Während einige US-Amerikaner bereits Waffen hamstern, bescheinigt der Bremer Rechtspsychologe Dietmar Heubrock seinen Landsleuten “preußische Disziplin“. Allerdings muss das nicht so bleiben: „Was man bedenken muss, ist die Wirkung von Katastrophenfilmen.“ Dietmar Heubrock denkt an Seuchen-Thriller wie „Contagion“. Steven Soderberghs Virus-Schocker von 2011 zeigt, wie rasant sich eine Krankheit in Zeiten der Globalisierung verbreitet.
Angesichts der steigenden Zahl von Todesfällen wird im Film der Ausnahmezustand dargestellt, ebenso Übergriffe sowie Plünderungen. Dietmar Heubrock: „Je mehr Leute sich solche Katastrophenfilme reinziehen – und viele Menschen haben im Moment sehr viel Freizeit, dann mag ich nicht ausschließen, dass sie sich irgendwann selbst verteidigen wollen.“
Ein Foto im Kurznachrichtendienst Twitter und auf der Internetseite vom Amnesty International zeigt, wie Menschen etwa bei einem Waffengeschäft in Los Angeles Schlange stehen. Die Schlange geht um den ganzen Block. Dahinter steckt die Angst vor den Folgen des Coronavirus.
Während es in den USA in vielen Bundesstaaten nicht schwierig ist, sich mit Waffen einzudecken, muss man hierzulande unterscheiden: Für das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen reicht der Kleine Waffenschein aus. Um diesen zu bekommen, muss der Antragsteller volljährig sein. Überprüft wird zudem lediglich die persönliche Zuverlässigkeit und gesundheitliche Eignung des Antragstellers. Liegen keine Zweifel vor, wird der Kleine Waffenschein gegen Gebühr erteilt, heißt es aus der Verwaltung.
Beim Großen Waffenschein hingegen muss der Antragsteller nicht nur einen Sachkundenachweis erbringen, sondern auch ein Bedürfnis nachweisen. Dieses Bedürfnis weisen etwa Jäger, Sportschützen oder Personenschützer aus. Auch eine Haftpflichtversicherung wird fällig.
Mit der Corona-Krise sei es im Landkreis Wesermarsch nun neuerdings möglich, online einen Jagdschein oder Feuerwaffenpass zu verlängern, Schusswaffen an- und abzumelden sowie eine Waffenbesitzkarte zu beantragen, gab der Kreis kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt. Auch Kleine Waffenscheine zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen könnten neuerdings online auf der Seite des Landkreises heruntergeladen werden.
Der Kreis habe auf die Corona-Krise reagieren wollen: Um den Publikumsverkehr im Kreishaus zum Schutz der Bürger und Mitarbeiter zu reduzieren, habe die Verwaltung das Antragsformular für den Kleinen Waffenschein online eingestellt, berichtet Pressesprecher Martin Bolte. „Um Missverständnissen vorzubeugen“ betont Martin Bolte jedoch, dass das Formular vom Antragsteller in Papierform zum Landkreis zurückzuschicken ist. Der Kreis würde die Unterlagen – wie bisher auch – prüfen. „Erst nach erfolgter und positiver Prüfung nach dem Waffengesetz (WaffG) wird der Kleine Waffenschein vom Fachdienst Sicherheit und Ordnung ausgestellt“, so Bolte weiter.
„Es ist nicht möglich, den Kleinen Waffenschein online zu beantragen oder gar online die Zusage zu erhalten“, betont Martin Bolte. Dies hänge mit diversen Sicherheitsvorkehrungen zusammen. Unter anderem werde eine Original-Unterschrift benötigt. Auch müsse der Schein persönlich und nach vorheriger Terminabsprache mit dem Sachbearbeiter im Kreishaus abgeholt werden. In einem Fall sei im März auch ein Antrag auf einen Kleinen Waffenschein abgelehnt worden, so Bolte, ohne Details zu nennen.
