt mit seiner Familie rund zwei Kilometer vom Explosionsort entfernt. „Mein erster Gedanke war, dass ein Flugzeug abgestürzt ist.“ Es sei gespenstisch gewesen, „wie ein Kriegs-Szenario“.
Eine andere Anwohnerin, die nur wenige Hundert Meter von der Fabrik entfernt lebt, berichtet von einer enormen Druckwelle. „Es sah aus, als ob sich die gesamte Fensterfront ins Haus hinein wölbt“, sagt Elisabeth List. Sie sei sofort hinaus in den Garten und habe das Feuer gesehen und die Rauchwolken. Nachbarn hätten ihre Kinder in Sicherheit gebracht – aus Sorge, dass mit den Wolken auch Gift heranweht. „Uns war ja schnell klar, was da in die Luft geflogen ist.“
Die Feuerwehr hat bei ihren Messungen an der Unglücksstelle nach eigenen Angaben keine besorgniserregenden Werte festgestellt. Grund dafür könnte gewesen sein, dass es relativ windstill war. Die Rauchwolken seien steil zum Himmel hoch gezogen, so ein Sprecher.
Rund 200 Feuerwehrleute und 150 weitere Helfer waren während der Nacht im Einsatz. Bewohner, die nicht in ihre Häuser zurück durften, weil sie zu stark beschädigt waren, verbrachten die Zeit teilweise in einer Notunterkunft. Am Morgen prüften Fachleute die Statik und gaben einige der Häuser wieder frei.
Ritterhudes Bürgermeisterin Susanne Geils (SPD) vermutet, dass es in einzelnen Fällen mehrere Monate dauern dürfte, bis die Anwohner in ihre beschädigten Gebäude zurückkehren können. „Wir sondieren gerade, wie groß das Ausmaß der Schäden ist.“ Geils sprach von einer Welle der Hilfsbereitschaft: „Es gab unglaublich viele Menschen, die Unterkünfte angeboten haben – wir haben lange Adressenlisten.“
Die Bürgermeisterin betonte am Tag nach dem Unglück, dass die Gemeinde in der Vergangenheit alles versucht habe, um Organo-Fluid aus dem Wohngebiet heraus zu bekommen. „Die Firma gehört in ein Industriegebiet.“ Eigentlich hätte man versuchen sollen, sie zwangsweise umzusiedeln. Doch solange ein Betrieb alle Auflagen erfülle, sei das nicht möglich.
Eine Anwohnerinitiative, die seit Jahren dafür kämpft, dass die Verbrennungsanlage aus ihrer Siedlung verschwindet, beurteilt das Verhalten der Behörden anders: „Wir haben gegen Windmühlen gekämpft“, sagt Uwe Vanester. Erst vor einer Wochen seien sie bei der Bürgermeisterin gewesen und hätten sich noch einmal über Organo-Fluid beschwert.
Vanester besitzt ein Haus in unmittelbarer Nähe zum Werksgelände. „Meine Frau und ich lagen schon im Bett, als es passierte. Das war unser Glück, sonst hätte es übel ausgesehen“, erzählt der 49-Jährige. Fast alle Fenster und Türen seien aus ihren Fassungen geflogen, im Wohnzimmer sei die gesamte Glasfront ins Haus gebrochen.
Von Organo-Fluid war am Mittwoch keine Stellungnahme zu bekommen. Das Unternehmen kümmert sich nach eigener Beschreibung unter anderem um die „Verwertung und Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle“.