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Mehr Personal fürs Nordbremer Klinikum Erste Hebammen aus Italien im Einsatz

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, setzt der Klinikverbund Gesundheit Nord auf Hebammen aus Italien. Im Nordbremer Krankenhaus, wo das Team immer wieder an Grenzen gestoßen ist, sind jetzt zwei im Einsatz.
13.06.2020, 05:00 Uhr
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Erste Hebammen aus Italien im Einsatz
Von Christian Weth

Auf diese Hebamme hat Michaela Feldmann lange gewartet: ein Jahr. Immer wieder hat die Pflegedienstleiterin in dieser Zeit gehofft, dass es sich Gilia Chiara Gheli nicht doch noch mal anders überlegt. Und dass sie gesund bleibt. Gheli kommt aus Mailand, wo es mehr Corona-Fälle gibt als in vielen anderen italienischen Metropolen. Jetzt ist sie Vegesackerin – und nicht der einzige Neuzugang aus dem Ausland, auf den der Klinikverbund Gesundheit Nord setzt, um dem Hebammen-Mangel zu begegnen.

Seit Mitte Mai arbeitet Gheli am Nordbremer Krankenhaus. Eigentlich hatte Michaela Feldmann sie früher erwartet. Im März sollte die Italienerin kommen. Doch in diesem Monat war sie wie alle ihre Landsleute wegen der republikweit verhängten Ausgangssperre in Isolation. Die Pflegedienstchefin hat immer wieder mit ihr telefoniert. Seit vergangenen Sommer haben sie Kontakt. Erst war eine Dolmetscherin dabei, später nicht mehr. Gheli hat zwischenzeitlich einen Deutschkursus absolviert. Ein halbes Jahr ging der. Das Seminar war Pflicht, um eine Stelle als Geburtshelferin in Deutschland zu bekommen.

Auf Job im Ausland gehofft

Gheli ist 24. Es ist ihre erste Festanstellung. In Italien war sie an der Uni. Geburtshilfe ist dort ein Bachelor-Studiengang. Sechs Semester dauert die Ausbildung. Gheli sagt, dass sie von Anfang an gehofft hat, einen Job im Ausland zu bekommen, weil es in Italien kaum welche gibt. Und weil dort das Arbeiten als Hebamme ein Anderes ist als etwa in Deutschland. Das wusste sie schon, bevor sie Mailand verlassen hat. Jetzt, nach einem Monat auf der Geburtshilfestation am Krankenhaus an der Hammersbecker Straße, weiß sie noch mehr: dass die Unterschiede wesentlich größer sind, als sie bisher angenommen

Sie spricht von wenigen, die in Deutschland bei einer Geburt dabei sind – und von vielen in Italien. Von einem intimen Vorgang hier und einem zuweilen fast öffentlichen dort. Und davon, dass Hebammen in ihrem Heimatland längst nicht so selbstständig arbeiten, weil nicht sie, sondern die Mediziner den Ton angeben, wenn eine Frau in den Wehen liegt. Ist das Kind geboren, endet die Arbeit einer Hebamme in italienischen Kliniken. Um Mutter und Kind kümmern sich fortan ausschließlich Pflegekräfte. Gheli meint, dass die Aufteilung in Deutschland eine bessere ist, weil alles in einer Hand bleibt.

Das finden auch andere. Um im Ausland einen Job zu bekommen, hat sich Gheli bei einer Hamburger Agentur beworben, die auf die Vermittlung von italienischen Hebammen spezialisiert ist. Die Mailänderin ist zwar die erste Hebamme am Klinikum Nord aus dem Mittelmeerstaat, aber nicht mehr die einzige. Auf der Einstellungsliste von Pfegedienstleiterin Feldmann steht mittlerweile auch Ilaria Cortone, ebenfalls gerade fertig mit dem Geburtshilfe-Studium, ebenfalls 24. Seit drei Tagen verstärkt sie das Team. Inzwischen gibt es drei italienische Hebammen an Kliniken des Krankenhausverbundes.

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Und nicht nur dort. Auch das St.-Josef-Stift und das Diakonie-Krankenhaus setzen auf Fachkräfte aus dem Ausland, um dem Hebammen-Mangel zu begegnen. In der einen Klinik sind inzwischen vier Geburtshelferinnen aus Italien, in der anderen demnächst fünf. Die Häuser reagieren auf Personalengpässe, die vorübergehend so groß waren, dass Kreißsäle geschlossen werden oder die Teams – wie im Norden – das Pensum nur schafften, wenn sie auf Pausen verzichteten. Das war so oft vorgekommen, dass sich erst der Betriebsrat, dann das Gewerbeaufsichtsamt und schließlich das Gericht eingeschaltet haben.

Klinikchefin Birgit Hilmer hat deshalb im Vorjahr gemacht, was sie eigentlich nicht machen wollte: die Zahl der Geburten zu begrenzen. 120 Anmeldungen von werdenden Eltern nimmt das Krankenhaus noch pro Monat an, dann ist Schluss – und wird der 121. Schwangeren gesagt, sich bitte an ein anderes Krankenhaus zu wenden. Mehr Geburten gibt es trotzdem im Klinikum. Zu den Angemeldeten kommen noch die Unangemeldeten: Frauen mit Wehen, die somit Notfälle sind und nicht abgewiesen werden dürfen. Nach Rechnung von Pflegedienstleiterin Feldmann kommt die Klinik damit auf 150 Geburten im Monat.

Situation hat sich entschärft

Ihr zufolge kommen deshalb immer wieder Tage vor, an denen Pausen nicht immer so genommen werden können, wie sie genommen werden sollten. Aber nicht mehr so häufig wie zuvor. So gesehen, sagt Feldmann, hat sich die Situation entschärft, zumindest für den Moment. Im Vorjahr war die Pfegedienstchefin auf 17,5 Vollzeitstellen in der Geburtshilfe gekommen, jetzt kommt sie auf 18. Dass das Plus nicht größer ausgefallen ist, obwohl in den zurückliegenden Monaten mehr Hebammen eingestellt wurden, begründet sie mit immer neuen Abgängen wegen Mutterschafts- und Ruhestandsregelungen.

Und damit, dass sie Gilia Chiara Gheli und Ilaria Cortone noch nicht zu den Vollzeitkräften dazugerechnet hat. Die beiden Italienerinnen sind zwar ausgebildete Geburtshelferinnen, sollen aber ein halbes Jahr lang nicht den Dienst wie alle anderen machen. Feldmann sagt, dass sie sich erst einmal eingewöhnen sollen, bevor sie regulär eingesetzt werden und im Stellenplan auftauchen. Sollte es bis Ende des Jahres zu keinen weiteren Abgängen kommen, wird sie dann einen Personalstand bei den Hebammen erreicht haben, der im Nordbremer Klinikum noch nie so groß war: 20 Vollzeitstellen.

Ihr Ziel ist inzwischen jedoch ein anderer Wert: einer über 20. Feldmann hat vor einiger Zeit mit der Klinikleitung darüber gesprochen, ob der Personaletat für die Geburtshilfe überschritten werden darf. Und weil Birgit Hilmer ja gesagt hat, verhandelt die Pflegedienstleiterin momentan mit einer Hebamme aus Oldenburg, die sich vorstellen kann, in den Bremer Norden zu wechseln. Feldmann kann nicht sagen, ob das klappt. Dafür meint sie etwas anderes ganz sicher zu wissen: Dass die Neuzugänge aus Italien helfen werden, damit Hebammen weniger am Limit arbeiten, jedoch die Suche nach neuen Kreißsaalkräften bleibt, weil auch der Fachkräftemangel geblieben ist.

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