Zwei Jahre nach der Havarie des Containerfrachters „MSC Zoe“ kommt die politische Aufarbeitung des Unglücks nur in kleinen Schritten voran. Zwar prüft das Bundesverkehrsministerium weiterhin Sicherheitsempfehlungen, wie küstennahe Havarien vermieden werden sollen. Kritikern geht das aber nicht schnell genug. Sie fürchten, dass sich eine Havarie wie die der „MSC Zoe“ am 2. Januar 2019 wiederholen könnte. Damals verlor das knapp 400 Meter lange Schiff in stürmischer See 342 Container. Vor allem Borkum war von der Verschmutzung betroffen. Niemand wurde verletzt - doch die Folgen beunruhigen Kommunen an der Küste und Naturschützer noch immer.
Was ist seit dem Unglück in der Nacht zum 2. Januar 2019 passiert?
Nach monatelangem Aufräumen wurden die Bergungsarbeiten an der deutschen Nordseeküste im November 2019 abgeschlossen - nicht alle Container wurden geborgen. Im Juni 2020, eineinhalb Jahre nach der Havarie, legte die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) ihren Abschlussbericht vor. Die Deckladung und deren Laschsystem seien enormen Krafteinwirkungen und Beschleunigungen ausgesetzt gewesen. Dies habe zum Einsturz von Containerstapeln geführt, hieß es darin.
Welche Empfehlungen gab der Untersuchungsbericht?
Die BSU-Experten legten mehrere Empfehlungen den übergeordneten Behörden vor: Unter anderem riet die BSU, zu prüfen, ob die geltenden Regelungen zur Ladungssicherung insbesondere bei sehr großen Containerschiffen den gegenwärtigen Anforderungen entsprechen. Zudem wurde der verpflichtende Einbau von Neigungssensoren in Schiffen vorgeschlagen, mit denen Kapitäne frühzeitig gewarnt werden können. Auch die küstennahe Route, die in flachem Gewässer vor den Ostfriesischen Inseln verläuft und die die „MSC Zoe“ befuhr, schauten sich die Experten an. Sie sahen zwar keine hinreichenden Anhaltspunkte, durch die der Unfall im nördlichen Tiefwasserweg nicht passiert wäre - sie empfahlen aber zu prüfen, ob diese Route für sehr große Schiffe weiterhin geeignet sei.
Wie sieht es mit der Umsetzung der Empfehlungen aus?
Das Bundesverkehrsministerium hat zugesagt, die Empfehlungen in Expertengremien zu prüfen. Einzelne Maßnahmen, etwa der Versand von Sturmwarnungen an Schiffe, seien bereits beschlossen worden, teilt das Ministerium mit. Technische Empfehlungen, etwa zur Ladungssicherung, werden dagegen noch ausgewertet. Zudem verweist die Behörde auf Verhandlungen bei der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO), bei der internationale Standards für die Seeschifffahrt abgesprochen werden. Etwa soll dort in Kürze von deutscher Seite ein Entwurf eingebracht werden, der die verpflichtende Ausrüstung von Neigungssensoren in Containerschiffen und Massengutfrachtern vorsieht.
Welche Kritik gibt es?
Naturschützer und Kommunalpolitiker fürchten, dass es erneut zu einer Havarie kommen könnte - die Umsetzung von Gegenmaßnahmen dauert ihnen zu lange. Außer Appellen und Ankündigungen sei kaum etwas passiert, bemängelt die Grünen-Landtagsabgeordnete Meta Janssen-Kucz (Leer). Stattdessen werde weiter auf das Prinzip Hoffnung gesetzt. Ähnlich sieht es auch der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste (SDN), Gerd-Christian Wagner: „Die Jahre gehen seit dem riesigen Containerverlust der „MSC ZOE“ ins Land und für unsere Nordseeküste ist noch immer kein höheres Maß an Sicherheit in Sicht.“ Vor allem die Verlegung der küstennahen Schifffahrtsroute ist für viele drängendstes Thema. „Wir erwarten da endlich eine Reaktion“, sagt auch Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos). In Abstimmung mit dem Wattenmeer Nationalpark-Beirat wolle sich die Insel daher demnächst an das Bundesverkehrsministerium wenden.
