Das muss der Chef seinem Besuch unbedingt noch zeigen. „Einen Moment bitte“, sagt Nerino Coccato und verschwindet in sein Büro. Es dauert nicht lange, und der Hausherr ist zurück. In der Hand hält er einen Eishockeyschläger. Langer Schaft, kurvige Kelle, ganz in Schwarz und mit einem weißen Filzstift beschrieben. „Das waren die Spieler“, sagt Coccato. Die Spieler, das sind die Profis der Fischtown Pinguins. Zum 70. Geburtstag haben sie Coccato, einem ihrer treuesten Fans, den Schläger vor vier Jahren zum Geschenk gemacht.
Alle Profis haben auf dem schmalen Griff unterschrieben. Und ein Trikot hatten sie damals auch noch dabei. Das hängt jetzt unter Glas in einem Rahmen neben der Eistheke. So sieht jeder Kunde gleich, für welchen Verein das Herz hier im Eiscafé Venezia schlägt. Wobei das in Bremerhaven eigentlich schon länger gar keine Frage mehr ist. Bremerhaven ist Fischtown. Und was Werder für die Bremer ist, sind die Pinguins für die Bremerhavener. Der Stolz der Stadt.

”Wir glauben hier an Wunder”, sagt Nerino Coccato, Eiscafé-Besitzer und langjähriger Pinguins-Fan.
Ab diesem Mittwoch haben die Eishockeyspieler die Chance, Deutscher Meister zu werden. Vier Spiele müssen sie dafür gewinnen. Einziges Problem: Meister will auch der Gegner werden, und das sind die Eisbären aus Berlin. Der Klub aus der Hauptstadt ist so etwas wie der FC Bayern des Eishockeys. Es wäre ein Wunder, würden die Pinguins gegen diesen Gegner tatsächlich den Titel holen. „Wir glauben hier an Wunder“, versichert Coccato.
Als an diesem Montag Bustickets und Eintrittskarten für das erste Auswärtsspiel im Apollo verkauft wurden, gingen viele Fans leer aus, so groß war die Nachfrage. Eine Stadt bekennt sich. Vor dem Eingang des Hotels „The Liberty“ hat die Geschäftsführung ein Banner aufgespannt. „Eine Stadt, mein Verein, foREVer“, steht darauf. Das REV ist dabei eine Reminiszenz an den Roll- und Eissportverein Bremerhaven, den Stammverein der Pinguins.

