Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Die Rolle der Fans – ein Essay Zwischen Macht und Ohnmacht

Die Rolle der Fans im modernen Fußball wird immer komplexer. Ein verregnetes Spiel in Bochum offenbart die Spannungen zwischen Spielern, Vereinen und Fans. Doch wer hat hier wirklich die Macht?
05.05.2024, 07:28 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Zwischen Macht und Ohnmacht
Von Jean-Julien Beer

Wie kompliziert die Beziehung zwischen Fans und Fußballstars sein kann, zeigte sich an einem verregneten Tag im Februar in Bochum. Der FC Bayern war zu Gast im Stadion an der Castroper Straße. Für alle, die eines der 26.000 Tickets ergattern konnten, ist das normalerweise ein Festtag.

Diesmal kamen die Bayern sogar mit Harry Kane, ihrem 100-Millionen-Stürmer. Dass der Kapitän der englischen Nationalmannschaft in seinem Leben mal an der Castroper Straße spielen würde, schien abwegig. Bis die Bayern ihn aus London wegkauften und mitbrachten.

Doch dann rollte der Ball nicht. Zweimal musste das Spiel zwischen Bochum und Bayern unterbrochen werden. Der Schiedsrichter schickte die Mannschaften sogar für ein paar Minuten in die Kabine. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch. Grund dafür waren Fanproteste gegen einen Investoren-Einstieg in der Bundesliga.

Kane gehört zum Millionenspiel

So entstand ein Bild mit Symbolkraft: Als seine Mitspieler auf Bitten des Schiedsrichters in die Kabine trotteten, stand Kane noch auf dem Feld. Es goss in Strömen. Kane, der Superstar dieser Liga, schaute sich ratlos um. Er schüttelte den Kopf - und schien zu fragen: Leute, sind wir nicht alle wegen dem Fußballspiel hier?

Die Antwort: Er schon, aber viele andere eben nicht. Kane muss sich wie in einer fremden, irrationalen Welt gefühlt haben. Den Großteil seiner Karrriere verbachte er in der englischen Premier League, der durchkommerzialisiertesten Fußballiga der Welt. Würde es im Fußball nicht um Millionengeschäfte und Investitionen gehen, wäre Kane nicht bei den Bayern gelandet und nie an der Castroper Straße. Doch statt ihn zu bestaunen, sorgten die Fans dafür, dass der Ball nicht rollte.

Lesen Sie auch

Wegen dieser Proteste, die in der Bundesliga eskalierten, wurde der Investoreneinstieg tatsächlich gestoppt. Die Fans setzten sich durch, die Fußballmanager kuschten. Wobei man fragen muss: Waren es wirklich DIE Fußballfans im weiten Rund der Stadien, oder waren es die häufig maskierten und sich selbst überhöhenden Randgruppen hinter den Toren, die hier Rabatz machten? Wie viele von denen hatten wohl das komplexe Vertragswerk studiert, das einem Investor Anteile an Medienrechten ermöglichen sollte - bevor sie sich entrüstet entschieden, mit Tennisbällen, Schokotalern und ferngesteuerten Autos zu protestieren? Es ist nicht auszuschließen, dass die Rückmeldung der Fans anders ausgefallen wäre, wenn man die Zuschauer auf den Sitzplätzen gefragt hätte. Von den Logen ganz zu schweigen.

Das zahlungskräftigere Publikum hier, die Radaumacher dort – dieses Spannungsfeld beschäftigte die Bayern schon nach dem Bau ihrer modernen Arena. Als aus der Fankurve Stimmen laut wurden, die Atmosphäre bei den Spielen sei nicht mehr so toll, platzte Uli Hoeneß der Kragen. Die Fans seien für „die Scheißstimmung doch selbst verantwortlich“, tobte der Vereins-Patron und fragte, was sie sich erlauben würden: Während der Verein ihre günstigen Stehplatztickets noch subventioniere, ziehe man den Zuschauern in den Logen das dicke Geld aus der Tasche, um den ganzen Laden zu finanzieren.

Ein Plakat in der Bremer Ostkurve

Diese Wahrheit lässt sich auf jedes Bundesligastadion übertragen, auch auf das in Bremen. Mehr noch: Zuletzt wurde dort in der Ostkurve ein Banner gezeigt mit der Aufschrift „Mehr Taser für Bremer Bullen – Aufrüstungswahn stoppen!!“ - das war wohl kaum die Meinung aller 42.000 Zuschauer im Weserstadion. Genauso wie die wenig durchdachten „Scheiß DFB“-Rufe und das Plakat „Videobeweis abschaffen“, wenn Werder gerade vom Videoschiedsrichter profitiert hat. Wo die Lust auf Stimmungsmache das Nachdenken ersetzt, tut sich der Fußball mit Veränderungen schwer.