Warum fahren überhaupt noch große Containerschiffe bei Sturm die küstennahe Schifffahrtsstraße?
Vom Bundesverkehrsministerium heißt es dazu, die Fragen zur Verkehrswegeführung seien komplex und würden in Fachgruppen diskutiert. Auch verweist das Ministerium auf die IMO - dort werden Schifffahrtsrouten geprüft und völkerrechtlich bestätigt. Das Land Niedersachsen forderte bereits 2019 mit einer Bundesratsinitiative den Bund auf, sich für eine Verschärfung der Schifffahrtsrouten-Regelung auf internationaler Ebene einzusetzen. Tanker und Gastankschiffe bestimmter Größen sind bereits dazu verpflichtet, küstenferne Routen zu befahren.
Wie hoch ist das Verkehrsaufkommen auf dieser Route (bei Sturm)?
Grundsätzlich zählen die Schifffahrtsrouten vor der deutschen Küste zu den meistbefahrenen der Welt. Bei Sturm befuhren laut Bundesverkehrsministerium zuletzt aber weniger große Containerschiffe die küstennahe Route in der Nordsee. Grund seien Warnmeldungen, die seit kurzem vor oder bei Sturm per UKW-Seefunk an die Schiffe gesendet werden. „Das System wird gut angenommen“, teilt das Ministerium mit. Zahlen nennt das Haus aber nicht.
Wie groß ist die Umweltverschmutzung aktuell noch?
Nach dem Unglück sorgte die Verschmutzung der Nordsee und vieler Strände für Empörung. Von den 342 Containern waren 297 in niederländischen Gewässern bei der Insel Ameland und 45 in deutschen Gewässern vor der Insel Borkum versunken. Ein Drittel der über Bord gegangenen Ladung konnte nicht geborgen werden und liegt wohl noch lange Zeit auf dem Meeresgrund. 108 Tonnen Ladung, darunter Spielzeug und Fernseher, wurden auf Borkum monatelang angespült. Die Feuerwehr, Mitarbeiter der Stadt und Inselbewohner halfen, den Strand aufzuräumen. Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Zwar werde immer wieder Plastik an den Stränden angespült. „Das ist aber eher normaler Müll, der ja auch die Meere verschmutzt“, sagt Bürgermeister Akkermann.

Freiwillige sammeln am Strand der niederländischen Insel Ameland angespülte Waren ein, die aus den über Bord gegangenen Containern der "MSC Zoe" stammen.
Wie groß ist die Gefahr, dass sich ein solches Unglück wiederholt?
Neben Anrainern und Naturschutzverbänden sieht auch das niedersächsische Umweltministerium weiter eine „sehr große Gefahr“, dass havarierte Großcontainerschiffe im Sturm im Nationalpark Wattenmeer auf Grund laufen könnten, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag kürzlich hervorging. Demnach bräuchten auch die bei Stürmen für Notfälle auf der Nordsee postierten Schlepper bis zu zwei Stunden zu einem Havaristen. Werde aber ein Containerschiff aus der Schifffahrtsstraße vor der Küste abgetrieben, könne es binnen 50 Minuten in das weniger als zehn Meter tiefe Wasser vor den Inseln geraten und dort auf Grund laufen.
Erst Anfang Dezember hatte ein weiterer möglicher Containerunfall für Aufsehen gesorgt. Ein niederländischer Fischer hatte weit draußen auf der Nordsee gemeldet, dass sein Netz sich an versunkenen Containern verfangen habe. Die Suche nach Containern blieb aber ohne Erfolg.

Ein Bergungsschiff hebt vor der Nordwestküste der Niederlande einen Container vom Meeresboden.