Man kann dem Emirat Katar bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft eine Menge vorwerfen, aber eins sicher nicht: dass es sich das Turnier ergaunert hätte. Das Gegenteil ist richtig und macht alles noch viel schlimmer. Katar hat sich diese WM ganz einfach gekauft.
Die finanzielle Wucht und Zielstrebigkeit, mit der die Fußballwelt in die Wüste gelockt wurde, lässt alle Mauscheleien um frühere Weltmeisterschaften mickrig erscheinen – auch die dubiosen Millionenzahlungen, mit denen Deutschland 2006 ein Sommermärchen beschert wurde. Als das winzige Katar im Februar 2009 seine Bewerbungsunterlagen für die WM einreichte, haben alle im Fußball darüber gelacht. Die USA und Australien waren als Gastgeber die klaren Favoriten. Heute lachen nur noch die Katarer. Mit ihrer Art, Geschäfte zu machen, haben sie den größten Coup im Weltfußball gelandet.
Man muss diese Art nicht mögen, man muss sie eher scharf verurteilen – aber wer kann das in Europa und vor allem auch in Deutschland guten Gewissens tun? Es ist die bittere Wahrheit, dass sich Katar diese Weltmeisterschaft nicht in Diktaturen oder im chronisch korrupten Südamerika gekauft hat, sondern bei uns in Europa. In Frankreich, in Spanien. Und auch in Deutschland. Katar bekam nicht nur überraschend viele Stimmen (14 von 24) bei der geheimen Wahl im Dezember 2010 in Zürich, sondern schaffte es danach auch, das Turnier zu behalten – obwohl auffiel, dass es dort im Sommer zu heiß ist zum Fußballspielen. Alle mächtigen Ligen in Europa waren gegen eine Verlegung der WM in den Winter. Bis diese Haltung kippte.
Eine einzige Frage sorgte dafür, dass viele wichtige Entscheider im Fußball schwach wurden. Die Frage der Katarer lautete: Was wollt Ihr dafür haben? Wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht wurden plötzlich Wünsche erfüllt: 111 Jahre lang gab es keinen Trikotsponsor auf der Brust des FC Barcelona, dann kam die „Katar Foundation“ und zahlte dem verschuldeten Verein ein Vermögen. Jahrzehntelang interessierte sich die Welt nicht für den Fußballklub Paris St. Germain; dann kam Katar, kaufte den ganzen Laden und holte Weltstars wie Messi und Neymar nach Frankreich. In Deutschland durfte sich der FC Bayern über ein millionenschweres Sponsoring freuen, zudem schnellten die Summen für die Auslandsvermarktung der Bundesliga um das Vierfache in die Höhe. Das zahlten die Katarer nicht wirklich, um Hoffenheim gegen Augsburg in der Wüste zu übertragen.
Menschenrechte oder Tote auf den Stadionbaustellen spielten lange keine Rolle. Das Wegschauen oder Relativieren wurde mitgekauft. Auch deshalb sagte Franz Beckenbauer, seinerzeit der deutsche Vertreter beim Weltverband Fifa, den so berühmten wie schlimmen Satz: „Ich habe in Katar noch keinen einzigen Sklaven gesehen, die laufen da alle frei herum.“
Das ist so beschämend wie alles, was wir jetzt erleben. Den katarischen WM-Botschafter, der Homosexualität für eine Geisteskrankheit hält. Das Kleinreden der Menschenrechtsverletzungen durch die Fifa. Das Sabotieren von freier Berichterstattung. Das dreiste Verkleiden von Gastarbeitern als winkende Fußballfans. Das Herunterkühlen von Stadien in der Klimakrise. Und dann noch der Gipfel: Da sprach Fifa-Präsident Gianni Infantino allen Ernstes beim G 20-Treffen und wollte eine Feuerpause in der Ukraine für die Zeit der WM. Kein Töten bis zum Abschlussfeuerwerk? Erst danach wieder? Dass Infantino diese Bühne vor den Staatschefs überhaupt bekam, ist so irritierend wie seine eigene Selbstüberhöhung.
An diesem Wochenende beginnt sie, diese WM der Zwiespälte. Auch deutsche Firmen haben gigantische Summen beim Bau genau der Luxusarenen verdient, in denen wir möglichst spektakulären Protest erwarten. Viele Länder werden beim Protest nicht mitmachen, auch das werden wir erleben; die WM in Katar ist längst nicht überall moralisch umstritten. Dennoch muss gerade bei diesem Weltturnier deutlich werden: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Dass man das jahrelange Wegschauen einfach so kaufen konnte, ist unverzeihlich – und durch nichts zu rechtfertigen.