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SV Atlas Delmenhorst Dominik Schmidt: "Im Fußball fehlt die Menschlichkeit"

Streit um einen Vertrag in Bremen, Steinewerfer in Duisburg - Dominik Schmidt hat als Fußballprofi einiges erlebt. Im Interview blickt der Neuzugang des SV Atlas Delmenhorst auf seine bewegte Karriere zurück.
25.02.2022, 11:30 Uhr
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Dominik Schmidt:
Von Christoph Bähr

Herr Schmidt, seit rund vier Wochen sind Sie Spieler des SV Atlas Delmenhorst, nachdem Sie zuvor stets für renommierte Profiklubs gespielt haben. Wie sind die ersten Eindrücke?

Dominik Schmidt: Bei Atlas ist es anders, und das ist überhaupt nicht negativ gemeint. Alles ist bodenständig und nicht ganz so hochprofessionell wie in meinen vorherigen Vereinen. Es ist das komplette Gegenteil zum Profibusiness.

Wie groß ist die Umstellung für Sie?

Die Umstellung ist schon krass für mich. Dass wir abends trainieren und tagsüber frei haben, ist für mich ganz neu. Auch an die Bodenbeläge muss ich mich gewöhnen. In den ersten 14 Tagen habe ich auf fünf oder sechs verschiedenen Plätzen trainiert. Ich hatte nicht einmal die richtigen Schuhe für diese Art von Plätzen. Zum Glück kenne ich Benno Urbainski (Teammanager des SV Atlas, Anm. d. Red.) noch aus meiner Werder-Zeit. Er hat mir dann ein Paar passende Schuhe gegeben, damit ich am ersten Training überhaupt teilnehmen konnte.

Bei Profivereinen wird den Spielern vieles abgenommen. Müssen Sie jetzt Ihre Sporttasche wieder selber packen?

Ja. Das letzte Mal so richtig meine Tasche gepackt hatte ich vor 17 Jahren vor meinem Wechsel zu Werder. Dass man seine Fußballsachen jetzt zu Hause wäscht, ist auch neu. Aber das ist für mich alles gar kein Problem. Es ist für mich eine Rückkehr zu den Wurzeln. Als ich noch in der Jugend in Berlin gespielt habe, war das auch so.

Und wie ist das fußballerische Niveau beim SV Atlas aus Ihrer Sicht?

Als ich am Rande des Testspiels gegen Phönix Lübeck vorgestellt wurde, habe ich die Mannschaft zum ersten Mal spielen gesehen. Und ich war wirklich positiv überrascht. Da sind einige gute Kicker dabei. Aber klar ist auch: Wenn wir aufsteigen wollen, liegt noch ein bisschen Arbeit vor uns.

Sie haben gleich turbulente Tage miterlebt. Der Atlas-Vorstand wollte aus Kostengründen keine Lizenz für die dritte Liga beantragen, ließ sich dann aber von der Mannschaft umstimmen. War das die richtige Entscheidung?

Ich konnte die Argumentation schon verstehen, warum die dritte Liga vielleicht zu früh kommt. Infrastrukturell muss der Verein noch wachsen. Das ist auch normal, Atlas erlebt gerade erst das zweite Regionalliga-Jahr. Ich bin aber froh darüber, dass wir eine Einigung gefunden haben und dass der Antrag gestellt wird. Im Sport geht es immer darum, das Bestmögliche zu erreichen. Es sind schon oft Mannschaften aufgestiegen, von denen man es nicht erwartet hätte. Solch eine Chance womöglich zu verschenken, wäre schade.

Geht die Mannschaft jetzt also die Aufstiegsrunde ab Mitte März mit dem klaren Ziel Drittliga-Aufstieg an?

Wir haben erst einmal das Ziel, jedes Spiel zu gewinnen. Wenn wir das schaffen, stehen wir automatisch dort, wo wir hinwollen. Warum sollten wir nicht mit Selbstbewusstsein auftreten? Die Jungs sind verdient in die Aufstiegsrunde gekommen. Dass wir dort jetzt als Underdog mitmischen können, ist schön.

Werden Sie in der Mannschaft direkt eine Führungsrolle übernehmen?

