Nein, ich bin wirklich kein Fan der deutschen Nordseeküste. Ein völlig verregnetes Pfingstwochenende in den 1980er-Jahren in Dornumersiel hat ausgereicht, um das Festland zwischen Emden und Husum – abgesehen von den ost- und nordfriesischen Inseln – komplett aus der Liste der Wunsch-Reiseziele zu streichen. Die Mischung aus meist schlechtem Wetter, kaum kommunikativen Eingeborenen und der Mangel an landschaftlichen Höhepunkten – Deiche ausgenommen – lässt sämtliche schwelgerischen Schwärmereien vom plattdeutschen Strand mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Entsetzen an mir abperlen wie Öl an einer Teflonpfanne.
Denn die größte Produktenttäuschung an der deutschen Nordseeküste ist meist das Meer selbst. Die Hälfte des Tages ist es überhaupt nicht zu sehen. Stattdessen eine kilometerweite Schlamm- und Schlick-Einöde namens Watt, in die man sich besser nicht hineinwagt, um nicht hartnäckige Schmutzreste unter den Zehen zu riskieren. Und wenn es sich dann tatsächlich mal am Fuß der Deiche sehen lässt, dann ist es weit davon entfernt, azurblau oder kristallklar zu sein. Stattdessen matschbraun. Durchschnittliche Sichttiefe: zehn Zentimeter. Von einem kilometerlangen Sandstrand wie an der niederländischen Nordseeküste ist weit und breit nichts zu sehen, stattdessen ganz viel Wiese. Das muss man schon wollen.

Krabbenkutter vor Fedderwardersiel
Es geht also mit ausreichend kritischer Distanz auf die 80 Kilometer zwischen Bremen und Butjadingen, wie die durchschnittlich ein bis zwei Meter hohe Halbinsel zwischen Wesermündung und Jadebusen nach dem friesischen Stamm der Butjadinger genannt wird. Das Ziel ist Hafen Fedderwardersiel, der in diesem Jahr übrigens sein 200-jähriges Bestehen feiert. 250 Einwohner zählt das beschauliche Fischerdorf mit seinen Krabbenkuttern, die sanft im Priel schaukeln. Sie tragen die Namen „Rubin“, „Heimat“ und „Seestern“ und tuckern angetrieben von 250 bis 300 Pferdestärken hinaus ins Wattenmeer, um Granat – wie die Krabben genannt werden – zu fangen.
Ursprünglich wurden die kleinen Butjenter Krebse nur zum Eigenbedarf und als Viehfutter verwendet und bei Ebbe mit Schiebehamen aus dem Priel geholt, seit 1931 ist der Krabbenfang in Fedderwardersiel professionalisiert und genossenschaftlich organisiert.
Allerdings handelt es sich bei dem Fang gar nicht um Krabben, sondern um Garnelen denn zoologisch gesehen sind Krabben Kurzschwanzkrebse, die „Nordseekrabbe“ gehört jedoch zu den Langschwanzkrebsen und zählt damit eigentlich zu den Garnelen. Doch das wiederum ist dem Brötchen ziemlich egal, in die das „Gold aus dem Wattenmeer“ meist zusammen mit Remoulade und einem Salatblatt eingeklemmt und zum Preis 7,50 Euro an der Bude veräußert wird. So frisch wie in Fedderwardersiel schmeckt das Garnelenbrötchen sonst nirgends, auch wenn die Krebse meist nicht mehr in Heimarbeit von ortsansässigen Fischersfrauen gepult werden.
Rund um den kleinen Hafen kann man es sich gemütlich machen und über die Außenweser hinüber bis zu den Containerterminals von Bremerhaven schauen. Zwischen April bis Oktober werden hier sonntags auch Konzerte organisiert. Hier legt auch das Ausflugsschiff „Wega II“ zur Wattenmeer-Expedition ab. Wem mehr der Sinn nach Bewegung steht, kann eine Wanderung in die Salzwiesen am Langwarder Groden unternehmen oder in der nahen Nordseelagune schwimmen gehen und auf dem Weg dorthin Kunst gucken. Nicht nur bei schlechtem Wetter ist der Besuch des kleinen Nationalparkmuseums in Fedderwardersiel (siehe unten) wärmstens zu empfehlen.
