Für die Sportfans ist 2024 ein besonderes Jahr: Bevor im Sommer die Olympischen Spiele in Paris beginnen, wird Deutschland bereits Gastgeber für zwei Europameisterschaften gewesen sein. Die EM der Handballer ging am Wochenende in Köln zu Ende und war das erhoffte emotionale Spektakel. Fans und Athleten erlebten drei intensive Wochen. Mit dem Einzug ins Halbfinale übertraf die deutsche Mannschaft viele Erwartungen. Dass den Fußballern bei ihrer EM im Sommer (14. Juni bis 14. Juli) ein ähnlicher Erfolg gelingt, ist angesichts der Formkrise der deutschen Mannschaft, die auch unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann anhält, eine vage Hoffnung.
Die Handballer gaben ihr Bestes, um die Gunst der Fans zu gewinnen. Bundestrainer Alfred Gislason schätzte die Lage vor dem Turnier nüchtern ein, als er sagte: Man gebe sich nicht der Illusion hin, jemals den Fußball verdrängen könnten. In Deutschland sei es doch so: Fußball komme auf den Plätzen eins bis zehn – und dann Handball auf Rang elf.
Vielleicht aber haben sie bei der EM den ein oder anderen Platz in dieser Rangfolge aufgeholt. Weil sie den Fans in den Hallen und den Millionen vor den Bildschirmen etwas gaben, was diese von den Fußballstars im Deutschlandtrikot schon länger nicht mehr bekommen: leidenschaftlichen Einsatz, echten Teamgeist und eine tiefe Freude über jeden einzelnen Erfolg. Weil die Spiele oft zur besten Sendezeit liefen, entfachte das Team um Spielmacher Juri Knorr, Weltklasse-Torhüter Andreas Wolff und Kapitän Johannes Golla auch außerhalb der Handballszene eine große Begeisterung. Ob in den Büros, den Schulen oder beim Bäcker: Überall wurde über Handball gesprochen.
Mit ihrer bodenständigen und engagierten Art haben Gislasons Nationalspieler offensichtlich einen Nerv getroffen. Dabei profitierten sie auch davon, dass sich die Sportfans in Deutschland wieder nach solchen Helden und Vorbildern sehnen, die trotz ihrer Karrieren sympathisch und normal geblieben sind. Kein Spieler ließ sich einen Friseur einfliegen, um im Fernsehen gut auszusehen. Was im Fußball leider Alltag ist und viele Fans nervt, das ist im Handball total verpönt. Kein Spieler klagte über die vielen Partien, die alle zwei Tage anstanden. Alle waren stolz, dabei sein zu dürfen.
Fans zeigen sich als Vorbilder in den Hallen
Die Fans in den Hallen verhielten sich ebenso großartig: keine Gewalt, keine Pfiffe und nirgends Gruppierungen, die eine solche Sportbühne für ihre Selbstinszenierung missbrauchten. Das Weltrekordspiel vor mehr als 53.000 Zuschauern in Düsseldorf und die vollen Hallen in Hamburg, Berlin oder Köln zeugten von der besonderen Handballbegeisterung in Deutschland: In keinem anderen Land waren die Arenen bei einem vergleichbaren Turnier so gut besucht. Das weckt schon Vorfreude auf die Handball-Weltmeisterschaft, die 2027 in Deutschland ausgetragen wird.
Auch sportlich ist die WM 2027 ein großes Ziel. Gislason hat bewusst ein neues Nationalteam aufgebaut, es war das jüngste im Turnier. Viele dieser Spieler, wie die 23 Jahre alten Juri Knorr und Julian Köster, werden erst 2027 im besten Handball-Alter sein. Das gilt auch für die vier U21-Weltmeister Renars Uscins, Justus Fischer, Nils Lichtlein und Torhüter David Späth, die noch am Anfang ihrer Karrieren stehen und schon jetzt wertvolle Erfahrungen mit der Nationalmannschaft sammelten. Dem deutschen Handball könnten große Jahre bevorstehen.
Dass es bei diesem EM-Turnier noch nicht für die absolute Spitze reichte, ist verständlich und keine Schande. Dänemark, Schweden und Frankreich haben einfach viel stärkere und größere Kader. Das aufzuholen, ist nun der nächste Entwicklungsschritt.
Ihre gestiegene Bedeutung bekamen die Spieler und der Bundestrainer während des Turniers aber schon mal zu spüren: Mit zunehmendem Erfolg tummeln sich auch mehr bezahlte Experten im Umfeld der Spiele. Meist sind das Ex-Nationalspieler, deren Kritik auch mal wehtun kann. Diesmal brachte das manchen Spieler noch ins Wanken. Eine Weltklassemannschaft muss diesen Rummel künftig aber wegstecken können.