Herr Hangartner, seit drei Jahren kommt der beste Trainer der Welt immer aus Deutschland: Zweimal gewann Jürgen Klopp die Wahl des Weltverbandes Fifa, zuletzt Thomas Tuchel. Warum dominieren deutsche Trainer die Weltspitze?
Lutz Hangartner: Weil wir in Deutschland einfach eine sehr gute Trainerausbildung haben, was übrigens auch in der Vergangenheit schon so war. Leider hängt es immer stark am Abschneiden der Nationalmannschaft, wie das in unserem Land wahrgenommen wird. Wenn Deutschland Weltmeister ist, dann hinterfragt niemand etwas. Aber wenn es so ein Desaster gibt wie bei der WM 2018 oder eine Enttäuschung wie das Aus im Achtelfinale bei der Europameisterschaft, dann werden Ursachen und Schuldige gesucht. Und dann landet man auch schnell bei der Trainerausbildung, die vom Deutschen Fußball-Bund auf den Prüfstand gestellt wurde und vor kurzem stark verändert wurde. Einige Veränderungen sind sicher positiv, aber nicht alle.
Das klingt fast so, als hätten wir trotz der bisherigen Trainerausbildung so gute Trainer…
Nun ja, ich frage dann immer: Was wollt ihr denn? Deutsche Trainer sind im Ausland top angesehen, da reden wir ja nicht nur von Klopp oder Tuchel, es gibt viele mehr. Stefan Kuntz, der mit der U21 Europameister wurde und jetzt die Türkei trainiert. Ralf Rangnick bei Manchester United. Domenico Tedesco war in Moskau, jetzt ist Sandro Schwarz dort. Roger Schmidt trainiert den Spitzenklub PSV Eindhoven. Wir hatten also über Jahre eine sehr gute Trainerausbildung. Allerdings haben wir in den letzten Jahren nicht mehr so viele gute junge Spieler ausgebildet wie andere Nationen.
Klopp und Tuchel gewannen mit Liverpool und Chelsea die Champions League. Nach der Logik hätte auch Hansi Flick Welttrainer werden müssen, als er mit Bayern alles gewann…
Er hätte diese Auszeichnung verdient gehabt. Wenn Flick mit Bayern die Champions League und den Weltpokal holt und trotzdem nicht gewählt wird, kann man die Kriterien hinterfragen.
Die englische Premier League dominiert offensichtlich alles – und wird seit Wochen von drei früheren Bundesligatrainern angeführt: Guardiola vor Klopp und Tuchel. War der Verlust dieser Trainer für die Bundesliga schmerzhafter als der Weggang mancher Spieler?
Es ist auf jeden Fall schade, dass solche Typen wie Klopp oder Tuchel nicht mehr in der Bundesliga sind. Im englischen Fußball wird das große Geld bewegt, die Liga ist sehr attraktiv – das zieht die Spitzentrainer an.
Haben Sie die Hoffnung, dass einer der drei in die Bundesliga zurückkehrt?
Wenn die einigermaßen erfolgreich sind, glaube ich das eher nicht. Von unseren Vereinen käme da wohl nur Bayern München in Frage, vielleicht noch Dortmund und eventuell RB Leipzig. Bei Klopp könnte die Nationalmannschaft mal ein Thema werden, aber die hat Flick ja gerade erst übernommen – und wenn keiner gravierenden Dinge passieren, wird er diesen Job etliche Jahre machen.

"Es hat ja schon Theater gegeben, als er Cristiano Ronaldo auswechselte": Ralf Rangnick bei Manchester United.
Für viele ist Ralf Rangnick der geistige Vater dieser besonderen deutschen Trainergeneration. Sehen Sie das auch so?
Ich kenne Ralf schon viele Jahre, er war mein Spieler in der Studenten-Nationalmannschaft. Er wird auch im Mai bei unseren Internationalen Trainerkongress in Freiburg als Referent vor Ort sein. Er ist für viele Trainer ein Vordenker gewesen, in Hoffenheim und Leipzig sind zahlreiche junge Trainer durch seine Schule gegangen, auch die jetzigen Bundesligatrainer Nagelsmann und Tedesco. Rangnick hat Maßstäbe gesetzt und viele Trainer positiv beeinflusst.
Was wird sich bei Manchester United durchsetzen: Der Ehrgeiz von Rangnick, oder der von Cristiano Ronaldo?