Butjadingen hat also Einiges zu bieten, auch für Menschen, die der herben Schönheit der deutschen Nordseeküste sonst eher wenig zugetan sind. Für einen Nachmittag reicht es bestimmt, vielleicht sogar für ein Wochenende oder mehr.

Langwarder Groden
Die Salzwiesen am Langwarder Groden
Der Langwarder Groden ist berühmt – so berühmt, dass es der 5,4 Kilometer lange Blockbohlen-Rundweg geschafft hat, in die Top Twenty der schönsten deutschen Wanderwege aufzusteigen. Das liegt an den Naturerlebnissen, die – diese in Teilen barrierearme Tour – durch Watt und Salzwiesen bietet. Von mehreren Beobachtungsständen, Stegen und einer Brücke aus lässt sich die Landschaft überblicken. Zahlreiche Infotafeln und interaktive Modelle erläutern die Besonderheiten von Flora und Fauna.
Seine Existenz hat das 70 Hektar große Schutzgebiet übrigens dem Jade-Weser-Port zu verdanken. Als Ausgleichsmaßnahme wurde 2014 der Sommerdeich geöffnet. Der Langwarder Groden ist wieder dem Wechsel von Ebbe und Flut ausgesetzt.
Der Nationalpark auf drei Etagen
Eigentlich kann man es kurz machen und nach Besuch der Fischbude direkt in das Nationalpark-Haus im Hafen einkehren. Auf den drei Etagen des Museums wird alles erklärt, was man über den Lebensraum Wattenmeer und seine Bewohner wissen muss. Schon kurz hinter dem Eingang machen zwei Aquarien dem Besucher anschaulich deutlich, wie viel Leben doch im Schlick und dem Wasser darüber steckt. Knurrhahn, Strandkrabbe, Scholle und Co. können in den Becken entdeckt werden. Anhand eines Modells werden die Gezeiten – das Zusammenspiel von Ebbe und Flut – erklärt. In der Themenwelt „Luftige Höhen“ werden die Stimmen einiger Vögel abgespielt. Die Sonderausstellung „Der Langwarder Groden im Wechsel der Gezeiten“ schildert die wechselhafte Geschichte der Salzwiesenlandschaft.
Doch das Museum bleibt nicht nur bei der Natur stehen. Es kümmert sich auch um die Geschichte der Menschen. In der Hörstation „Sturmflutradio“ erzählen Zeitzeugen, wie sie die Sturmflut von 1962 in Butjadingen erlebt haben, Nachdrucke von Zeitungsartikeln machen das Drama von einst greifbar. Im Themenbereich Landgang lernt der Besucher eine Fischerfamilie kennen und erfährt bei einem Kartenspiel von den Problemen der ersten Siedler. In einer Multimediastation wird der historische Hafen von Fedderwardersiel zu neuem Leben erweckt.
Das Museum ist im Sommer täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt: Erwachsene 5,50 Euro, Kinder zwei Euro, Familien 15 Euro.

Nordsee-Lagune Fedderwardersiel
Planschen in der Nordseelagune
Ein Badeparadies ist die Halbinsel Butjadingen nicht gerade. Strände gibt es kaum. Und wenn, dann eher am Jadebusen als an der Wesermündung. Bis man 2007 aus der Not eine Tugend gemacht hat und mit der Nordseelagune den ersten tiden-unabhängigen Meerwasser-Badesee am Strand zwischen Burhave und Fedderwardersiel schuf. Das Wasser stammt aus dem Meer, wird erst biologisch gereinigt und dann in die Lagune ein- und – wieder gereinigt – ausgeleitet. Der 2500 Quadratmeter große Badesee kann mit einer Wassertiefe von 3,80 Meter und 8000 Quadratmeter Sandstrand aufwarten, auf dem 200 Strandkörbe und 80 Sonnenliegen stehen.