Ich bin 17 Jahre im Fußballgeschäft dabei und habe einiges erlebt. In fast allen Mannschaften war ich eine Führungsperson. Es liegt mir einfach, Leuten zu helfen und ihnen meine Erfahrung mitzugeben. Ich bin kein schwieriger Typ oder eine Diva. Ich werde versuchen, die Jungs von hinten ein wenig zu leiten und ihnen Laufwege aufzuzeigen.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie in Ihrer Karriere viel erlebt haben. Das fing mit Ihrem Profi-Debüt bei Werder im Jahr 2010 an, das Sie direkt in einem Champions-League-Spiel bei Tottenham Hotspur an der White Hart Lane gaben. Wie nervös waren Sie damals?

Ich hatte vorher schon die ganze Zeit bei den Profis mittrainiert und im Spiel bei Inter Mailand auch im Kader gestanden. Vor dem Tottenham-Spiel sind von Tag zu Tag immer mehr Spieler verletzt oder krank ausgefallen. Im Training habe ich dann öfter mal links hinten gespielt. Darüber war ich ein bisschen verwundert, denn ich bin kein Linksfuß und hatte die Position noch nie vorher bekleidet. Vor allem war ich aber froh, mit dabei zu sein. Nach einem Training kam Thomas Schaaf zu mir und sagte, dass ich gegen Tottenham von Anfang an spiele. Ich muss sagen, dass ich recht locker an die Sache herangegangen bin. Zum Glück war mein Bruder vor dem Spiel bei mir im Hotel in London. Wir haben uns gar nicht über Fußball, sondern über alltägliche Dinge unterhalten. Dadurch bin ich nicht groß ins Nachdenken gekommen. Es war mein erstes Spiel, ich war ein junger Spieler. Daher war der Druck nicht so enorm.

Wie lief das Spiel aus Ihrer Sicht?

Wir lagen früh hinten und haben 0:3 verloren. Für mich ging es aber darum, zu zeigen, was mich ausmacht. Ich war nie das große Talent, sondern habe mir alles hart erarbeitet. Ich musste Rückschläge verkraften und mich durchbeißen, um meinem Traum hinterherzurennen. Gegen Tottenham wollte ich einfach auf der linken Seite meinen Job bestmöglich machen. Das ist mir anscheinend trotz der Niederlage ganz gut gelungen. Das Spiel war ein Karrierehöhepunkt für mich.

Kurz darauf standen Sie beim 3:0-Sieg gegen Inter, dem bis heute letzten Champions-League-Auftritt von Werder Bremen, wieder in der Startelf. Das muss doch noch besser gewesen sein, oder?

Definitiv. Ich habe damals gegen Weltstars gespielt wie Samuel Eto’o von Inter oder Luka Modric und Gareth Bale von Tottenham. Das hat schon etwas mit einem gemacht. Auf einmal hieß es, dass Tottenham mich auf dem Radar hat. Nach dem Sieg gegen Inter hatte ich plötzlich den Spitznamen „Schmidt’o“. Das macht einen ein bisschen stolz, aber für mich ging es in erster Linie darum, mir selbst zu beweisen, dass ich auf dem Niveau spielen kann.

Es gab auch schon junge Spieler, die in solchen Momenten die Bodenhaftung verloren haben. Bestand bei Ihnen diese Gefahr?

Ich hatte relativ schwierige Umstände in meiner Kindheit. Meine Eltern haben sich früh getrennt, und ich habe mit meiner Mutter vieles alleine gemeistert. Dazu habe ich zwei große Brüder. Abzuheben entspricht nicht meinem Naturell. Ich weiß, woher ich komme.

Sie haben fortan regelmäßig in der Bundesliga gespielt und waren bei Werder auf einem guten Weg. Als es um die Verlängerung Ihres auslaufenden Vertrages ging, haben sich jedoch Werders Sportdirektor Klaus Allofs und Ihr Berater über die Medien gegenseitig Vorwürfe gemacht. Am Ende platzte die Vertragsverlängerung. Wurden Sie damals schlecht beraten?

