Raum und Uhrzeit sind zwar genannt; doch dann folgt nur ein einziges Wort: „geheim“. Weitere Infos gibt es nicht. An diesem Freitag befasst sich der Wahlprüfungsausschuss des Landtages erstmals inhaltlich mit der Frage, ob die Landtagswahl vom 9. Oktober 2022 wegen erheblicher Verstöße gegen demokratische Wahlgrundsätze wiederholt werden muss. Die Beschwerdeführer und potenzielle Zeugen sind vorerst allerdings nicht geladen; die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen. Insgesamt rund 20 Einsprüche gegen das amtliche Endergebnis liegen vor. In den meisten davon geht es um mögliche Ungereimtheiten der AfD-Kandidatenliste.
Der frühere FDP-Landtagsabgeordnete Marco Genthe aus Weyhe bestreitet gemeinsam mit einem Parteifreund, dass bei der Aufstellung des Landeswahlvorschlags der AfD alles mit rechten Dingen zugegangen sei, dass insbesondere die Bewerber in einer „freien, demokratischen und geheimen Wahl“ gekürt worden seien. Ähnliche Rügen kommen auch aus der Rechts-Partei selbst. Mindestens zwei AfD-Mitglieder haben ebenfalls Einspruch eingelegt. Bei der Landtagswahl flog die FDP mit nur 4,7 Prozent aus dem Parlament. Die AfD kam dagegen auf elf Prozent und zog mit 18 Abgeordneten in das Leineschloss. Die Rechtspopulisten hätten aber gar nicht zur Wahl zugelassen werden dürfen, argumentiert der promovierte Rechtsanwalt Genthe.
Dabei geht es nicht nur um Vorwürfe des Stimmenkaufs, die der Ex-AfD-Abgeordnete Christopher Emden – ein ehemaliger Richter – kurz vor der Wahl gegen seine Partei im ZDF erhoben und die die AfD stets zurückgewiesen hatte. Genthe rügt auch, dass das Zustandekommen der Kandidatenliste verschiedene Verstöße gegen die eigene AfD-Parteisatzung darstelle. So seien unter anderem die Delegierten aus vier Kreisverbänden von der Aufstellungsversammlung ausgeschlossen gewesen.
Stellungnahme an Prüfungsausschuss
In einer aktuellen Stellungnahme an den Wahlprüfungsausschuss legt Genthe nun nach: So entspreche die Ablösung des umstrittenen Parteichefs Jens Kestner durch den Bundestagsabgeordneten Frank Rinck im vergangenen Mai wegen diverser Formfehler nicht den demokratischen Grundsätzen. Der AfD-Landesvorstand sei also gar nicht rechtmäßig im Amt, hätte somit im vergangenen Sommer auch gar keinen Wahlvorschlag einreichen dürfen. „Die so entstandene Situation ähnelt den Umständen in Bremen. Dort führte die Tatsache, dass Wahllisten von nicht legitimierten Landesvorständen eingereicht wurden, zur Nichtzulassung der AfD für die Bürgerschaftswahl“, heißt es in dem Schreiben, das dem WESER-KURIER vorliegt. Wie in Bremen hätte man auch in Niedersachsen die Liste der AfD zurückweisen müssen. Da sämtliche 18 Abgeordneten der AfD-Fraktion über diese rechtswidrige und unwirksame Liste in den Landtag gekommen seien, müsse die Landtagswahl zwingend wiederholt werden.
Hart ins Gericht geht Genthe auch mit Landeswahlleiterin Ulrike Sachs. Deren Behörde hatte im Februar den Einspruch der beiden FDP-Mitglieder für unbegründet erklärt. „Dem Vortrag der Einspruchsführer lässt sich kein Verstoß gegen Wahlrechtsvorschriften und damit kein Wahlfehler entnehmen“, heißt es in deren 15-seitiger Stellungnahme für den Parlamentsausschuss. Für mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Listenaufstellung gebe es ebenso wenig Beweise wie für den behaupteten „Kauf“ eines Listenplatzes für 4000 Euro, lässt die Wahlleiterin darin erklären. „Angesichts der sich widersprechenden Aussagen ist der dem Wahleinspruch zu Grunde gelegte Sachverhalt ungeklärt.“ Fraglich sei zudem, „ob es sich bei den behaupteten Geldzahlungen nicht vielmehr um die in vielen Parteien übliche, wahlrechtlich in der Regel aber nicht zu beanstandende Praxis einer Eigenbeteiligung der Bewerber an den Wahlkampfkosten ihrer Partei handelte“.
Genthe widerspricht: „Die Landeswahlleitung hat die Argumentation der AfD größtenteils übernommen und sich zu eigen gemacht“, kritisiert der ehemalige Abgeordnete. „Unabhängige Nachforschungen hat die Wahlleitung dagegen nicht vorgenommen, sondern lediglich Vertrauenspersonen der AfD befragt.“ Den Hinweis der Landeswahlleiterin, sie habe für ihre Prüfungen nicht ausreichend Zeit gehabt, lässt der Rechtsanwalt ebenfalls nicht gelten. „Das entbindet nicht von der Verpflichtung, Nachforschungen anzustellen.“
In der gleichen Pflicht sieht der Jurist nun auch den Wahlprüfungsausschuss. Für dessen Verfahren gelte wie vor den Verwaltungsgerichten der Amtsermittlungsgrundsatz. Das Gremium müsse den Sachverhalt selbstständig erforschen und die Beteiligten heranziehen. „Ihn trifft eine gesetzliche Aufklärungsfrist.“ Gegen die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses ist Beschwerde beim Staatsgerichtshof in Bückeburg möglich.