Die Nordseelagune hat täglich von 9-18 Uhr geöffnet. Eintritt: 4,50 bzw. sechs Euro.
Mit der „Wega II“ ins Wattenmeer
Im Hafen von Fedderwardersiel liegen nicht nur Krabbenkutter, sondern auch das Ausflugsschiff „Wega II“ der Reederei Cassen-Eils vor Anker. Von hier aus geht es zu verschiedenen Zielen. Regelmäßig finden die „Fahrt ins Wattenmeer mit Netzfang“ und die „Piratenfahrt mit Schatzsuche“ statt. Bei der Watt-Exkursion schleppt das Schiff mit seinem Fangnetz über den Grund und holt Krebse, Seesterne, Muscheln und Krabben an Deck. Der Fang wird fachkundig erklärt und danach wieder lebend zurück ins Meer gegeben. An kleinere Kinder richtet sich die Piratenfahrt: Mit einem Schuss aus der Bugkanone geht es im Hafen mit einer zusammengewürfelten Mannschaft los. (Dauer der Fahrten: jeweils etwa 75 Minuten, Preise: 18 Euro für Erwachsene, 12 Euro für Kinder, Familien 52 Euro).
Außerdem steuert die „Wega II“ regelmäßig von Fedderwardersiel auch andere Ziele an. So zum Beispiel den Leuchtturm „Hohe Weg“, den Leuchtturm „Robbenplate“, die Seehundbank „Langlütjen“ oder auch die Insel Mellum, auf der jedes Jahr Tausende von Zugvögeln Halt machen. Regelmäßig bietet die Reederei auch eine Sonderfahrt an, auf der sich die „Wega II“ als einziges Schiff an der deutschen Nordseeküste zwei Stunden lang trockenfallen lassen darf. Die Teilnehmer brechen in der Zwischenzeit zu einer Wattwanderung auf (Dauer: sieben Stunden, Preise: Erwachsene 39 Euro, Kinder: 22 Euro, Familien 105 Euro.
Weitere Informationen und Buchungen: www.cassen-eils.de.
Kunst an der Küste
Direkt gegenüber den Hafenkränen von Bremerhaven erheben sich am Strand von Burhave in der wohl längsten Freiluftgalerie an der deutschen Küste ganz andere Objekte in den Himmel. Sieben Künstlerinnen und Künstler haben dort vor einigen Jahren auf einer Länge von drei Kilometern verschiedene Skulpturen geschaffen, die alle einen Bezug zur Nordseeküste haben. Amir Omerovic wagt zum Beispiel mit einer Figur aus russischem Marmor den „Blick über Horizonte“, Bärbel Deharde lässt eine geheimnisvolle Metallgestalt „Die Mettje“ in Wasserflächen lauern. Das Objekt „Der Blick“ von Gisela Eufe sucht den Dialog mit dem Betrachter, während „Die Badende“, eine hölzerne Frauenfigur von Cornelia Brader im Badeanzug, hinaus auf das weite Meer blickt.
Serie: Ein Nachmittag im Sommer
Ein Nachmittag im Sommer - und was tun? In dieser Serie gibt es Ideen für Ausflüge, die sich manchmal abseits der üblichen Ferientipps bewegen.
- An der Nordseeküste/Butjadingen
- Ausflugsziel Flughafen
- Strandhopping (27.7.)
- Paddeln auf Bremer Gewässern (3.8.)
- Mit dem 49-Euro-Ticket zum Bummeln an die Alster (10.8.)
- Mit der Straßenbahn kreuz und quer durch Bremen (17.8.)