An diesem Morgen fliegt ausnahmsweise kein Müll durch die Lüssumer Heide. Quartiersmanagerin Heike Binne glaubt, dass der Pressebesuch bis zu den oberen Chefetagen der Vonovia SE durchgesickert ist. Den Sperrmüllberg in einem Durchgang zwischen den Blöcken hat dann aber doch niemand weggeräumt. Falls es Veränderungen in dem Quartier mit vielen Hartz-IV-Beziehern und Menschen mit Migrationshintergrund gibt, dann schleichend. Neu ist eine Anlaufadresse für unzufriedene Vonovia-Mieter: Die Verbraucherzentrale Bremen hält zurzeit einmal die Woche Energieberatungen ab.
„Es gibt einen Bonus für einen neuen Kühlschrank. Sie müssten dann hier unterschreiben“, erklärt Verbraucherberaterin Inse Ewen dem Mieter. Der Besitzer des alten Kühlschranks mit der kaputten Dichtung hebt abwehrend die Hände. Nein, er wolle keinen neuen Vertrag, sagt der Mann. Dass er so vorsichtig ist, kommt nicht von ungefähr: Viele Mieter der Vonovia hätten Angst, Opfer von Trickbetrügern zu werden, sagt Inse Ewens Kollege Metin Öztürk.
Oft zögen Drückerkolonnen durch das ökonomisch schwache Gebiet, in dem viele Bewohner Deutsch nur dem Hörensagen nach kennen. Es dauert einen Augenblick, bis geklärt ist, dass der Bund mit dem Programm Stromsparcheck kommunal einkommensschwachen Haushalten mit einem 150-Euro-Gutschein unter die Arme greift. „Wollen Sie 150 Euro?“ Der Familienvater nickt.
Inse Ewen arbeitet für die Verbraucherzentrale Bremen. Sie begleitet an diesem Tag ihre Kollegen Metin Öztürk und Albolghassem Sarbandi. Sarbandi besichtigt seit Wochen Wohnungen von Mietern, die sich ihre Nebenkosten-Abrechnung nicht erklären können. Im November 2018 hat Deutschlands größter Vermieter die Abrechnungen für das Jahr 2017 verschickt. Nachdem im vergangenen Jahr Abrechnungen mit Forderungen in teils astronomischer Höhe für viele Beschwerden gesorgt haben, prüft der Honorarberater, wie plausibel die Abrechnungen diesmal sind.
498 Euro soll die siebenköpfige Familie von Adulsellam Youssef für das Jahr 2017 nachzahlen. Der Vater zeigt die Abrechnung. In Zukunft soll er zudem statt 143 Euro exakt 292 Euro als Vorauszahlung für die Heizkosten in der 86 Quadratmeter großen Wohnung überweisen. „Das sind fast 100 Prozent mehr“, stellt Inse Ewen fest.
„Ich verstehe es nicht“, sagt Adulsellam Youssef. „Ich habe die Unterlagen sofort ans Jobcenter gegeben.“ Er wisse aber nicht, so der Mieter, ob die Behörde die Rechnung übernehme. 2016 habe er ebenfalls nachzahlen müssen, rund 900 Euro. „Damals hat das Jobcenter bezahlt.“
Ein gutes Dutzend Wohnungen hat Sarbandi seit Dezember besichtigt, etwa 30 Mieter haben sich wegen der geforderten Nachzahlungen von ihm beraten lassen. „Unser Ziel ist es, schnellere Lösungswege zu finden und den Druck auf die Vonovia zu erhöhen“, sagt Inse Ewen. Ein Energieberatungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums erlaube es der Verbraucherzentrale, hier kostenlos für die Bewohner des Quartiers tätig zu werden. Die Organisation will helfen, die Probleme außergerichtlich zu klären. Dies sei weitaus sinnvoller, als Prozesse in die Wege zu leiten: „Prozesse sind langwierig.“
In der Wohnung ist es sehr warm. Dabei sind nicht mal alle Heizungen aufgedreht, wie der Familienvater betont. Nur die Heizung in der Küche und eine weitere. Erstere lässt sich nicht abstellen. Schweigend verfolgen die Mieter vom Flur die Schritte des Energieberaters durch ihre Wohnung. „Und das Holzfenster in der Küche hat keine Dichtung“, stellt Sarbandi fest.
Der Verbraucherzentrale sind mindestens 24 Mieter bekannt, die bisher Widerspruch bei der Vonovia gegen die aktuellen Abrechnungen von 2017 eingereicht haben. Die höchste Nachzahlungsforderung beträgt demnach 3000 Euro für eine 82-Quadratmeter-Wohnung. Die meisten Mieter an der Lüssumer Heide könnten Nachforderungen in dieser Höhe nicht zahlen, wissen die Mitarbeiter.
„Es gibt aber auch einige Mieter, die nicht so hohe Nachzahlungen haben“, stellt Inse Ewen klar. Diese Mieter hätten oft in früheren Jahren hohe Abrechnungen erhalten und ihr Heizverhalten geändert. Mit gesundheitsschädlichen Folgen: „Das Thema Schimmel bewegt viele“, fasst Inse Ewen zusammen.
Für den Zustand, in dem sich die meisten der 224 Wohnungen befänden, hat sie nur einen Begriff: „verheerend“. Heizungen, die nicht abzustellen sind, oder überhaupt nicht laufen, sind ein Problem. Dazu kommen Baumängel wie undichte Fenster und sogar Löcher in den Außenwänden.
Stellt Albolghassem Sarbandi fest, dass die Abrechnung nicht nachvollziehbar ist, müssen sich die Mieter selbstständig an die Vonovia wenden. Viele landen dann im Nachbarschaftstreff Haus der Zukunft, bei Quartiersmanagerin Heike Binne. Die Vorgehensweise des Unternehmens bei Problemen sei immer noch „störanfällig“, sagt sie. In der Vergangenheit hatten Mieter immer wieder beklagt, dass der Konzern auf Beschwerden nicht reagiere. Viele scheiterten schon an der Servicehotline in Bochum. Selbst, wenn sie ein Ticket ziehen, bedeutet das nicht, dass Mängel abgestellt würden. „Oft wird gesagt, die Familien waren nicht zu Hause“, berichtet Quartiersmanagerin Heike Binne.
Vonovia-Sprecherin Bettina Benner bedauert auf Anfrage, dass es immer noch Beschwerden und Unzufriedenheit im Brennpunktquartier gibt. „Zusammenfassend möchte ich Ihnen sagen, dass wir uns noch mal mit allen Beteiligten, der Verbraucherzentrale, der Stadt und Fernwärme Nord zu einer umfassenden und endgültigen Lösung zusammensetzen. Es ist uns sehr wichtig, das Ganze umfassend aufzuklären und für jeden Mieter abschließend eine Lösung zu finden. Leider ist das Thema für alle Beteiligten, und damit auch für uns sehr komplex und wir verstehen, dass unsere Mieter auf Klarheit drängen. Für uns steht außer Frage, dass wir uns sehr intensiv damit beschäftigen. Mögliche Abrechnungsfehler werden von uns selbstverständlich korrigiert, genauso wie Mängel, die uns gemeldet werden, behoben werden.“
Genau vor einem Jahr hat Bettina Benner übrigens bereits einmal gesagt: Gemeldete Mängel würden schnellstmöglich behoben.
Weitere Informationen
Kostenlose Energieberatung
Die Energieberatung der Verbraucherzentrale Bremen ist für alle Bewohner der Lüssumer Heide kostenfrei. Sie können sich donnerstags von 9 bis 12 Uhr im Haus der Zukunft beraten lassen.