Ein Feiertag hatte es werden sollen. Schließlich stand das 1000. Länderspiel in der Historie der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf dem Plan. Und die Herzen der Fans will die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick ohnehin gern nach weitgehend erfolglosen Jahren zurückerobern. Gelungen ist das am Montagabend nur in Ansätzen. Weil es bei der Rückkehr an den Osterdeich für das DFB-Team gegen die Ukraine mit großer Mühe noch ein 3:3 (1:2) gab.
Der Ball rollte noch gar nicht, da wurde die besondere Bedeutung des Spiels noch einmal ganz deutlich. Und zwar genau in dem Moment, als die Spieler der ukrainischen Nationalelf mit um den Oberkörper gebundenen Flaggen ihres Heimatlandes den Rasen betraten. Kurz zuvor hatte DFB-Präsident Bernd Neuendorf zudem einen kleinen Einblick in seine Gespräche mit der Gäste-Delegation gewährt und berichtet, dass die fußballerische Begegnung auch für die Soldaten im Krieg enorm wertvoll sei, viele von ihnen das Spiel via Handy live an der Front mitverfolgen, gemeinsam die Nationalhymne singen würden.
Aus Bremen – so viel wurde schnell deutlich – wurde an diesem Montagabend neben allerlei Hoffnung stiftenden Emotionen auch ein Stück Normalität in den Osten Europas geschickt. Wenngleich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier davor warnte, den rein sportlichen Vergleich zu überhöhen. „Ein Fußballspiel kann eine Kriegssituation nicht verändern, das müssen wir in der Politik tun“, betonte er im Weserstadion während eines Gesprächs mit dem ZDF. „Wir können nur hoffen, dass die Ukraine diesen Krieg in den nächsten Wochen gewinnen wird.“
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Aber natürlich stand an diesem Abend in Bremen, dem ersten mit einer deutschen Nationalmannschaft seit dem Jahr 2012, auch der Sport im Fokus. In Niclas Füllkrug bekamen die Zuschauer in der ausverkauften Arena den Toptorjäger des SV Werder Bremen in der Startelf zu sehen, und der 30-Jährige hätte nach nicht einmal zwei Minuten direkt die Führung der deutschen Auswahl erzielen müssen. Nach einem völlig verunglückten Rückpass auf den Torhüter kam Füllkrug freistehend an den Ball, zielte dann aber knapp am gegnerischen Kasten vorbei.
Wenig später ertönte das altbekannte Nebelhorn dann aber doch zum ersten Mal. Marius Wolf war von der rechten Seite in den Strafraum gezogen und dabei nicht richtig gestört worden. Den Abschluss des Dortmunders lenkte Füllkrug dann unhaltbar zum 1:0 ins Netz (6.) und wunderte sich beinahe, dass seine Teamkollegen ihn beim Jubeln allein ließen und stattdessen Wolf beglückwünschten. Es war sein siebter Treffer im siebten Länderspiel.
Verschiedene Abwehrformationen im Test
Und Deutschland kontrollierte zunächst weiterhin das Geschehen. Der gebürtige Bremer Julian Brandt war von Füllkrug schön auf die Reise geschickt worden, anschließend rauschte der Ball einmal quer durch den Strafraum zum Leipziger David Raum, der dann aber nur das Außennetz traf (11.).
So gut das Angriffsspiel anfangs funktionierte, so sehr haperte es dann wie schon bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Winter im Rückwärtsgang. Bundestrainer Hansi Flick, der die jetzigen Partien dazu nutzen will, um im Vorfeld der Heim-EM 2024 auch verschiedene Abwehrformationen auszuprobieren, sah nach 18 Minuten, wie ein Brandt-Fehlpass die Ukrainer ins Kontern brachte – und es nach einem anschließenden Steilpass auf Viktor Tsygankov prompt das 1:1 setzte. Nur fünf Minuten später leistete sich das DFB-Team den nächsten Ballverlust, in dessen Verlauf Real Madrids Antonio Rüdiger einen Abschluss von Chelsea-Profi Mykhailo Mudryk unglücklich ins eigene Tor lenkte (23.).
Die Gastgeber suchten nach der passenden Antwort, setzten sich auch immer wieder am Strafraum fest, doch dann agierten sie viel zu umständlich. Mehr als ein guter Distanzschuss von Leon Goretzka sprang so lange nicht heraus (29.). Auf der anderen Seite offenbarten die Deutschen immer wieder böse Schwächen bei gegnerischen Kontern, trotz fehlenden Zugriffs kamen sie vor der Pause aber in zwei Szenen ohne weiteren Rückschlag davon (27./44.). Den klangvollen Schlusspunkt des ersten Durchgangs setzte dann Bayern-Profi Leroy Sané, der mit einem schönen Freistoß nur die Latte des ukrainischen Tores scheppern ließ (45.+2).
Füllkrug blieb nach der Halbzeitpause in der Kabine
Als dann die zweite Hälfte begann, erntete Bundestrainer Flick vereinzelte Pfiffe, denn der 58-Jährige hatte den Arbeitstag von Niclas Füllkrug bereits für beendet erklärt. Der Werder-Star blieb in der Kabine, für ihn kam Kai Havertz vom FC Chelsea. Auch Nico Schlotterbeck durfte vorzeitig duschen, für ihn kam Lukas Klostermann in die Partie. Kurz darauf wurde dann schon wieder gepfiffen. Dieses Mal hatte Brandt mit einem halbhohen Rückpass Matthias Ginter unter Druck gesetzt, der prompt die Kugel verlor und so das 1:3 durch Tsygankov begünstigte (56.).
Um die Stimmung wieder zu steigern, wählte das Publikum kurzerhand einen amüsanten Umweg und startete erst einmal laute „Werder Bremen“-Rufe. Auf dem Rasen suchte die deutsche Auswahl weiterhin nach offensiven Akzenten, ein Havertz-Schuss flog allerdings deutlich über das Tor (64.), während gleich zwei Versuche des eingewechselten Jamal Musiala abgeblockt wurden (64./67.). Später zielte Rüdiger nach einer Ecke daneben (74.), dann geriet ein Sané-Abschluss zu ungenau (78.). Ein echtes Feuerwerk brannte die DFB-Elf trotz dieser Gelegenheiten nicht ab, wirklich mitreißend oder gar begeisternd war die Darbietung auch weiterhin nicht. Im Gegenteil: Je länger die Begegnung dauerte, desto häufiger drückten die Fans lautstark ihren Unmut aus.
In der Schlussphase kam dann aber doch noch einmal Freude im deutschen Lager auf. Nach einem weiten Ball in die Spitze setzte sich Havertz gegen seinen Gegenspieler durch und verkürzte auf 2:3 (83.). Und Deutschland wollte mehr, plötzlich war auch die Kulisse wieder da. Nachdem Havertz dann wenig später im Strafraum zu Fall gebracht wurde, verwandelte Joshua Kimmich sogar noch den fälligen Strafstoß zum 3:3-Endstand (90.+1). Und wahrscheinlich gab es dadurch das passendste Ergebnis für diesen so symbolträchtigen Abend.