Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Reichsbürger-Vorwurf gegen Beiratsmitglied Strafanzeige gegen AfD-Watch

130 Reichsbürger leben in Bremen. Die Zahl hat der Verfassungsschutz ermittelt. Einem AfD-Politiker aus Blumenthal wird eine Verbindung zur Szene unterstellt, die dieser bestreitet.
19.09.2019, 18:37 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Strafanzeige gegen AfD-Watch
Von Patricia Brandt

Das Blumenthaler Beiratsmitglied Sven Schellenberg (AfD) hat Ende August Strafanzeige gegen AfD-Watch gestellt. Das bestätigt das Innenressort gegenüber unserer Zeitung. Das Netzwerk, das im Internet zur lokalen AfD recherchiert und berichtet, unterstellt dem Stadtteilpolitiker bekanntlich eine Verbindung zur Reichsbürgerszene. Zum Vorwurf selbst gab es keine Stellungnahme der Behörde: Zu Einzelpersonen und ihren Aktivitäten mache das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) keine Angaben, sagte Innenressort-Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler.

Insgesamt beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 2019 ein Erstarken der Szene, die sich nach Erkenntnissen des BfV zu einem kleinen Teil mit dem Milieu der Rechtsextremisten überschneidet. Die Zahlen stiegen von 16.500 Anhängern im Jahr 2017 auf 19.000 Anhänger im vergangenen Jahr. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen registrierte in diesem Jahr 1350 Reichsbürger. Allein in Osterholz-Scharmbeck waren der Polizei 2017 exakt 42 Reichsbürger bekannt. Die Zunahme führt das Bundesamt allerdings weitgehend auf ein verbessertes „Informationsaufkommen“ der Verfassungsschutzbehörden zurück.

Lesen Sie auch

Auch das Landesamt für Verfassungsschutz Bremen versucht nach den Worten von Rose Gerdts-Schiffler seit Jahren, die Reichsbürger-Szene auszuleuchten. „Das Spektrum der Reichsbürger wird von dem Landesamt für Verfassungsschutz Bremen bereits seit 2014 beobachtet“, berichtet die Sprecherin der Innenbehörde. Das LfV habe sich deshalb schon 2016 an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gewandt und um Hinweise zu Reichsbürgern und sogenannten Selbstverwaltern gebeten. Rose Gerdts-Schiffler: „Derzeit zählen wir in Bremen und Bremerhaven rund 130 Personen zu diesem Spektrum.“ Die Reichsbürger würden stadtweit erfasst. „Eine Statistik nach Regionen oder Stadtteilen gibt es nicht.“

Lesen Sie auch

Schellenberg bestreitet, ein Reichbürger zu sein

Wie berichtet, muss sich der Kaufmann Sven Schellenberg, Jahrgang 1967, mit dem Vorwurf auseinandersetzen, der Reichsbürger-Szene anzugehören. So steht es zumindest auf der Homepage von AfD-Watch. Schellenberg gehört der Alternative für Deutschland an und war bis vor Kurzem Fraktionsvorsitzender im Beirat Blumenthal. AfD-Watch macht nicht nur detaillierte Angaben zu seinen vermeintlichen Lebensumständen, es werden auch Aussagen getroffen, die seinen Umgang mit der Nachbarschaft und den Behörden betreffen. Auch der bekannte Vorwurf, in Farge bestehe ein “Reichsgebiet Neu Schellenberg”, taucht dort auf. Schellenberg hat Anzeige gegen die Darstellung gestellt.

„Ich war, bin und werde nicht Reichsbürger sein. Ich bin Mitglied einer bürgerlichen Partei und stehe zur Grundordnung. Ich bevorzuge einen Rechtsstaat und habe nichts für die Reichsfantasien von diesen Spinnern übrig.“ Mit diesen Worten reagiert Sven Schellenberg auf die von AfD-Watch aufgestellten Behauptungen. Er habe nie in Rönnebeck gelebt und auch keine Schwester: „Ich bin Einzelkind.“ Mit seinen Nachbarn habe er ein gutes Verhältnis, „von Querelen mit der Polizei ist mir nichts bekannt“. Auch ein „Reichsgebiet Neu Schellenberg“ gebe es nicht: „Als ich das gelesen habe, hat mir das vor Lachen die Tränen in die Augen getrieben.“

Lesen Sie auch

AfD-Watch bleibt bei seiner Darstellung. „Wir haben verschiedene Zuschriften von ehemaligen Nachbarn erhalten und vor Ort mit jenen gesprochen“, berichtet ein Mitglied des Recherchenetzwerks. AfD-Watch hat eine Postanschrift im Bremer Viertel. Die Seite erscheine seit 2017 und werde mit „journalistischer Sorgfalt“ betrieben, heißt es dort.

Rechtlich gibt es keine Handhabe

Wenn jemand der Reichsbürger-Szene angehört, wäre dies auch laut Senatskanzlei unvereinbar mit der Wahrnehmung eines Beiratsmandates, da Reichsbürger die Legitimität des demokratischen Rechtsstaates nicht anerkennen. Rechtlich gebe es jedoch keine Handhabe, einem gewählten Beiratsmitglied deswegen das Mandat zu entziehen.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die Reichsbürger-Szene als staatsfeindlich ein. Reichsbürger bestreiten die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Angehörige dieses Spektrums hängen Verschwörungstheorien nach; eine Minderheit von ihnen vertritt zudem explizit rechtsextremistische Positionen, zählt Rose Gerdts-Schiffler auf. Ihre Ablehnung der bestehenden Rechtsordnung zeigt sich insbesondere in ihrem Verhalten gegenüber Behörden und ihren Mitarbeitern. Manche dieser Personen proklamierten ihre Wohnungen oder Grundstücke als eigenes „Staatsgebiet“, berichtet auf Anfrage Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin der Innenbehörde.

Lesen Sie auch

Selbst, wenn ein Gebiet mit dem Namen „Neu Schellenberg“ existieren sollte – strafbar wäre dies nicht. Allgemein, und nicht auf den Fall Schellenberg bezogen, gilt laut Innenressort: „Einen Straftatbestand, der die Gründung eines sogenannten Reichsgebiets umfasst, halten die Gesetze nicht vor.“ Selbst der Besitz von Fantasiedokumenten wie ein Reichsführerschein sei an sich nicht strafbar. „Eine Straftat liegt erst dann vor, wenn die Dokumente nicht ohne Weiteres als nachgemachte Fantasie-Dokumente zu erkennen sind und im Rechtsverkehr benutzt werden.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)