Wenn es auf Schalke brennt, gibt es zwei Möglichkeiten: die Feuerwehr rufen oder Mike Büskens. Die Wahl hängt davon ab, ob ein Notfall vorliegt oder der Ernstfall. Ist die Lage ernst, geht es in Gelsenkirchen meistens um den FC Schalke 04, zu dessen Tradition es gehört, in Problemen zu stecken. Deshalb wurde Büskens diese Woche mal wieder auf den Schalker Trainerstuhl gerufen. Nach der Entlassung von Dimitrios Grammozis soll er beim Aufstiegskandidaten bis Saisonende retten, was noch zu retten ist. Sehr oft ist das in den vergangenen Jahren schon passiert, in allen möglichen Konstellationen. Ob als Interims-Trainer, als Co-Trainer oder wenn nötig als Interims-Co-Trainer: Die Hauptsache war immer, dass Büskens hilft.
Als er das letzte Mal helfen musste, saß er auf einem Pferd. Im November 2021 war das. Der FC Schalke hatte die Kinder der Stadt zu einen Sankt-Martins-Umzug eingeladen. Und wer spielte mit rotem Umhang und Römerhelm den Martin und ritt um die Schalker Arena? Es war Büskens. „Für einen guten Zweck und ein Kinderlächeln setze ich mich auch auf ein Pferd“, meinte er und zeigte bei Instagram ein Video davon. Auch das sagt viel über ihn aus: Wo andere Fußballtrainer die Medien eingeladen hätten, um sich als heiliger Martin zu präsentieren, da existiert vom reitenden Büskens kaum ein Foto. Wenn er hilft, macht er das für die Leute und nicht für sein Image.
Um zu verstehen, warum Mike Büskens (53) einen so uneitlen Blick auf die Fußballbranche hat, lohnt ein Blick ins Frühjahr 2005. Damals wäre er beinahe gestorben. Auf fünf Prozent bezifferten die Ärzte seine Überlebens-Chancen. Das Drama begann mit einer Verletzung beim Fußball, einem Riss der Patellasehne im Knie. Mehr als 300 Spiele für Schalke hatte er der schussgewaltige Kämpfer da schon in den Knochen, im Jahr 1997 als einer der legendären „Eurofighter“ den Uefa-Cup gewonnen und zweimal den DFB-Pokal. Er ließ seine Karriere bei Schalkes Amateuren ausklingen, als ihn die Verletzung erwischte.
Der Notarzt sagte: "Jetzt musst du kämpfen!"
Nach dem Riss der Sehne wurden viele Operationen nötig, nach der siebten passierte es. Ein Magen-Darm-Virus griff seinen Körper an. Nach ein paar Tagen war Büskens so geschwächt, dass Schalkes Vereinsarzt ihn ins Krankenhaus schickte. Nach den ersten Untersuchungen musste er verlegt werden, er hatte eine lebensbedrohliche Sepsis. Der begleitende Notarzt sagte ihm: „Mike, jetzt musst du kämpfen!“
Es war kritisch. Multi-Organ-Versagen. Künstliches Koma. Büskens wurde tagelang beatmet, seine Frau saß am Krankenbett und las ihm die Schalke-Artikel aus dem „Kicker“ vor. Dieses Ringen mit dem Tod nannte er später eine „Grenzerfahrung“. Nach einer Woche wurde er geweckt und lernte in der Reha die kleinen Freuden kennen: ein paar Schritte gehen oder mal kurz sitzen. „Das alles“, sagt Büskens, „hat die Wertigkeiten für mich verändert.“
In seinem Trainerleben zog es ihn immer mal weg aus dem Ruhrgebiet, nach Fürth oder nach Wien. Aber er kam schnell zurück nach Gelsenkirchen. Es ist eine besondere Geschichte mit ihm und dieser armen Stadt: Seine Frau stammt von dort, er lernte sie beim FC Schalke kennen. Während andere Schalker Profis und Trainer gerne schick am Rhein wohnen, meistens in Düsseldorf, ist Büskens in Gelsenkirchen geblieben. Dabei kam er einst aus seiner Geburtsstadt Düsseldorf nach Schalke, in den berühmtesten Stadtteil Gelsenkirchens. Dass er nie mehr fortging, rechnen ihm die Leute hoch an. Gerade weil so viele Lichter hier ausgingen. Die Stadt der tausend Feuer erlebt düstere Zeiten, die Zechen sind zu, viele Jobs sind weg, Schalke spielt nur noch zweitklassig.
