Seit Jahrzehnten dominiert das Bauwerk mit der markanten Betonfassade die östliche Innenstadt in Delmenhorst: Für kommenden Sonntag, 23. April, lädt die Stadtverwaltung alle Interessierten ein, die frühere Hertie-Immobilie an der Langen Straße noch einmal zu besuchen. Das Gebäude wurde 2020 von der Stadt erworben, um endgültig abgerissen zu werden. Für den Kauf und den anschließenden Abriss rechnet die Stadt mit Kosten von insgesamt 6,9 Millionen Euro. Beginn der Abbrucharbeiten soll nach diversen Voruntersuchungen noch in diesem Jahr sein.
Der Standort an der Langen Straße war einst ein florierender Handelsplatz. Viele Delmenhorster verbinden mit Hertie gute Erinnerungen. Mit einem öffentlichen Aufruf waren im vergangenen Jahr Delmenhorster aufgerufen, ihre Erinnerungen an Karstadt und Hertie zu sammeln und für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Das Warenhaus stand früher für Aufschwung und Wohlstand, für eine Zeit, in der es auch im östlichen Teil der City noch richtig brummte. Gesucht wurden persönliche Geschichten und Erinnerungen an diesen Ort, mit individuellen Erlebnissen, mit Fotografien. In Kooperation mit dem Masterstudiengang Integrated Media am Institut für Kunst und visuelle Kultur an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg hat eine Studentengruppe die Einsendungen aufbereitet. Am kommenden Sonntag, dem „Hertie-Tag“, werden sie diese präsentieren. Wer die Stockwerke dann noch einmal über die Rolltreppe wechseln möchte, wird wohl enttäuscht sein: Das ehemalige Kaufhaus wurde bereits 2017 komplett entkernt.
"Viele Chancen wurden niedergetrampelt"
Eine Erinnerung an Hertie teilt auch Lothar Andert. In der Vergangenheit wurden schon viele Chancen für die Innenstadtentwicklung niedergetrampelt, meint unser Leser. Andert war früher bei der Neuen Heimat in Bremen als Stadtsanierer tätig. Er hatte sich schon 2013 in Delmenhorst in der Angelegenheit Wiederbelebung des Kaufhausstandortes zu Wort gemeldet, berichtet der Delmenhorster. Monatelang habe er parteiübergreifend fachliche Hinweise zur Innenstadtentwicklung und zu möglichen Förderprogrammen gegeben. Hätte man seinerzeit nicht Norddeutschlands erfolgreichsten Projektentwickler, Kurt Zech, ausgebremst, "hätten wir heute bereits eine funktionierende Immobilie" an der Stelle des aufgegebenen Hertie-Hauses, ist er überzeugt. Und das hätte der gesamten Innenstadt einen Entwicklungsschub gegeben.
Andert beklagt gegenüber unserer Redaktion den aktuellen Zustand einer wirtschaftlich brachliegenden Innenstadt. 2009 ebenfalls aufgegebene Karstadt-Grundstücke wie in Rendsburg, Husum oder Wolfenbüttel seien längst mit neuen Funktionen wieder im wirtschaftlichen Betrieb. Stadtratsmehrheiten und "schlaue" Oberbürgermeister hätten in Delmenhorst aber die in seinen Augen schlechteste Lösung herbeigeführt: Das Grundstück wurde 2020 von der Stadt gekauft, um es abzubrechen. "Davor hatte das Baudezernat vor Jahren schon in einer Ratsvorlage gewarnt, da dann die Nachbarhäuser mit in die Grube fallen würden", erinnert sich Andert. Und die Fertigstellung einer neuen Bebauung sei wohl erst in sehr ferner Zukunft wahrscheinlich. Die Stadtverwaltung werde sicherlich wieder zur Bearbeitung der Vorgänge "Personalprobleme" haben. "Die Kosten werden für die Stadt dann drei bis viermal so hoch ausfallen." Noch sei die Suche nach Investoren nicht zu spät, meint Andert. Diese könnten Vorsteuerabzug geltend machen und Sonderabschreibungen nutzen.
Zur vom Rathaus abgehaltenen Bürgerbeteiligung für den Innenstadtumbau äußert sich Andert kritisch: Laut Protokollen hätten sich in mehreren Veranstaltungen rund 150 Personen angesprochen gefühlt, "davon zwei Drittel Planer, Stadtmitarbeiter und Ratsmitglieder", so Andert. "Seit Jahren wünschen wir Bürger uns, dass Delmenhorst einmal 'vorne dran' ist oder zumindest überhaupt in Gang kommt – Lobhudeleien helfen nichts." Delmenhorst bleibe Schlusslicht. Realistisch gesehen würden selbst einige nun neu zu schließende Karstadthäuser wieder zügiger fertig und "vorne dran" sein, fürchtet Andert.