Es hat ja schon Theater gegeben, als er Cristiano Ronaldo auswechselte. Das ist eine Grundsatzfrage. Als Rangnick ein junger Trainer beim VfB Stuttgart war, hat er sich mit einem Star wie Krassimir Balakow überworfen, weil in seinem Spielsystem jeder Defensivaufgaben zu erfüllen hat. Das kommt bei manchen Spielern gar nicht gut an, die es gewöhnt sind, für Tore zuständig zu sein – und die Drecksarbeit sollen andere machen. So ist es bei Cristiano Ronaldo, bei dem man ehrlich sagen muss: Er ist über seinen Zenit hinaus. Wenn er die Tore nicht mehr schießt und nicht nach hinten mitarbeitet, muss man ihn als Trainer in Frage stellen. Aber die Geldgeber in England, die riesige Summen für ihn ausgegeben haben, erwarten natürlich, dass ihr Star immer spielt. Das ist für Rangnick eine ganz schwierige Nummer. Ich bin gespannt, ob er wirklich länger dort bleibt – denn er ist ein absoluter Perfektionist, manchmal auch ein Pedant. Ob die Verantwortlichen von Manchester United ihm die Zeit geben, seine Philosophie umzusetzen, bleibt abzuwarten.
Auch Tuchel kann ein nerviger Pedant sein. Als er 2017 trotz des Pokalsiegs in Dortmund gehen musste, hatte er ein schwieriges Image. Er galt als Sonderling.
Tuchel ist nicht einfach. Wenn man hört, wie Klopp früher in Dortmund mit der Vereinsführung verwoben war, die haben zusammen Bier getrunken und Karten gespielt – da ist Tuchel natürlich das genaue Gegenteil. Er hat auf solche Dinge nie Wert gelegt und sich eher in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Das konnte bei einem populären Verein wie Borussia Dortmund nicht gut ankommen, obwohl er erfolgreich war.
Musste Tuchel erst ins Ausland gehen, um zu einem Weltklassetrainer zu reifen?
Offensichtlich. Als er nach Paris ging zu all diesen Weltstars, haben sich doch viele gefragt, wie das nur gut gehen soll. Tatsächlich hatte Tuchel vorher in Belgien intensiv Französisch gelernt und sich akribisch auf den Job vorbereitet. Vom ersten Tag an ist er souverän in Paris aufgetreten. Das war total professionell. Ich glaube, dieser Schritt war sehr wichtig für ihn – und er hat es dort geschafft, mit einem Haufen voller Ich-AG´s erfolgreich zu sein. Er ist auch lockerer geworden, vielleicht lag das an der französischen Lebensart. Heute geht er beim FC Chelsea viel mehr auf die Spieler zu. So kannten wir ihn in Deutschland eher nicht.
Klopp hingegen ist ein Menschenfänger, der viele Sehnsüchte in deutschen Vereinen weckte. Plötzlich wollten alle auch so einen coolen Trainer mit Baseball-Kappe haben. Mussten Sie schmunzeln, wer alles plötzlich eine Kappe trug?
So faszinierend das Fußballgeschäft ist – manchmal kann man nur den Kopf schütteln, welche Auswüchse so etwas haben kann. Klopp ist halt ein Strahlemann und stellt was dar. Aber was nützt mir als Verein so ein zweiter Klopp, wenn es keine Punkte gibt? Die Besonderheit bei Klopp ist: Er kommt nicht nur gut bei den Leuten an, er arbeitet auch sehr erfolgreich. Und: Seine Chefs in den Klubs haben ihm Zeit gegeben. Wenn ein Verein vom Trainer überzeugt ist, muss er auch zu ihm halten, wenn es mal nicht so gut läuft. Trainer werden viel zu schnell rausgeschmissen. Klopp hat oft betont, wie wichtig es für ihn war, die nötige Zeit zu haben, um das Team zu entwickeln. Vielleicht sollten manche Klubs auch darauf mal achten, und weniger auf die Kappe.
Vor dieser Saison waren es aber die Trainer, die plötzlich trotz laufenden Vertrages zum nächsten Klub wollten. Wie passt das zusammen?
Dass Trainer heute von sich aus zu einem größeren Klub wechseln wollen, ist für mich ein Zeichen der Zeit. Man kann das natürlich verurteilen, weil Trainer auch Vorbilder sein sollten. Anderseits: Wenn die Klubs keine Skrupel im Umgang mit den Trainern haben, warum sollte dann ein Trainer nicht auch wechseln dürfen?