Aber sie haben noch Leute wie Büskens. Der macht in schlechten Zeiten einfach Meter, um zu helfen. Meter machen: Das sagten die Bergleute, wenn sie unter Tage malochten. Büskens nennt so sein Projekt für wohltätige Zwecke. Mit „Mike-macht-Meter“ sammelt er Spenden, auf typische Schalker Art: Ab einem Lauf von 04 Kilometern ist man dabei, mit mindestens 04 Euro.
Eine Mailadresse von Roberto Carlos
Büskens hat verstanden, was die Leute in Gelsenkirchen brauchen und wollen. Leidenschaft, Willen, Identifikation. Er lebt das. So war er als Spieler. So ist er als Mensch. Dem modernen FC Schalke ging das irgendwann verloren. Eine Konsequenz: Büskens wurde oft fortgeschickt oder zurückgestuft, wenn er dem Verein ausgeholfen hatte. Er gilt eben als ein Stück des alten Schalke, das noch für ehrlichen Fußball und große Gefühle stand. Aus allen Himmelsrichtungen holte Schalke zuletzt neue Trainer, fast immer die falschen. Jetzt muss wieder Büskens ran, zumindest bis Saisonende.
Er wollte das nicht mehr machen. Cheftrainer auf Schalke? Ein Traum, klar, aber dann wird man entlassen und muss womöglich weg aus Gelsenkirchen. Das will Büskens nicht. Er war neben Grammozis gerne Co-Trainer. Seine Idee klang lustig, aber auch logisch, als er unlängst meinte: „Macht mich doch zum Hermann Gerland von Schalke.“ Also zum ewigen Jugendförderer und Co-Trainer, der immer hilft, wenn ein neuer Chefcoach antritt.
Und der nie nachtritt, wenn ein Trainer gehen muss. Bei Instagram dankte er nun „dem Dimi“, wie er Grammozis nennt, für dessen Arbeit. 2012 bekam Büskens die DFB-Medaille „Fair ist mehr“ für vorbildliches Verhalten. Der Grund: In Fürth hatte er die Spieler und Trainer der Gäste per Handschlag begrüßt. Heute macht das jeder in der Liga, Büskens war der erste.
Als Schalkes Manager Rouven Schröder, einst Sportdirektor bei Werder, ihn nun fragte, ob er erneut als Cheftrainer aushelfen könne, sprach Büskens erst mit seiner Familie und dann mit Huub Stevens, dem Schalker Jahrhunderttrainer. Das zeigt, als welcher Zeit er kommt: aus der großen königsblauen Epoche. Heute ist er so etwas wie der letzte Schalker. Ehrlich, demütig und verwurzelt.
Fast alle auf Schalke nennen ihn „Buyo“, schon immer. Auch das ist so eine Geschichte: Büskens schwärmt für Real Madrid, er spricht deshalb Spanisch. Aus Spaß stellte er sich im Training gerne ins Tor. Einmal musste er sogar in der Bundesliga in den Kasten, weil der Schalker Torhüter Jens Lehmann in Leverkusen vom Platz geflogen war. „Buyo“ Sanchez war einst Torhüter von Real. Unglaublich, aber wahr: Die Mailadresse von Büskens beginnt seit Jahren mit dem Namen der Real-Legende Roberto Carlos, ein knallharter Linksfuß wie er.
Als ihn sein FC Schalke jetzt mal wieder brauchte, vor dem Spiel am Sonntag in Ingolstadt (13.30 Uhr), steckte Büskens wegen einer Corona-Infektion in Isolation. Dass sie ihn trotzdem unbedingt wollten, war klar. Auf Schalke ist die Lage wieder Ernst. Und der Buyo hilft.