Das ist ein ganz schwieriges Thema. Rückblickend würde ich schon sagen, dass ich schlecht beraten wurde. Mir ging es nie darum, mehr Geld zu bekommen. Mein damaliger Berater und mein Bruder haben zusammen in einer Agentur gearbeitet. Als das alles mit der Vertragsverlängerung losging, sind gestandene Spieler wie Per Mertesacker, Torsten Frings oder Tim Borowski zu mir gekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht meinen Berater wechseln möchte. Mit dem Gedanken habe ich mich aber nie beschäftigt, weil ich immer gedacht habe: Solange mein Bruder da ist, wird mir nichts Schlechtes passieren.

Wie liefen die Verhandlungen mit Klaus Allofs ab?

Bei dem Gespräch, bei dem es um die Vertragsverlängerung ging, war ich dabei. Das hat nur zehn Minuten gedauert. Er hat mir einen Vertrag hingelegt und gesagt: Mach's oder mach's nicht. Ich habe drauf geguckt und gesagt: Ja, mach' ich sofort. Ich wollte nicht weg aus Bremen. Für Werder hatte ich mein Profidebüt gegeben, hatte fünf Jahre in der Stadt gelebt und mir einen Freundeskreis aufgebaut. Meine Frau kommt aus Delmenhorst. Für mich gab es nichts Besseres.

Warum wurde Ihr Vertrag dann trotzdem nicht verlängert?

Den wirklichen Grund dafür habe ich erst rund anderthalb Jahre später erfahren. Ich hatte das die ganze Zeit über im Kopf und wusste nicht so richtig, woran es gelegen hat, bis ich im August 2012 mit Preußen Münster in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen Werder Bremen gespielt habe. Im Anschluss an das Spiel (Münster gewann mit 4:2 nach Verlängerung, Anm. d. Red.) habe ich mich lange mit Klaus Allofs und Thomas Schaaf unterhalten. Da habe ich erst die Wahrheit erfahren, und das war für mich ein Schock.

Was haben Sie damals erfahren?

Mein Berater hatte hinter meinem Rücken das Dreifache der normalen Provision für seine Tasche gefordert. Ich wusste davon nichts. Klaus Allofs hat mich im Nachhinein gefragt, warum ich nicht alleine in sein Büro gekommen bin. Ich hatte allerdings viel zu viel Respekt vor Klaus Allofs und Thomas Schaaf. Als ich noch in Berlin war, habe ich schon zu ihnen aufgeschaut. Deshalb bin ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen, einfach zu Klaus Allofs hochzugehen. Rückblickend hätte ich es lieber machen sollen, aber das Vertrauen in meinen Bruder war so groß, dass ich nie gedacht hätte, dass da wirklich etwas Schlechtes passiert. Leider Gottes wurde ich eines Besseren belehrt. Fast fünf Jahre lang hatte ich daraufhin keinen Kontakt mehr zu meinem Bruder. Mit meinem Berater hat es sich auch lange hingezogen, bis ich mithilfe eines Anwalts aus dem Vertrag bei ihm herausgekommen bin.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Bruder heute? Haben Sie noch einmal über die Vorkommnisse von damals gesprochen?

Wir haben seit sieben Jahren wieder ganz normalen Kontakt. Aber über die Vorkommnisse haben wir nie wieder gesprochen. Ich rede bewusst nicht darüber, weil ich davon nichts mehr hören möchte. Ich war nicht das große Talent, das maßlos gefördert wurde, sondern ich hatte Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt da war und meine Leistung gebracht habe. Dass mir das andere Leute kaputtgemacht haben, damit kam ich lange Zeit einfach nicht klar.

Was haben Sie gemacht, nachdem die Vertragsverlängerung bei Werder endgültig geplatzt war?

Zwei Tage vor dem Trainingsstart habe ich erfahren, dass mein Vertrag nicht verlängert wird. Das hat dazu geführt, dass ich an meinem 24. Geburtstag, am 1. Juli 2011, in Bremen zum Arbeitsamt gehen musste, um mich arbeitslos zu melden, weil mein Vertrag ausgelaufen war. Ich bin mit Mütze tief im Gesicht und Kapuze da reingegangen, in der Hoffnung, dass mich keiner erkennt. Das war für mich die schlimmste Erfahrung, die ich bisher gemacht habe.

Lange waren Sie nicht arbeitslos. Wie kam kurz darauf der Wechsel zum damaligen Zweitligisten Eintracht Frankfurt zustande?