Wenn unsere deutschen Trainer nun Weltklasse verkörpern – sind damit die Zeiten vorbei, dass der FC Bayern einen Carlo Ancelotti anschleppte?
Die Bayern wollten oft einen großen Namen, um die großen Titel zu gewinnen. Und dann mussten sie gezwungenermaßen ihrem Co-Trainer Hansi Flick das Vertrauen schenken – und prompt gewann der alle Titel. Da habe ich mir die Hände gerieben, das muss ich ehrlich sagen. Es gibt so viele Trainertalente bei uns in Deutschland, man muss nur den Mut haben, ihnen eine Chance zu geben. Jetzt haben die Bayern mit Nagelsmann das nächste deutsche Trainertalent verpflichtet.

"Nagelsmann muss jetzt erst einmal Titel gewinnen": Der junge Trainer ist neu bei den Weltstars um Robert Lewandowski.
Ist Nagelsmann der nächste logische Kandidat für die Weltspitze?
Selbst Flick wurde trotz aller Titel nicht zum Welt-Trainer gewählt, daran sieht man, wie hoch die Latte liegt. Als ich kürzlich gefragt wurde, wer für mich der Trainer des Jahres in Deutschland ist, habe ich Christian Streich genannt, ohne die Verdienste von Tuchel, Klopp oder Nagelsmann gering zu schätzen. Es ist doch so: Nagelsmann hat sich bei Bayern ins gemachte Nest setzen können, aber Streich hat aus sehr viel weniger eine Mannschaft geformt, die auf Platz drei überwinterte. Nagelsmann muss jetzt erst einmal Titel gewinnen. Wenn er sich weiter so gut entwickelt, kann es bei ihm in Richtung Weltspitze gehen – aber das ist noch ein weiter Weg.
Auch Kölns Steffen Baumgart ist beliebt, obwohl er mit seiner derben Art ein Gegenentwurf ist zu einem Flick, Rangnick oder Tuchel. Löst auch Baumgart wieder einen Trainer-Trend aus?
Das glaube ich nicht. Aber es ist gut, dass wir so eine Breite an unterschiedlichen Trainertypen haben. Von einem Gentleman wie Hitzfeld bis zu einem hemdsärmeligen Typen wie Baumgart. Es gibt Trainer, die haben riesige Talente – aber dann kommen sie zu einer Mannschaft und es passt einfach nicht. Baumgart und Köln, das passt wunderbar. Das ist im Moment genau der richtige Mann am richtigen Ort. Das ist auch eine Frage der Mentalität: Wenn andere plötzlich wie Baumgart sein wollten, würde das aufgesetzt wirken. Und umgekehrt könnte es vielleicht nicht so gut funktionieren, wenn Baumgart bei einem anderen Verein wäre.

"Es ist gut, dass wir so eine Breite an unterschiedlichen Trainertypen haben": Steffen Baumgart wurde beim 1. FC Köln zur Kultfigur.
Zuletzt sorgte Markus Anfang mit einem gefälschten Impfpass für Schlagzeilen. Sollte er nicht mehr als Trainer arbeiten dürfen?
Zunächst konnte ich gar nicht glauben, dass er das wirklich gemacht hat. Aber inzwischen hat er es ja zugegeben. Auch ich hatte ihn in Gesprächen immer als seriösen und guten Kerl empfunden. Ein Berufsverbot? Auch wenn es absoluter Mist war, was er gemacht hat, erinnere ich an Christoph Daum: Jeder macht in seinem Leben mal Fehler, jeder hat eine zweite Chance verdient. Man sollte ihn nicht auf alle Zeit verdammen. Die Fußballbranche hat bewiesen, dass sie zweite Chancen geben kann.
Der langjährige Werder-Trainer Thomas Schaaf arbeitet heute als Mentor für junge Trainer. Wie wichtig ist das?
Das ist unheimlich wertvoll. Typen wie Thomas Schaaf haben so viel erlebt. Es geht in der Trainerausbildung ja auch darum, die jungen Fußball-Lehrer nicht nur ins kalte Wasser zu werfen, sondern sie zu begleiten. Und keiner dieser jungen Trainer sollte meinen, er habe die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Ein Erfahrungsschatz wie von Thomas Schaaf ist einfach Gold wert.