Die Lilienthalerin Friederike Heidrich verbrachte nach dem Abitur ein Jahr in Südafrika. Sie bereiste das Land und arbeitete in einem Kinderheim.
Winzige Glasperlen, zu Tropfen aufgefädelt, schaukeln an Friederike Heidrichs Ohren. Andere Perlen schmücken als Ketten und Armbänder Hals und Handgelenk. Sie stammen aus Südafrika. Dort, in East London, lebte und arbeitete die 19-Jährige ein Jahr, und sie trägt Südafrika nach ihrer Rückkehr nicht nur auf der Haut. Menschen und Land leben in ihrem Herzen weiter. Das wird offenbar, wenn sie von ihrer Zeit in abgelegenen Xhosa-Dörfern und von der Arbeit im Kinderheim erzählt. Das Heim gehört zum East London Child and Youth Care Centre in Südafrika, und dessen Generaldirektor Stuart Ralph besucht Lilienthal am Donnerstag, 18. September. Im Gemeindesaal der Klosterkirche wird er über „Das Leben südafrikanischer Kinder und Jugendlicher“ berichten.
Gerade 18 Jahre alt geworden, flog Friederike Heidrich nach dem Abitur für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) nach Südafrika. Der Kontinent mit seinen Kulturen und der berauschenden Landschaft faszinierte sie schon früh. Doch als Kind hielt sie ihn für einen „kleinen utopischen Traum“. Dass sie je „einfach so hingehen“ könnte, das konnte sie sich nicht vorstellen, bis sie eine junge Erwachsene wurde. Heidrich hörte vom Freiwilligen-Jahr in Afrika und nach dem eigenen kam sie „als ein anderer Mensch zurück“.
Anti Rika – Tante Rika
„Ich bin viel dankbarer für alles, was ich hier genießen darf“, sagt Friederike Heidrich im elterlichen Wohnzimmer. Ein bequemes Sofa. Auf dem Tisch Saft und Tee. So viel Luxus hatten sie im zurückliegenden Jahr nicht. Da lebte sie in der südafrikanischen Stadt East London auf dem Campus eines Kinderheimes. Sie redet über das „einfache Essen im Vergleich zu hier“, über Wasserknappheit und den „eigenen Tiergarten“ aus Kakerlaken und Schlangen und über die Angst vor nächtlichen Einbrechern. Einmal nahmen diese auch Heidrichs Laptop mit und darauf viele, viele Bilder aus den ersten Monaten in Afrika. Nicht nehmen konnten sie Friederike Heidrichs Erinnerungen, wie die an das einmalig rote Licht, den Geruch der Gewürze beim Kochen oder wie die Kinder im Heim sie lachend umarmten und sie „Anti Rika“ riefen, Tante Rika.
Bevor Friederike Heidrich nach Südafrika reiste, hatte sie von der Gastfreundschaft im Lande gehört. Was sie anfangs erlebte, fühlte sich anders an. Die Kollegen im Kinderheim begegneten den drei jungen deutschen FSJ-lern „so schüchtern, dass es fast eine Behinderung war“, erzählt sie. Später begriff Heidrich den Grund: „Die Südafrikaner wissen, dass die Freiwilligen schon wieder gehen, wenn man anfängt, sie zu mögen.“ Die junge Lilienthalerin blieb hartnäckig. „Man muss es weiter versuchen“, beschreibt sie ihr Bemühen. „Daran reift man selbst.“ Nach drei Monaten hatte sie es geschafft, und „am Ende war es perfekt“. Sie fand unter den Erzieherinnen eine beste Freundin, die sie auch in ihrem Dorf besuchte. Rückblickend sagt Heidrich: „Man muss lernen, dass das, was man tut, richtig ist, auch wenn es nicht wertgeschätzt wird.“ Die Kinder sahen das anders. Fotos zeigen Heidrich inmitten fröhlicher Knirpse. Dass diese ohne Eltern sind, HIV-infiziert oder mit Drogen, Alkohol und Missbrauch in ihren Herkunftsfamilien konfrontiert waren, die Bilder verraten es nicht. Diesen Kindern zu helfen, egal ob schwarz oder weiß, hat sich das Child and Youth East London Care Centre seit 1924 zur Aufgabe gemacht – ohne staatliche Hilfe. Friederike Heidrich erzählt, dass die Organisation fast ausschließlich auf Spenden angewiesen ist. Mehr über das Leben von Kindern und Jugendlichen in Südafrika wird Stuart Ralph bei seinem Besuch in Lilienthal erzählen.
Heidrich wohnte auf dem Gelände des Kinderheims, sie nennt es Campus. 64 Kinder im Alter von null bis 18 Jahre leben wie Familien mit je zwei Erziehern auf fünf Häuser verteilt. Anfangs arbeitete sie dort auch tagsüber auf dem Campus. Sie leitete die Vorschule. Zwei Fotos zeigen den Raum. Vorher ein Durcheinander von Papier und Spielsachen. Nachher gleicht er einem deutschen Vorschulraum mit Bücherregalen, Spielteppich und Kindern, die aufmerksam lauschen. Lesen, Malen, Schreiben und Spielen lehrte Heidrich. Nach einem halben Jahr wechselte sie an eine Grundschule und unterstützte dort die Lehrer in einer ersten und siebten Klasse. Nachmittags ging die Arbeit im Campus weiter. Hausaufgabenhilfe, Essen, Begleitung bei Gefängnisbesuchen und vieles mehr. Nach dem Abendessen half jeder Freiwillige noch in einem fest zugeteilten Haus. Vorlesen, Kuscheln, über den Tag reden, wie es eben in einer Familie ist. Und sie organisierten einen Wochenendausflug ans 40 Minuten entfernte Meer. Heidrich sagt über die Arbeit: „Wir waren echt nah an den Kindern dran.“ In ihrer Freizeit reiste Friederike Heidrich. Sie besuchte Townships und Dörfer. In einem erlebte sie den schönsten Moment: Kinder tobten im eiskalten Flusswasser, eine Herde Kühe zog daneben hindurch und ein neu geborenes Lamm lag am Ufer. Sie lächelt. „Das werde ich nie vergessen.“ Auch nicht, dass sie im Campus jeden Abend zwar völlig müde, aber als glücklicher Mensch ins Bett gefallen ist. Friederike Heidrich möchte diese Zeit nicht missen. Sie schwärmt: „Ich habe in einem Jahr viel mehr gelernt als in den 18 Jahren, die ich hinter mir hatte.“
„Wie leben Kinder und Jugendliche in Südafrika?“, mit Stuart Ralph, Generaldirektor des East London Child and Youth Care Centre, East London, am Donnerstag, 18. September, ab 19.30 Uhr im Gemeindesaal der Klosterkirche.