In Deutschland werden jährlich 1000 Tötungsdelikte übersehen. Das liegt auch daran, dass die Totenbescheinigungen nur selten fehlerfrei sind, wie es eine Untersuchung der Universität Rostock ergeben hat. Die FDP-Fraktion führt diese Argumentation ins Feld und setzt sich im Niedersächsischen Landtag dafür ein, die Qualität der Leichenschau zu verbessern. Auch aus den Erfahrungen der Tötungsdelikte des ehemaligen Krankenpflegers Niels Högel heraus will die FDP potenzielle Opfer in Krankenhäusern und Altenheimen schützen.
„Jeder Angehörige muss ein Recht haben zu erfahren, woran sein Verwandter verstorben ist“, schreibt die FDP in einen Antrag, der am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtages in Hannover beraten wurde. Jeder Verstorbene soll künftig von einem Rechtsmediziner oder einem dafür weitergebildeten Klinikarzt untersucht werden, um Todesursachen und Tötungsdelikte besser aufklären zu können.
Das Josef-Hospital Delmenhorst ist gegenwärtig, als Konsequenz aus den Högel-Morden, die einzige Klinik landesweit, die eine qualifizierte Leichenschau eingeführt hat. Zu einer Anhörung in den Rechtsausschuss luden die Politiker deshalb den ärztlichen Direktor des Josef-Hospitals, Frank Starp. Mindestens drei Personen sollten an einer Leichenschau beteiligt sein, sagt Starp. In die Sitzung war er als Experte eingeladen, um zu berichten, wie ein solcher Systemwechsel eingeführt werden könne. „Ärzte könnten sich ja auch Sorgen machen, man trete ihnen mit einer externen Qualitätssicherung auf die Füße“, sagt Starp. Man war in Delmenhorst aber selbst überrascht gewesen, wie unkompliziert die neue Verfahrensweise am Josef-Hospital umgesetzt werden konnte.
Starp ist ein großer Verfechter dieser externen Kontrolle, „für mich liegt darin eine Erhöhung der Qualitätsmerkmale für unsere Arbeit“. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass in Delmenhorst gegenwärtig nur im Krankenhaus solch eine externe Kontrolle vorgenommen werde. Der FDP-Vorschlag zielt auf die Fläche ab, alle Verstorbenen sollen unter die Regelung der qualitativen Leichenschau fallen.
Diskutiert wurde im Ausschuss auch der Ort, an dem die Leichenschau vorzunehmen wäre. Starp spricht sich dafür aus, die Todesursache an Ort und Stelle festzustellen. „Und zwar ohne Zeitverzug.“ Im Krankenhaus bestehe noch die Möglichkeit, auch die Patientenakte einzusehen. Es lägen damit noch viele Informationen vor, die würden beim späteren Blick in die Todesbescheinigung fehlen. Starp ist deswegen gegen die sogenannte Krematoriumsleichenschau. Es geht ihm darum, schnell Rückschlüsse auf die Todesursache ziehen zu können. „Es gibt meldepflichtige Ereignisse, ob zum Beispiel ein Sturz todesursächlich war, dann muss die Polizei eingeschaltet werden“, sagt Starp.
Beraten wurde im Rechtsausschuss auch über den Personenkreis, der zur Leichenschau herangezogen werden kann. Für Starp geht es darum, jemanden Drittes oder sogar Viertes hinzuziehen zu können. Und die Berechtigten sollten, so wie es in Delmenhorst geregelt ist, von außen kommen. Dafür seien auch besondere Qualifikationen nötig. Starp wünscht sich die qualifizierte Leichenschau nicht als Aufgabe des Krankenhauspersonals, „Ärzte sollen sich um die Lebenden kümmern“. Die Frage, ob ein Todesfall Folge eines schicksalhaften Verlaufes war oder ob ein Fremdverschulden vorliegt, müsse ein Externer aufklären. Die Institution Krankenhaus könne sich schließlich nicht selbst kontrollieren.
Der in Verden ansässige Krematoriumsarzt Michael Birkholz führt die Leichenschau im Josef-Hospital als Externer durch. Von den rund 90 000 Todesfällen in Niedersachsen sterben 60 000 im Krankenhaus, zitiert er eine AOK-Studie. Im Krankenhaus werde aber anders gestorben, als außerhalb von Kliniken. Es gebe im Krankenhaus keine Toten durch äußere Merkmale, beispielsweise stumpfer oder spitzer Gewaltanwendung. Todesursache seien eher der Medikamenteneinsatz, „das kann man aber nicht augenscheinlich feststellen“, um dies zu erkennen, brauche man qualifizierte Leichenbeschauer.
Genauso stehe man aktuell vor dem Problem, eine Todesursache aufgrund komplizierter ärztlicher Maßnahmen festzustellen. Im Krankenhaus seien auch Keime eine häufige Ursache, die den Tod nach sich zieht, „und zwar eine vermeidbare“, sagt Birkholz. Das vor zwei Jahren geänderte Bestattungsrecht habe nicht gegriffen, sagt Birkholz. Wenn Ärzte danach verpflichtet seien, diejenigen Toten zu melden, die nach einer Notfallbehandlung gestorben seien, würde gegen sie ermittelt werden, sie werden kriminalisiert.
Das führe zu weiterer Verunsicherung. Es gehe aber darum, dass die Krankenhäuser Vertrauen zurückgewännen. Die externe, qualifizierte Leichenschau sei dabei ein geeignetes Mittel. Nach Einschätzung von Michael Birkholz habe es im Rechtsausschuss des Landtages während der Anhörung nur Zustimmung zu den Fachbeiträgen der geladenen Mediziner gegeben. Er sieht eine Veränderung der Gesetzeslage kommen.