Die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht geht in eine neue Runde: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Niedersachse und beliebtestes Regierungsmitglied im Kabinett Olaf Scholz, hat an diesem Mittwoch seine Vorschläge zur Wiedereinführung der Wehrpflicht vorgelegt. Danach sollen junge Männer dazu verpflichtet werden, in einem Fragebogen Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst zu geben und sich im Falle einer Auswahl zur Musterung zu begeben.
"Junge Frauen aber auch", sagt Susanne Mittag. Die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete unterstützt Pistorius darin, dass jungen Menschen die Teilnahme an einem Dienst nahegebracht wird, nennt den Vorstoß ihres Parteigenossen einen wichtigen Einstieg. Der vom Minister ins Spiel gebrachte Fragebogen könnte auch genutzt werden, um eine Teilnahmebereitschaft für weitere Bereiche wie den Katastrophenschutz abzufragen. Die Debatte um die Verteidigungsfähigkeit des Landes solle nach ihrer Auffassung auch Einsatzmöglichkeiten junger Reservisten einbeziehen, gerade die unter 40-Jährigen müssten angesprochen werden.
Noch gebe es keine "konkreten Anforderungen – auch nicht an den Standort Delmenhorst". Weder der Standortälteste noch der Kasernenkommandant könnten zu den an diesem Mittwoch veröffentlichten Plänen Stellung beziehen, so Fregattenkapitän Jan Philipp Dittberner auf eine Nachfrage unserer Redaktion an die Delmetal-Kaserne. Als örtliches Vorstandsmitglied des Deutschen Bundeswehrverbandes wagt der Delmenhorster Wolfgang Jondral eine Einschätzung: "Warum erst jetzt?", fragt der 85-Jährige, der von 1957 bis 1992 Soldat war und im Rang eines Stabsfeldwebels aus der Truppe ausschied.
Ukraine-Krieg dauert länger als gedacht
Der Krieg in der Ukraine dauere länger, als viele anfänglich gedacht hätten, so Jondral: "Mittlerweile weiß auch der Letzte, dass der russische Bär beißen kann." Für ihn ist die Frage der Rückkehr zur Wehrpflicht keine, die sich nur in Bezug auf die aktuelle Krise stellt. 2011 wurde die Bundeswehr zu einer auf Auslandseinsätze spezialisierten Berufsarmee erklärt, in der man freiwillig dienen kann. Es werde schon lange unterstellt, dass Deutschland nicht mehr wehrfähig sei, sagt Jondral. Neben dem unumstrittenen Materialproblem werde schon lange auch eine Personalnot beklagt. Aufgabe der Bundeswehr müsse es sein, die Landesverteidigung sicherzustellen. Für Jondral sind alle bisherigen Versuche, Freiwillige für die deutschen Streitkräfte anzuwerben, erfolglos geblieben. Der Bundeswehr könne es nur über die Wiedereinführung der Wehrpflicht gelingen, in Konkurrenz mit der Wirtschaft den Wettbewerb um die besten Köpfe aufzunehmen: "Gesucht werden Fachleute." Die Anforderungen an einen Soldaten seien noch nie so anspruchsvoll gewesen wie heute. "Im Sport braucht man neben Eliten auch Wasserträger, bei der Bundeswehr muss jeder Griff sitzen, jeder einzelne Soldat muss ein Spezialist sein."
Wehrdienst dient der Eigenqualifikation
Dass die Monate des Wehrdienstes auch für diejenigen, die sich dazu bereit erklären, eine gewinnbringende Zeit sind, sieht der Delmenhorster Maximilian Gellner so. Er hatte seinen Grundwehrdienst von Februar bis Oktober 2010 bei der Marine abgeleistet. Der 35-Jährige hatte sich erst spät entschlossen, zur Bundeswehr zu gehen. „Zuerst hatte ich daran gedacht, mich für ein Freiwilliges Soziales Jahr zu verpflichten“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann entschied er sich dafür, den Wehrdienst anzutreten. Auch aus seinem privaten Umfeld bekam er dabei keine Steine in den Weg gelegt. Nach dem Grundwehrdienst blieb er noch bis Anfang dieses Jahres als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr.

Maximilian Gellner blickt positiv auf seine Bundeswehrzugehörigkeiten als Wehrpflichtiger und als Zeitsoldat zurück.
Der russische Angriff auf die Ukraine und die von Kanzler Scholz verkündete Zeitenwende waren damals noch weit entfernt, dennoch fiel die Entscheidung Gellners für den Soldatenberuf in eine Phase, als die deutschen Streitkräfte auch schon zu Kampfeinsätzen ins Ausland beordert wurden. „Damit habe ich mich sehr wohl beschäftigt“, so Gellner, der auch sagt, dass sich seine Eltern deswegen gesorgt hätten. In den neun Monaten des Grundwehrdienstes habe er aber die Bundeswehr besser, eben von innen, kennengelernt. So entstand das Gefühl dafür, „dass die Gefahr, im Sarg wieder nach Hause geschickt zu werden, so gering wie möglich gehalten wird“. Er hat Vertrauen gefunden in das System und in seine Vorgesetzen. So konnte er sich sogar für den Soldatenberuf entscheiden.
Auf seine Zeit in der Grundausbildung blickt er heute positiv zurück: „Ich habe gelernt, mit Stresssituationen umzugehen und wie ich körperliche und geistige Grenzen erkenne.“ Langfristig hat ihm die Bundeswehr viele Erfahrungen zur Bewältigung von Führungsaufgaben und im strukturierten Arbeiten gebracht. Die aktuelle Debatte um die Aufhebung der 2011 ausgesetzen Wehrpflicht kommentiert Gellner dahingehend, dass er einen Dienst für den Staat, er will das nicht allein auf einen Wehrdienst beschränkt sehen, als positiv für die Gesellschaft einschätzt. Einen reinen Wehrdienst hält er für schwer umsetzbar, weil die Strukturen dafür gar nicht mehr bestehen würden. Er denkt eher an den Abbau der Kreiswehrersatzämter, die jetzt fehlenden Unterkünfte und der Personalmangel spiegele sich auch bei fehlenden Ausbildern wider.