Hunderte Mieter klagen in Bremen gegen die Vonovia mit Sitz in Bochum. In der Lüssumer Heide ist kein einziger Mieter bekannt, der gegen den Immobilienriesen vor den Kadi zieht. Obgleich die Heizkostenabrechnungen zum Teil falsch sind. Im Fall der Mieterin Abena Dimka (Name geändert) zum Beispiel hat der Konzern nach Informationen der NORDDEUTSCHEN erst die Heizkosten verdoppelt und ist dann auf den alten Preis zurückgegangen – und zwar, als das Jobcenter sich weigerte, die Rechnung zu zahlen. Das Pikante: Sowohl die alte, als auch die neue Forderung beruhte auf Schätzungen. Offenbar kein Einzelfall. Laut der Verbraucherzentrale Bremen finden sich in den Heizkosten-Abrechnungen immer wieder Fehler und geschätzte Positionen.
Schon Anfang des Jahres hatte die NORDDEUTSCHE über zum Teil horrend hohe Heizkosten im Quartier Lüssumer Heide berichtet, wo die Vonovia rund 220 Wohnungen unterhält, in denen hauptsächlich Leistungsempfänger und Menschen mit Migrationshintergrund leben. In vielen Fällen hatten Jobcenter und Sozialamt die Abrechnungen durchgewinkt. Nach den Berichten reagierte der Wohnungsriese, indem er eine Senkung der Heizkosten und zahlreiche Reparaturarbeiten in den maroden Wohnungen ankündigte. Zusammen mit dem Jobcenter sollten auch Nachforderungen aus den Heizkostenabrechnungen 2015 und 2016 geprüft werden.
Was hat sich gut sechs Monate später getan? Wer in die Lüssumer Heide fährt, dem fällt Müll auf dem Gelände auf, die vom Konzern angekündigte Balkonsanierung steht auch aus. Mieterin Abena Dimka, Mutter von drei Kindern, sagt, sie habe den Hausmeister zigmal angerufen, weil das Fenster im Kinderzimmer kaputt sei und der Ablesezähler für die Heizung im Wohnzimmer fehle. Doch Mängel bei der Vonovia anzuzeigen, das stellten schon andere Mieter vor ihr fest, hat nicht immer einen Effekt.
Seit einem Jahr klagen Mieter über den Gestank aus einer Wohnung, in der eine alte Dame gestorben ist. Mitarbeiter im Quartierszentrum gehen davon aus, dass in der Wohnung Lebensmittel vergammeln. Die soziale Lebenswelt in der Lüssumer Heide ist weiterhin eine, in der kurios hoch angesetzte Heizkosten-Abrechnungen ein kleineres Übel sind und nur dann auffallen, wenn sich das Jobcenter weigert zu zahlen.
Die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Vonovia hat sich inzwischen offenbar verbessert. Der Geschäftsführer des Vegesacker Jobcenters, Volker Wöhlmann, spricht jetzt von „einem engen Draht“, den die Behörde zum Konzern habe. Sind die Behördenmitarbeiter kritischer geworden? „Wir sind nicht kritischer geworden“, sagt Wöhlmann, ohne auf einen Einzelfall eingehen zu wollen, „aber wenn die Diskrepanz zwischen der ursprünglichen Einstufung bei den Heizkosten und der Abrechnung so hoch ist, akzeptieren wir das nicht.“ So wie im Fall von Abena Dimka.
Abena Dimka sollte für die 31 Tage, die sie im Dezember 2016 die rund 70 Quadratmeter große Wohnung bewohnt hat, 342 Euro Heizkosten zahlen. Angesetzt worden waren 117 Euro monatlich. Wegen der Differenz sollte die Frau ab 2018 exakt 459 Euro Heizkosten vorauszahlen.
Die dreifache Mutter kann sich nicht vorstellen, dass sie so viel verbraucht haben soll. Weil das Fensterglas im Kinderzimmer seit November kaputt sei, seien nur Wohn- und Schlafzimmer beheizt gewesen. Gewissheit über den tatsächlichen Verbrauch hat Abena Dimka nicht – kann sie nicht haben: „Es gibt kein Ablese-Röhrchen.“
Wie 80 Prozent der Mieter in den Vonovia-Blöcken in Lüssum hat Abena Dimka einen Migrationshintergrund, sie spricht nicht fließend Deutsch. Mit den Schreiben des Jobcenters konnte sie nichts anfangen. Zweimal wurde Dimka vom Jobcenter eine Frist gesetzt, eine Erklärung der Vonovia beizubringen, warum der Abschlag für ihre Heizkosten so unverhältnismäßig hoch angesetzt war. Die letzte Frist stammt von August. In ihrer Sorge, dass das Jobcenter die Leistungen kürzen könnte, wandte sich die dreifache Mutter an das Haus der Familie, das versuchte, zwischen Vonovia, Mieterin und Jobcenter zu vermitteln. Denn das Jobcenter pocht offenbar weiterhin auf eine Erklärung der schwankenden Forderungen. Die Vonovia setzte daraufhin den alten Preis zwar wieder ein, bliebt aber eine Erklärung dafür schuldig.

Vonovia-Wohnungen in Lüssum. Der Konzern wirbt auf seiner Homepage: "Wir legen ... großen Wert auf eine lebenswerte Umgebung für unsere Mieter."
Auf Nachfrage unserer Zeitung zu dem Fall antwortet der Wohnungskonzern nur pauschal. Die Überprüfung der überhöhten Heizkostenabrechnungen liefen noch. Bis jetzt seien keine Fehler in Abrechnungen aufgetaucht. Allerdings: „In einigen Wohnungen waren die Heizkörper nicht funktionstüchtig. Den entsprechenden Betrag haben wir den Mietern beziehungsweise dem Jobcenter zurückerstattet.“
Dass das börsennotierte Dax-Unternehmen bei Abrechnungen schon mal Schätzungen vornimmt, ist auch der Verbraucherzentrale Bremen aufgefallen, die diverse Abrechnungen von 2016 aus der Lüssumer Heide geprüft hat. Dabei irritierte die Mitarbeiter besonders, dass „trotz vorhandener Wasseruhr nicht abgelesen“, sondern geschätzt wurde. Auch seien in der Rubrik „Verbrauchswerte“ immer wieder Positionen zu finden, die nur geschätzt worden seien. Es könne mal vorkommen, dass ein Heizkostenverteiler defekt und deshalb nicht ablesbar sei, sagt eine Verbraucherberaterin. Aber: „Wir fanden auch ein paar Monate später noch diese defekten Heizkostenverteiler.“
Die Mitarbeiterin verweist auf eine aktuelle Studie der Verbraucherzentralen Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, in der bundesweit eingeschickte Heizkostenabrechnungen überprüft wurden. Die Analyse von 1046 Heizkostenabrechnungen zeigt, dass die untersuchten Heizkostenabrechnungen mehrheitlich fehlerhaft beziehungsweise klärungsbedürftig sind. Den Mietern hilft die Erkenntnis bedingt: Ansprüche müssten individuell eingeklagt werden.