Plastikmüll, Dünger und Gefahrgüter machen der Nordsee schwer zu schaffen und bedrohen die dort lebenden Tiere und Pflanzen. „Die marine biologische Vielfalt und die Meeresökosysteme sind zu hohen Belastungen ausgesetzt“, heißt es im nationalen Zustandsbericht für die Jahre 2011 bis 2016, den Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) am Dienstag in Hannover präsentierte. Der Ressortchef rief die Verbraucher auf, Plastikartikel und Verpackungen zu vermeiden.
Nötig sei auch eine – notfalls verpflichtende – höhere Pfandquote für Kunststoff-Flaschen. „Der Wandel zu Mehrweg minimiert das Risiko, dass Müll im Meer landet“, meinte der Minister. Reine Freiwilligkeit könne dabei allerdings nicht der Maßstab sein. Die Zahlen aus dem Report sind dramatisch: Auf 100 Meter Nordseestrand finden sich bis zu 389 Müllteile, davon sind 88,6 Prozent aus Plastik: von Lutscherstielen über Wattestäbchen und Kaffeebecherdeckel bis hin zu Fischernetzen. Deren Überreste landen oft als Mikropartikel in den Körpern von Meeressäugern, Fischen, Weichtieren und Vögeln.
„Es ist zu befürchten, dass sich solches Plastik mittelfristig über die maritime Nahrungskette auch in unserem Essen wiederfindet“, warnte Lies. 60 Prozent der Eissturmvögel an der deutschen Küste hätten bereits zu viele Plastikpartikel im Magen; laut einer Studie der holländischen Universität Wageningen sind sogar 95 Prozent betroffen. „Die Vögel fressen dann nicht mehr und verhungern.“
Pilotprojekte zur Müllvermeidung
Der Umweltminister verwies auf diverse Pilotprojekte zur Müllvermeidung, etwa Pfandsysteme für ausgediente Fischernetze, Auffangeinrichtungen für Schiffsabfälle in den Häfen oder auch strengere Auflagen für Beachpartys. Niedersachsen müsse mit gutem Beispiel vorangehen, auch wenn man die weltweite Vermüllung der Meere nur international, mindestens aber auf europäischer Ebene angehen müsse.
Das reiche bei Weitem nicht, kritisierte die Umweltexpertin der grünen Landtagsfraktion, Imke Byl. „Die Landesregierung muss endlich konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Plastikflut zu stoppen und Müll zu vermeiden.“ Die Küstenkommunen und der Nationalpark Wattenmeer dürften mit dem angespülten Meeresmüll nicht länger allein gelassen werden, verlangte die Abgeordnete. „Die Kosten für Strandreinigungen und Müll-Entsorgung müssen über einen Fonds auf die Verursacher, also die Plastikindustrie und den Handel umgelegt werden.“ Schon im Dezember hatte die Grünen-Fraktion einen Landtagsantrag eingebracht, der die SPD/CDU-Landesregierung zu entsprechenden Aktivitäten auffordert.
Nach wie vor ist auch der hohe Eintrag von Nährstoffen und Gülle-Rückständen aus der Landwirtschaft ein Problem für die Wasserqualität der Nordsee. Diese von Experten sogenannte Eutrophierung führt zu Planktonschaum und Grünalgen, die das fürs Ökosystem wichtige Seegras verdrängen. Zwar sind dank besserer Kläranlagen Schreckensbilder von belasteten Stränden in Niedersachsen seltener geworden. Aber nur sechs Prozent der deutschen Nordseegewässer befinden sich in einem guten Zustand. In den Flussmündungen von Elbe, Weser und Ems ist dagegen die Belastung durch Nährstoffe wie Nitrate und Phosphate besonders hoch.
Ein kleiner Trost
Die Landesregierung sei hier bereits tätig geworden, erklärte Lies. Man habe inzwischen von der Ermächtigung in der Dünge-Verordnung Gebrauch gemacht und besonders belastete Gebiete ausgewiesen, in denen künftig schärfere Regeln zum Gewässerschutz gelten würden. Noch seien die Vorschriften allerdings nicht in Kraft, gab der Ressortchef zu. Das Verfahren dazu startet lautet Ministerium Ende Januar.
Als weiteres Mittel, den Nährstoff-Eintrag in Flüsse und damit letztlich auch ins Meer zu reduzieren, sieht Lies die von Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) angekündigten Gülle-Behandlungsanlagen. Damit sei ein effektiverer und umweltschonender Einsatz der tierischen Hinterlassenschaften möglich. Doch deren Errichtung lässt ebenfalls auf sich warten. Man befinde sich noch im Genehmigungsverfahren, erklärte ein Beamter des Umweltressorts. Mit Baubeginn sei aber in diesem Jahr zu rechnen.
Trotz der miesen Werte bei der Wasserqualität hatte Umweltminister Olaf Lies einen kleinen Trost parat: Die Tourismusbranche habe wegen den Vermüllung der Nordsee noch keine Einbußen hinnehmen müssen. Und eine direkte Gefahr für die Menschen bestehe nicht. „Die Urlauber können bedenkenlos in die Nordsee steigen“, betonte der Ressortchef. „Trotzdem gibt es jede Menge zu tun.“