Ein Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien – das war viele Jahrzehnte ein Straßenfeger mit Einschaltquoten im zweistelligen Millionenbereich. Heute muss die Mannschaft um ihre Zuschauer kämpfen, weil sie in jüngster Zeit nur noch selten so schöne Abende bescherte wie am Dienstag beim 5:2 gegen Italien. Immerhin gab es diesmal die höchste Einschaltquote seit zwei Jahren.
Viele Fußballfans wägen ab, ob sie sich noch jedes Länderspiel ansehen. Die Stadien sind bei den Heimspielen nur noch selten ausverkauft, obwohl die Partien neuerdings in kleineren Arenen stattfinden, damit nicht zu viele Plätze leer bleiben. Ein Klassiker wie gegen Italien wäre früher in den großen Stadien in München, Berlin oder Dortmund zur Aufführung gekommen, diesmal wurde in einer Stadt gespielt, in der viele der italienischen Profis noch nie waren: Mönchengladbach. Mit 44.144 Zuschauern war das kleinere Stadion am Niederrhein immerhin voll und bot eine schöne Kulisse für das Torfestival.
Nach den langweiligen Länderspielen der jüngsten Zeit wirkten die fünf Treffer gegen den namhaften Gegner geradezu erlösend. Es war höchste Zeit für einen solchen Sieg. Denn auf der Suche nach einer neuen Identität, einer begeisternden Spielweise und mehr Akzeptanz ist die Mannschaft ins Schlingern geraten. Nach den Siegen in der WM-Qualifikation gegen kleinere Nationen stockte das Aufbauprogramm von Bundestrainer Hansi Flick. Vier maue 1:1-Unentschieden reihten sich bis zum Erfolg gegen Italien aneinander.
Zwischenzeitlich geriet der Bundestrainer selbst ins Zweifeln angesichts der eintönigen Darbietungen. Er mahnte, machte einzelnen Spielern Druck und ärgerte sich darüber, dass seine Mannschaft noch nicht weit genug sei. Dazu passten die Aussagen von National-Manager Oliver Bierhoff, der fünf Monate vor der Winter-WM in Katar zugab, es gehe für Deutschland darum, „wieder den Anschluss an die führenden Fußball-Nationen zu finden“.
Wann genau Deutschland als viermaliger Weltmeister aufgehört hat, eine führende Nation in diesem Sport zu sein, lässt sich nicht definieren. Spätestens bei der WM 2018 in Russland war es soweit – als man mit einem so überheblichen wie langsamen Spielstil erstmals in der Gruppenphase ausschied. Bei der letzten Europameisterschaft lief es nicht viel besser, da führte das Aus im Achtelfinale zum Ende der Ära Löw.
Wenn Bierhoff heute erklärt, man sei nach dem Triumph bei der WM 2014 in Brasilien „zu selbstverliebt und nicht mehr neugierig genug“ gewesen und deshalb von anderen überholt worden, muss man zwei Dinge dazu sagen: Es wäre seine Pflicht gewesen, eine solche Entwicklung zu korrigieren, statt die Kritik in diesen Jahren wegzulächeln. Und vor allem muss der deutsche Fußball das Kernproblem angehen: In den Nachwuchsleistungszentren werden zu wenige Spielerpersönlichkeiten ausgebildet, die sich auf höchstem Niveau behaupten können.
Die jetzige Mannschaft, das lässt sich nach nur einem Sieg in den vier Länderspielen dieses Monats attestieren, ist ein zerbrechliches Gebilde. Nur die Weltmeister Manuel Neuer und Thomas Müller sind Führungsspieler, mit Abstrichen noch Joshua Kimmich und Ilkay Gündogan. Ansonsten besteht der Kader aus austauschbaren Mitläufern, die in Sachen Leidenschaft und Können nicht an frühere, erfolgreiche Generationen heranreichen. Masse statt Klasse führt schnell zu einem gesichtslosen Team.
Vor früheren Turnieren gab es die Sorge, ob der Kader in der Breite gut genug sei. Heute ist die Frage, ob es genügend Spitzenleute gibt. Für Flick ist es herausfordernd, eine Mannschaft zu formen, die bei der WM in Katar bestehen kann. Der 5:2-Sieg gegen Italien darf nicht blenden: Bei den Gästen spielten viele junge Talente mit.
Doch wenn einer so ein Projekt schafft, dann Flick. Als Trainer des FC Bayern formte er aus einem taumelnden Kader binnen weniger Monate ein Team, das alle Titel gewann. Dabei setzte Flick auf einen mitreißenden Führungsstil und auf konsequente Personalentscheidungen. Beides wird er bei der WM brauchen. Dann schaut wieder die ganze Nation zu. Und mit den Einschaltquoten steigen auch die Erwartungen.