Stephan Keller kennt sich aus mit Motoren. Aber mit keiner Maschine ist er so vertraut wie mit dieser: Deutz, 100 PS, 42 Liter Hubraum, drei Zylinder – und 82 Jahre alt. Keller nennt die Daten so, als würde er Quartett spielen. Er gehört zu einem Team, das den Motor erst zerlegt, dann wieder zusammengesetzt hat. Ein Jahr lang wurde er überholt. Und die Barkasse, zu der die Maschine gehört, gleich mit. Die „Vegebüdel“ soll das erste Vegesacker Schiff werden, das Besucher zu festen Zeiten an Bord und auf Tour nimmt. Gleich geht es auf Probefahrt. Es ist die zweite nach der Reparatur.
Alle sind an ihrem Platz. Der von Keller ist bei Lissy. Wer damit angefangen hat, den Motor so zu nennen, weiß er nicht mehr. Keller sagt, dass die Maschine nicht wie jede Maschine ist – und sie vielleicht deshalb nicht bloß Deutz genannt wird. Lissy ist nicht nur alt, sie ist auch ein Konstrukt aus zwei Motoren. Beide waren nach dem Zweiten Weltkrieg aus versenkten Fischkuttern geborgen und zu einer Maschine zusammengefügt worden. Keller schaut zum Bug. Dann klatscht er in die Hände. Die Geschichtsstunde ist vorbei. Eckhard Bögershausen hat Zeichen gegeben. Der Schiffsführer will ablegen.

Der Maschinist und seine Maschine: Stephan Keller überwacht sie während der Fahrt. Der Motor ist ein Deutz, wird aber Lissy genannt – weil er für die Crew etwas Besonderes ist.
An Deck wird es still. Alle wollen sehen, ob der Motor sofort anspringt. Vor allem aber wollen sie es hören. Das Geräusch der Maschine ist so markant, dass Keller es als Klingelton auf seinem Smartphone hat. Und so besonders, dass die Crew einen Film vom Laufen des Motors auf Youtube hochgeladen hat. Norbert Lange-Kroning macht vor, was die anderen gleich zu hören bekommen werden: „Kartüffel, Kartüffel, Kartüffel.“ Der Beauftragte des Projekts „Vegebüdel“ vom MTV Nautilus verstummt. Die Maschine ist angesprungen, gleich beim ersten Mal. Die Barkasse zittert im Takt des Motors. Keller strahlt.
Später wird er ernst gucken. Nach 20 Minuten macht der Motor nämlich, was er nach seinen Worten schon mal gemacht hat: Mätzchen. Heiner Brüning, Schiffsführer wie Eckhard Bögershausen, dreht am Steuerrad. Er findet, dass die Maschine nicht rundläuft. „Zu viele Vibrationen“. Jedenfalls sind es mehr als sonst. So ruhig wie ein Sechszylinder, meint Lange-Kroning, kann ein Dreizylinder wie Lissy gar nicht laufen. Er sagt das, als die Maschine noch macht, was sie soll – und Bögershausen planmäßig Kurs auf die Lesum nimmt. Kartüffel, Kartüffel, Kartüffel.

Ein Jahr lang ist die Barkasse von Grund auf überholt worden.
Es geht vorbei am Haven Höövt, am „Schulschiff Deutschland“, an der Winkler-Werft. Lange-Kroning zeigt auf ein Zelt, das auf dem Firmengelände steht und so groß ist wie eine Halle. Das Zelt war, wenn man so will, die Werkstatt der „Vegebüdel“. Dort ist die Barkasse, die jünger ist als der Motor – 68 – überholt worden. Lange-Kroning spricht von neuen Fenstern, neuer Technik und einer neuen Persenning. Von einem verstärkten Rumpf, einem Sanitärumbau, einem frischen Anstrich. Und von 40 000 Euro, die das gekostet hat, inklusive Maschinenreparatur.
Die Crew hat Werft-Tagebuch geführt. Es gibt Fotos, die zeigen die Arbeiten am Rumpf der Barkasse. Wie sie vor dem Anstrich aussah und hinterher. Mal aufgebockt an Land unter Plane, mal im Wasser am Steg. Öfter als das Schiff ist jedoch der Motor zu sehen. Lissy im Hochformat, Lissy im Querformat – auf den Bildern steht Stephan Keller neben ihr und schraubt. Oder ein anderes Mitglied des Teams, das die Maschine zum Laufen gebracht hat. Auf einem Bild hängt sie am Haken eines Krans, auf dem nächsten ist sie quasi halbiert, weil der Motorkopf abgenommen wurde.
