Der SV Werder hat sich in seiner Geschichte schon so manchen Ruf erarbeitet, der in den besten Fällen viele Jahre am Verein haftete, auch wenn es gar keinen Grund mehr dafür gab. So steht Werder Bremen in der Wahrnehmung vieler Fans in Deutschland immer noch für attraktiven Offensiv-Fußball oder für die Raute im Mittelfeld. Dabei ist es schon lange her, dass die Grün-Weißen mit Könnern wie Johan Micoud, Diego, Mesut Özil oder Claudio Pizarro auf dem Feld für Furore sorgten oder die Fachredakteure des Magazins „Kicker“ bei ihrer Ranglistenkonferenz in Nürnberg viele Stunden die Frage diskutierten , ob die beiden äußeren Spieler der Bremer Mittelfeldraute nun in die Kategorie „Offensives Mittelfeld“ einzustufen wäre (also zu einem Micoud) oder ins defensive Mittelfeld (also zu einem Frank Baumann).

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Apropos Baumann. Der heutige Manager lieferte einen der Gründe für das Image, das sich die Bremer in den letzten Jahren ihrer Bundesligazugehörigkeit erwarben: Dass sie nämlich auf dem Transfermarkt gut pokern können und wenn nötig bis zur allerletzten Minute warten, um kurz vor Ende des Transferfensters einen überraschenden Neuzugang zu präsentieren. Wenn man die Fanbrille einmal ablegt, war das in einigen Fällen jedoch weniger genial, als vielmehr den Umständen geschuldet. Werder hat weniger Geld zu Verfügung als viele Konkurrenten, auch deshalb wollte Baumann oft warten, bis sich irgendwo eine günstige Gelegenheit auftut. Und er wollte handlungsfähig sein, sollte nach den ersten Wochen der Saisonvorbereitung durch Verletzungen noch eine Lücke im Kader entstehen.
Auf diese Weise kamen im Sommer 2019 die Abwehrspieler Ömer Toprak (Dortmund) und Michael Lang (Mönchengladbach) an die Weser, obwohl eigentlich die Überzeugung im Verein vorherrschte, dass man eher für die Offensive etwas tun sollte. Doch dann fielen der Reihe nach die Abwehrspieler aus. Einen Sommer zuvor verpflichtete Werder Nuri Sahin am letzten Tag des Transferfensters aus Dortmund. Sie alle – Toprak, Lang, Sahin – einte jedoch, dass sie mit einem Makel behaftet waren, und das war ja auch der Grund, weshalb ihre Vereine sie gerne abgaben. Lang fehlte die Qualität für die Bundesliga, deshalb hatte er in Gladbach viele Monate nicht mehr gespielt. Toprak hatte eine Krankenakte, die dicker wirkte als seine Wadenmuskulatur. Und Sahin war im gleichen Maße langsam, wie er in der Kabine laut war – er war in seinem Auftreten und seinem Selbstverständnis fast mehr Trainer als Abräumer. In Bremen fanden sie alle eine neue Heimat, doch schnell fielen diese Makel auch hier auf und führten mit in die sportliche Krise.
Etwas neidisch schauten manche Werder-Fans damals zu Vereinen wie Borussia Mönchengladbach. Dort wirkte mit Max Eberl ein Manager, der anders agierte. Er verkaufte jeden Sommer einen Star, den man selbst geformt hatte – und stellte sich mit diesem Geld früh einen Kader zusammen, der mit Beginn der Vorbereitung komplett war und die europäischen Plätze angreifen konnte. Als die anderen Vereine noch am Kader bastelten, war Gladbach längst fertig.
Das hatte Vorteile: Eberl gestaltete den Kader nach eigenen Vorstellungen. Vereine wie Werder mussten warten, bis irgendwo ein Spieler auf den Markt kam, der gut passen könnte. Gladbach sicherte sich früh vor allem jüngere Spieler, die noch eine Wertentwicklung versprachen. Ein Toprak, der mit 30 Jahren zu Werder kam und viele Millionen Ablöse kostete, wäre für die Borussia eher nicht interessant gewesen. Gladbach musste im Winter selten nachlegen, um die Ziele noch zu erreichen. Werder hingegen litt im Winter 2019/20 unter einer zu kleinen und wenig robusten Mannschaft, deshalb kamen vor der Rückrunde die groß gewachsenen Kevin Vogt und Davie Selke. Diese Sonderausgaben musste der Aufsichtsrat genehmigen. Letztlich half vor allem Vogt beim Erreichen der Relegationsspiele gegen Heidenheim, die zum Klassenerhalt führten.
Seit ein paar Wochen wird bei Werder konkret am neuen Kader gearbeitet, und es scheint, als hätte man aus den Fehlern der Vergangenheit wichtige Schlüsse gezogen. Vereinsintern hatte man sich das fest vorgenommen. Heute stehen mit Niklas Stark, Amos Pieper und Dikeni Salifou schon drei vielversprechende und entwicklungsfähige Neuzugänge fest, bevor das erste Training der Saisonvorbereitung begonnen hat. Und mit Sapreet Singh wurde ein verletzter Spieler nun eben nicht vom FC Bayern gekauft, auch wenn man den Neuseeländer mit dem Makel einer Verletzung günstiger bekommen hätte. Wenn Werder den Klassenerhalt schafft, wird man sich an diese frühen Entscheidungen erinnern. Sie können auch zu einem neuen Image beitragen.