Insgesamt seien seit März 19 Kleine Waffenscheine beantragt worden. Die Anzahl der Kleinen-Waffenschein-Besitzer betrug zum Stichtag 1. April exakt 23. Eine durch die Corona-Pandemie gestiegene Nachfrage nach Waffenscheinen stellt der Kreis nach den Worten von Martin Bolte dennoch nicht fest. Von 2017 bis 2019 hat der Landkreis Wesermarsch insgesamt 156 Kleine Waffenscheine ausgegeben.
Während der Kreis Wesermarsch Anträge online zur Verfügung stellt, hat Bremen das Thema weitgehend ausgesetzt: „Die Antragsteller müssen persönlich erscheinen. Da zurzeit die Ämter für den Publikumsverkehr geschlossen sind, gibt es auch keine laufenden Anträge“, berichtet Karen Stroink vom Innenressort auf Anfrage unserer Zeitung. Die Zahl der ausgestellten Kleinen Waffenscheine ist nach ihren Worten von 2017 bis 2019 kaum gestiegen, nämlich von 2134 (2017) auf 2196 (2019).
„Dass aufgrund der Pandemie gesteigerte Sorgen bezüglich Kriminalität in der Bevölkerung bestehen“, glaubt Jana Lindemann, Sprecherin des Landkreises Osterholz, nicht. Es gebe zumindest aus Sicht der örtlichen Waffenbehörde keinen berichtenswerten Unterschied zwischen der Zeit „vor“ und „nach“ dem Pandemie-Ausbruch. Die Zahl der Waffenbesitzer im Kreis Osterholz sei weitgehend konstant. Mit Stand zum 31. Januar 2020 gab es im Landkreis Osterholz demnach 1935 Waffenbesitzer. Bis Anfang April 2020 wurden 20 Kleine Waffenscheine erteilt. Wie viele Bescheinigungen seit März nachgefragt wurden, ist laut Jana Lindemann statistisch bisher nicht erfasst. Von 2017 bis 2019 wurden hier 339 Kleine Waffenscheine erteilt.
Die Ausgabe Kleiner Waffenscheine sieht der Bremer Rechtspsychologe Dietmar Heubrock grundsätzlich mit Sorge. Er sei „kein Freund des Kleinen Waffenscheins“. Es gebe viele Gründe, warum Gas- und Schreckschusspistolen nicht zum Selbstschutz taugten. Einer sei, dass die Personen, die sich in Konfliktfällen verteidigen, unter Stress geraten und sich mit einer Waffe im Zweifel selbst verletzten. Zudem haben Heubrock und sein Team festgestellt, dass diese Waffen „de facto“ nicht für den Selbstschutz verwendet werden, „sondern für Überfälle, weil man leicht an sie rankommt“.
Dass mit der Corona-Krise die Zahl derer wächst, die eine Waffe mit sich führen wollen, glaubt der Sprecher des Bremer Instituts für Psychologie derzeit nicht: „Die Personen, die eine Affinität dazu haben, sich selbst zu verteidigen, haben ihren Waffenschein lange beantragt. Insofern werden die Anträge jetzt nicht mehr so stark ansteigen.“
Bei diesem Personenkreis gebe es eine Überschneidung mit der Prepper-Szene, die sich auf Notlagen vorbereiten, und mit der Reichsbürger-Szene. Es seien Menschen, die eine gewisse Ängstlichkeit verspürten und grundsätzliche Zweifel an Gesellschaft und Staatssystem hegten. „Es sind Leute, die nicht zu den Privilegierten gehören, die im Kopf haben: ‚Der Staat tut nix für uns. Wir sind egal.“ Dazu käme eine gewisse Aggressivität, gepaart mit dem Gefühl, verlassen worden zu sein. „Das sind die Personen, die einen Kleinen Waffenschein beantragen würden.“ Im Augenblick seien „Kloppereien um eine Tüte Mehl oder ein Paket Klopapier“ bis hin zu Reifenstechereien, "weil Besucher das falsche Nummernschild haben“, noch Einzelfälle.
Seinen Landsleuten bescheinigt der Mann, der sich mit der Prävention von Attentaten befasst und zum Thema Profiling forscht, ein hohes Maß an Disziplin. „Im Moment stehen wir das Ganze gut durch, doch je länger die Krise währt, desto mehr werden Konflikte zunehmen.“