Immer wieder Rückschläge
Lagerschaden. Keller, 48, Brille, ölverschmierter Blaumann, sagt das Wort so, als müsste jeder wissen, was das bei einer Maschine bedeutet. Früher war er Autoschlosser, heute ist er Systemadministrator, der in seiner Freizeit an Motoren schraubt – „zum Ausgleich, um den Kopf freizubekommen“. Doch so entspannt wie das klingt, war die Arbeit an dem tonnenschweren Schiffsmotor nicht. Immer wieder gab es Probleme, immer wieder Rückschläge. Und mit den Rückschlägen kamen die Bedenken. „Es gab Momente“, sagt Keller, „in denen habe ich mich gefragt, warum ist das Ganze eigentlich mache.“
Jetzt weiß er es. Keller schaut aus dem Fenster, in dem Wohnhäuser auftauchen und wieder verschwinden, dann auf die Ein- und Auslassventile, die im Rhythmus der Maschine hoch- und runterfahren: Tack, Tack-Tack, Tack, Tack-Tack. Für ihn ist Lissy quasi zweimal gerettet worden – als man sie nach dem Krieg aus zwei Motoren zusammengesetzt hat und nun auf der Winkler-Werft. Wie viele Arbeitsstunden er investiert hat, kann Keller nicht sagen. Kein Crewmitglied, sagt er, kann das. Weil alle irgendwann aufgehört haben zu zählen. Was eben so passiert, wenn aus Tagen Wochen und aus Wochen Monaten werden.
Es ging um hunderstel Millimeter
Und wenn man bei der Reparatur eines Motors nicht mal eben Ersatzteile ordern kann, sondern alle Ersatzteile selbst herstellen muss, weil es keine mehr gibt. „Vieles“, sagt Projektleiter Lange-Kroning, „ist von Schlossern, Drehern und Gießern nachgebaut worden.“ Und ebenso vieles musste von Hand noch mal nachgearbeitet werden. Vor allem die Lager für die Kolben. Auch davon gibt es Fotos. Sie zeigen Keller und einen Maschinenbauer, wie sie die Lagerschalen schleifen, einsetzen, schleifen, einsetzen, schleifen, einsetzen. Laut Lange-Kroning ging es nicht um Millimeter, sondern hundertstel Millimeter.
Ursprünglich sollte allein die Reparatur des Motors 60 000 Euro kosten. So viel Geld wollte jedenfalls eine Firma haben, wenn es die Maschine überholt hätte – für den Verein zu viel. Statt sie ausschließlich von anderen überholen zu lassen, setzte er deshalb auf das Know-how seiner Mitglieder, die ehrenamtlich mit anpackten. Und auf Ingenieure und Maschinenbauer, die ihnen halfen, nicht nur den Motor zum Laufen, sondern auch die „Vegebüdel“ zum Fahren zu bringen. Zum Passagierschiff sollte die Inspektionsbarkasse schon öfter umgebaut werden. Doch so richtig geklappt, sagt Lange-Kroning, hat das nie.
Bis jetzt. Die „Vegebüdel“ ist so verändert worden, dass 25 Passagiere mit ihr fahren können. Lange-Kroning und Decksmann Warnke Christoffers sitzen dort, wo später die Touristen sitzen sollen. Auf gepolsterten Bänken, neben sich das Wasser, über sich ein Dach aus Holz und Plane. Die Sonne scheint, die Wellen glitzern, doch das ist auf einmal nicht mehr wichtig. Lissy macht Mätzchen. Während Lange-Kroning und Christoffers vom Öldruck reden, hat Heiner Brüning etwas anderes aus den Geräuschen der Maschine herausgehört: „Sie fährt nur noch auf zwei Pötten.“
Deshalb will er sofort zurück nach Vegesack. „Sicher ist sicher.“ Er sagt, nicht riskieren zu wollen, dass der Motor ausgeht und die „Vegebüdel“ ohne Antrieb auf der Lesum treibt. Seine Sätze sind nur noch kurze Sätze. Brüning schaut ausschließlich nach vorn. Das „Schulschiff Deutschland“ kommt in Sicht, das Haven Höövt – und dahinter die Einfahrt zum Hafen, dann das Hafenbecken. Geschafft. Kurz vorm Anlegen beruhigt sich die Maschine. Brüning hat es gleich gehört. Trotzdem steckt Stephan Keller seinen Kopf durch die Tür des Steuerhauses und meldet: „Keine Probleme mehr.“ Er lächelt wieder.
Später wird er sagen, dass er sich die Brennstoffleitungen noch einmal vornehmen will. Dass er aber eigentlich den Brennstoff selbst im Verdacht hat, weil der schon älter ist. Und dass er mit Sperenzien gerechnet hat. Ein Motor, meint er, der so alt ist und so lange außer Betrieb war wie Lissy, kann nicht von null auf gleich laufen wie einer, der gerade vom Werk kommt. Muss er auch nicht. Bis zum Frühjahr, sagt Projektleiter Lange-Kroning, ist ja noch Zeit. Dann sollen die ersten Besucher an Bord und mit der „Vegebüdel“ auf Fahrt gehen.