Ein klares Bekenntnis: Was für Bremen Werder ist, sind für Bremerhaven inzwischen die Pinguins, das sportliche Aushängeschild.
Nur ein paar Meter entfernt vom Liberty hatten die Mitarbeiter der Tourist-Information gerade erst einen außergewöhnlichen Fototermin. „Sechs Kollegen waren wir, alle im Fischtown-Trikot“, sagt ein Mitarbeiter, der gerade die Tür abschließen will. Aber wenn es darum geht, über die Pinguins zu sprechen, verschiebt der Mann seinen Feierabend gern um ein paar Minuten nach hinten.
„Hier“, sagt er und zeigt auf die Regale für Broschüren und Andenken. Zwei Schals hängen dort, „Ein Traum wird wahr“, steht auf einem. Dazu noch eine Fahne, „und dort der Kralli“. Natürlich Kralli, das Vereinsmaskottchen als Stofftier. „Wenn Sie einen Eishockeyspieler in voller Montur sehen möchten, müssen Sie zu Mode Steffen ins Columbus Center gehen“, sagt der Mann zum Abschied noch. Er will jetzt tatsächlich abschließen.
- Sehen Sie auch unser Video zum Thema: So wollen die Fischtown Pinguins die Eisbären Berlin schlagen
Bei Mode Steffen haben sie eine Idee von vor zehn Jahren wieder aufleben lassen. Damals schickten sich die Pinguins an, in der zweiten Liga Meister zu werden. Mit Erfolg. Jetzt, eine Liga höher, soll sich das wiederholen, und deshalb haben die Mitarbeiter die Schaufensterpuppe wieder aus dem Lager geholt und eingekleidet. Gelber Helm, rotes Trikot, Rückennummer 18, schwarze Handschuhe und schwarze Hose gleich neben den Jacken, Poloshirts und Hemden aus der aktuellen Sommerkollektion.
Der Chef bedient gerade noch einen Kunden. Zeit, um in der Sitzecke in den Magazinen zu stöbern, die hier ausliegen. Von der Titelseite des Lotsen, „Deinem Gute-Laune-Magazin für Bremerhaven und umzu“, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, grüßen unter der Überschrift „Auf geht’s Fischtown“ Publikumsliebling Jan Urbas und der inzwischen in Rente gegangene Erfolgsmanager Alfred Prey. Im Innern des Hefts sagt Urbas: „Ich habe hier die beste Zeit meiner Karriere“.
"Bei Wind hat man gefroren, mal Regen war der Rücken pitschenass"
Das kann Jörn Langfermann als Fan auch gerade guten Gewissens behaupten. Das Kundengespräch ist beendet, und jetzt erinnert sich der Filialleiter an die alten Zeiten, als er noch im zugigen Stadion, liebevoll Fischdose genannt, im Publikum stand. „Bei Wind hat man gefroren, und bei Regen war der Rücken pitschenass.“ Wenn sonst das Wetter ein gutes Thema zum Smalltalk ist, sind es jetzt die Pinguins. Langfermann war kürzlich in der Schweiz, in Davos, einer Eishockey-Hochburg. „Auch dort waren die Pinguins Thema.“ Langfermann findet das toll, denn wenn sonst über Bremerhaven geredet wird, ist das selten schmeichelhaft für die Stadt.
„Endlich mal positive Nachrichten“, sagt auch Dani Yasharovi. Denn sonst? Die Arbeitslosenquote: hoch. Bei der Bildung: weit hinten. Im Schuldneratlas: Schlusslicht. Vor zwei Jahren drohte im Hafen der Molenturm umzukippen, noch zwei Jahre früher war der Traditionssegler „Seute Deern“ gesunken. Das sind die Nachrichten, mit denen es Bremerhaven sonst ins Radio oder in die Zeitung schafft. Und jetzt? Lief sogar im Heute-Journal ein Bericht zum Finaleinzug. „Das macht die Menschen stolz“, sagt die Wirtin des Schabernak in der Hafenstraße.

”Natürlich werden wir Meister”, sagt Dani Yasharovi, die mit ihrem Ehemann Alex das Schabernack in der Hafenstraße betreibt.
Das Schabernak ist die Pinguins-Kneipe in der Stadt. Der Fanclub „Feuer und Eis“ ist hier zu Hause. Am Zapfhahn prangt ein Pinguins-Emblem. An den Wänden hängen Spielertrikots; Moore, Nieminen, Dejdar, McPherson. Zweifel am neuen Meister gibt es keine. „Natürlich wir“, sagt Yasharovi beinahe empört. Auf einer Magnettafel, die geformt ist wie ein Eishockeyschläger, haften Pucks mit den Wappen der 14 Erstliga-Klubs. Nach jedem Spieltag wird die Tabelle aktualisiert. Seit Wochen auf eins: die Pinguins.
Auf der Leinwand zeigen sie hier jedes Spiel. 70, 80 Leute sind an Spieltagen keine Seltenheit. Bei jedem Tor, das die Pinguins schießen, gibt es für die Gäste einen Kurzen auf Kosten des Hauses. Im Eiscafé Venezia denken sie in diesen Tagen auf einer anderen Idee herum. Warum nicht ein spezielles Eis für die Pinguins und ihre Fans, wenn es mit der Meisterschaft klappt? Über die Zutaten ist sich Seniorchef Nerino Coccato noch nicht ganz im Klaren. Nur die Geschmacksrichtung steht fest. Süß müsste es sein. Süß wie ein Sieg.