Wer hierbei wen braucht und warum, das ist spätestens seit der Pandemie eine berechtigte Frage. Damals geschah das Unvorstellbare: Um die Zahlungen der Fernsehsender und damit das Überleben der Vereine zu sichern, spielten die Ligen einfach ohne Zuschauer weiter. In den Geisterspielen kam der Publikumssport Fußball ohne das Publikum aus – da dürfte so manchem Fan gedämmert haben, dass er in normalen Zeiten eher Staffage ist, damit die Kulisse toll aussieht. Wer für teures Geld Bier und Bratwurst konsumiert und die Werbebanden beachtet, ist ein gern gesehener Gast am Rande des Spielgeschehens.

Lesen Sie auch

Nicht allen Vereinen fehlte das Geld aus dem Ticketverkauf so sehr wie den klammen Bremern. Im Gegenzug haben nicht alle Vereine das Glück von Werder, dass die Fans ihnen die Bude einrennen, sobald ein Spiel ansteht. Wo Bremen seit Jahren stets ein „Ausverkauft“ vermelden kann, leiden andere unter halbleeren Stadien. Etwa Fortuna Düsseldorf. Weil leere Ränge dem Image schaden und den Sponsoren und Sendern nicht gefallen, kam den Fortunen eine Idee: Sie verschenken ihre Eintrittskarten. „Fortuna für alle“ heißt das und wurde schon dreimal praktiziert.

Das Resultat: Die Ticketanfragen für die kostenlosen Heimspiele überstiegen die Kapazität des Stadions um das Fünffache. Der wahre Wert eines solchen Tickets sei „das Stadionerlebnis vor vollem Haus“, meint Fortuna-Vorstand Alexander Jobst. Der positive Zusatz-Effekt der plötzlich vollen Hütte: In den folgenden Heimspielen hatten sie 16 Prozent mehr Zuschauer als sonst.

Fußball vor vollem Haus kann aber auch eine Eigendynamik entfachen, die kein Verein steuern kann. In positiven Fällen wird eine Mannschaft dadurch zum Titel getragen wie Bayer Leverkusen beim Heimsieg gegen Werder. Es kann aber auch anders kommen. Man stelle sich vor, ein Trainer stünde intern in der Kritik, würde vom Publikum aber geliebt. Und dann würde dieser Trainer vor Spielbeginn das Stadion betreten, von den Fans gefeiert und würde unter tosendem Applaus eine Ehrenrunde drehen, während das Spiel seiner Mannschaft schon läuft. Unvorstellbar? Nein, denn das gab es schon: Ralf Rangnick machte es 2005 auf Schalke. Die Vereins-Bosse warfen ihn raus. Seine vielen Fans blieben frustriert zurück.

Als in München die Bayern-Fans in der Kurve den Transfer von Manuel Neuer mit ihren „Koan Neuer“-Plakaten verhindern wollten, ließ der Verein sie einfach links liegen. Heute wissen diese Fans, wie falsch sie lagen. Der Verein zeigte Stärke.

Köln machte eine spannende Erfahrung

Wie das ist, nur mit dem zahlungskräftigeren Publikum im Rücken zu spielen, erlebte der 1. FC Köln: Nach Ausschreitungen mussten 2015 die Fanblöcke hinter dem Tor für drei Spiele leer bleiben. Wo sonst lautstark angefeuert wurde, war nur grauer Beton zu sehen. Das Ergebnis: Die Stimmung im Stadion war dennoch prächtig, Köln verlor keines dieser Spiele und niemand vermisste zündelnde Chaoten. So wurde klar: Die so genannten „harten Fans“ brauchen zwar ihren Verein, diese Abhängigkeit beruht aber nicht auf Gegenseitigkeit, so lange es andere zahlende Zuschauer gibt.

Beim Handball, Basketball oder Eishockey, auch im Frauenfußball, kommen zahlungskräftige Zuschauer wegen des Sports - und nicht, um sich selbst zu inszenieren oder zu randalieren. Wenn die Fußball-Bundesliga demnächst mehr als vier Milliarden Euro Umsatz verkündet, haben die Leute in den Fanblöcken dazu mickrig wenig beigetragen. Dass sie trotzdem einen Investor verhindern konnten, ist umso erstaunlicher.

Dass es kaum noch um Fußball geht, sondern mehr um Stimmungsmache, hat der 74er-Weltmeister Sepp Maier in einem „Kicker“-Interview zu seinem 80. Geburtstag beklagt: „Wenn wir 0:5 verloren hatten, sind wir schnell in die Kabine und haben uns geschämt. Heute klatschen sie vor dem Fanblock. Machen sie es nicht, beschweren sich die Fans.“ Maier fragte deshalb: „Ja, wo sammer denn?“ Genau das, nur auf Englisch, dürfte auch Kane gedacht haben.

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)