Delmenhorst droht eine massive Unterversorgung mit Hausärzten. Das führte der Delmenhorster Arzt Ulf Dierks am Dienstag in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit aus. Der Chirurg gehört dem Gremium mit beratender Stimme an. Auf der Tagesordnung stand ein Antrag aus der Gruppe Delmenhorster Liste/Die Partei/Die Linke: Ratsherr Heinrich Lau hatte beantragt, die Stadt möge ein Konzept zur Entwicklung der hausärztlichen Versorgung bis 2035 aufstellen.
Aktuell sind in Delmenhorst 32 Allgemeinmediziner und hausärztliche Internisten niedergelassen. Für eine optimale hausärztliche Versorgung sind nach Angabe von Dierks 11,5 Stellen unbesetzt. Die verbleibenden Ärzte würden unter der Last der zu vertretenden Arbeit ächzen, "ein Arzt hat 100 Kontakte am Tag", so müssten für die nicht besetzten Stellen täglich 1000 Stunden "mit gestemmt werden". Delmenhorst brauche eine Bedarfsplanung, aktuell würden die Weichen für die kommenden Jahrzehnte gestellt.
Ärzte im Durchschnitt 57 Jahre alt
Dierks wies auch auf ein demografisches Problem hin, die Ärzteschaft sei in einem Durchschnittsalter von 57 Jahren, da sei es vorhersehbar, dass ab dem Jahr 2035 weitere Praxen leer stünden. Man solle bereits jetzt beginnen, junge Ärzte anzuwerben. Dafür müsse die Stadt auch die nötige Infrastruktur bereitstellen, für Dierks zählt dazu auch ein Angebot an Kindertageseinrichtungen. Bei der Erstellung von Konzepten müsse man in Delmenhorst nicht bei null anfangen, man könne sich beispielsweise an der Stadt Leer orientieren, wo es bereits einen entsprechenden Strukturplan gebe. Wichtig sei ihm, dass man frühzeitig die Bedarfe analysiere und beispielsweise Betroffene und Senioren befrage. In die Überlegungen solle man auch die Möglichkeit der Bildung eines medizinischen Versorgungszentrums und eine Verbundmöglichkeit mit der Klinik prüfen.
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) würde Delmenhorst offene Türen einrennen. Deren Sprecher Detlef Haffke erklärte gegenüber unserer Redaktion, dass die Region Delmenhorst, zu der bei der KV auch die Gemeinden Ganderkesee, Stuhr und Weyhe gezählt werden, niedersachsenweit "den zweithöchsten Bedarf an Hausärzten" habe. Im sogenannten Mittelbereich Delmenhorst zähle man 173.697 Bürger. Statistisch solle ein Hausarzt 1567 Patienten versorgen. Bei 102,75 niedergelassenen Hausärzten erreiche Delmenhorst einen Versorgungsgrad von 92,7 Prozent. "Es können sich weitere 19,5 Hausärzte niederlassen", so Haffke. Von einer Unterversorgung würde man bei der KVN erst ab einem Versorgungsgrad von 75 Prozent sprechen.
Die Altersstruktur will man bei der KVN mit Mitteln aus dem Strukturfonds anreizen. Der Bereich Delmenhorst profitiere gegenwärtig aber noch nicht von einer solchen Förderung.
Bei der Besetzung von Arztsitzen heißt für Haffke das Zauberwort "Work-Life-Balance". Gefragt werde auch danach, ob der Partner des Arztes ebenfalls einen adäquaten Arbeitsplatz in der gleichen Stadt fände. Es würde beurteilt werden, wie häufig Bereitschaftsdienste an Abenden und an Wochenenden liegen würden. Gefragt werde nach einem funktionierenden Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs. Und nicht zuletzt, ob die Ärzte einer Region gut miteinander kooperierten.
Die KVN dränge schon seit Langem darauf, die seit Jahrzehnten immer weiter zusammengekürzten Kapazitäten der medizinischen Fakultäten zur Sicherstellung des medizinischen Nachwuchses aufzustocken. "Hier wurde leider zu viel Zeit verschwendet und eine Gelegenheit vertan, dem drohenden und teils bereits realen Ärztemangel zu begegnen und die ambulante Versorgung mittel- und vor allem langfristig zu stärken", sagt Haffke. Selbst wenn ab sofort alle mehr oder minder konkret angekündigten Maßnahmen – mehr Studienplätze und eine Landarztquote – vollständig umgesetzt würden, werde dies bis 2035 keine nennenswerten positiven Effekte auf die Versorgung haben.
Die KVN setze sich neben der Erhöhung der Studienplätze für Medizin auch für eine Landarztquote ein. Außerdem fordere die KVN den Ausbau des Bedarfsverkehrs in ländlichen Regionen und den Ausbau der Internetstrukturen. "Der Weg zur Arztpraxis für die Bürgerinnen und Bürger muss einfacher werden, und neue Formen der digitalen Kommunikation mit der Arztpraxis müssen störungsfrei und stabil aufgebaut werden", sagt Haffke. Wichtig sei die enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Landkreisen, um die Rahmenbedingungen für Niederlassungen an Ort und Strelle zu verbessern.