Ich hatte damals auch privat viel mit Marko Marin zu tun. Am Telefon habe ich ihm alles erzählt, und er dachte erst, dass ich Blödsinn rede. Er hat dann mit seinem Berater gesprochen und sich umgehört. Keine zwei Tage später hieß es, dass ich sofort zu Eintracht Frankfurt wechseln kann. Das war eine super Gelegenheit, aber rückblickend war es keine gute Entscheidung.

Sie haben in einem Jahr bei der Eintracht nur einen Einsatz für die Profis bestritten. Woran lag das?

Ich bin dort angekommen, und die Jungs standen kurz vor dem Saisonstart schon komplett im Saft. Ich bin der Musik erst einmal hinterhergerannt und wurde zudem als Rechtsverteidiger geholt, obwohl ich gelernter Innenverteidiger bin. Das lag daran, dass ich meine Profispiele bei Werder als Außenverteidiger gemacht hatte. Der Rechtsverteidiger bei der Eintracht war Sebastian Jung. Der war Junioren-Nationalspieler und ein Gesicht von Eintracht Frankfurt, deshalb war es schwierig für mich, Einsatzzeiten zu bekommen. Darüber hinaus bin ich nie angekommen. Frankfurt ist eine sehr anonyme Stadt, Freundschaften zu schließen war schwierig.

Bei der Eintracht wurden Sie nach der Winterpause in die U23 geschickt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich kam nicht damit zurecht, dass ich kurz zuvor noch in der Bundesliga und in der Champions League gespielt hatte und nun auf einmal in der vierten Liga auflaufen sollte, ohne dass ich etwas verbrochen oder schlechte Leistungen gezeigt hatte. Nach dem Jahr in Frankfurt saß ich im Wohnzimmer meiner Schwiegereltern in Delmenhorst und habe gesagt: Ich bin durch mit dem Thema Fußball. Ich höre auf. Vom Kopf her war ich einfach leer.

Warum haben Sie dann doch weitergemacht?

Ich hatte viele Gespräche mit Thomas Wolter (Sportlicher Leiter des Werder-Leistungszentrums, Anm. d. Red.), der für mich ein Förderer und eine Vertrauensperson war. Ich konnte mich bei ihm fit halten, und wir haben viel geredet. Aber das Ergebnis war zunächst nicht, dass ich weiter Fußballspielen wollte. Dann hat mich Pavel Dotchev angerufen. Er ist mir richtig auf den Sack gegangen, positiv gemeint. Im Sommer 2012 habe ich bei Preußen Münster in der dritten Liga unterschrieben, wo er damals Trainer war. Das erste halbe Jahr lief super für mich. Ich hatte Anfragen von Vereinen aus der zweiten Liga, bis ich mir in einem Spiel das Kreuzband, das Innenband, das Außenband und den Meniskus gerissen habe.

Das war also der nächste große Rückschlag. Wie haben Sie es geschafft, sich davon zu erholen?

2015 bin ich zu Holstein Kiel gewechselt und habe den Spaß am Fußball wieder so richtig zurückgewonnen. Dort wurde mir ein enormes Vertrauen entgegengebracht. Ich musste mich erst an das Spielsystem gewöhnen, aber dann bin ich richtig angekommen und habe mich extrem wohlgefühlt. Wir sind in die zweite Liga aufgestiegen und haben es in die Relegation zur ersten Liga geschafft.

In Kiel hatten Sie gleich zwei Trainer, die später zu Werder gewechselt sind: Markus Anfang und Ole Werner. Wie war die Zusammenarbeit mit den beiden?

Mit Markus Anfang waren wir sehr erfolgreich. Ich habe noch heute ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Als Trainer und als Mensch schätze ich ihn extrem. Er war der beste Trainer, den ich in meiner Karriere hatte, weil er mir am meisten mitgegeben hat.

Wegen eines gefälschten Impfpasses hat Anfang bekanntlich seinen Job bei Werder verloren. Hatten Sie seitdem Kontakt zu ihm?

Ja, wir schreiben uns ab und zu, aber ich will von ihm gar nicht wissen, warum das alles passiert ist. Das ist nicht meine Baustelle. Die ganze Sache verändert nicht meinen Blick darauf, wie er als Mensch ist. Ich habe ihn anders kennengelernt. Er ist ein absoluter Familienmensch und hat immer ein offenes Ohr.

Und Ole Werner?

Zu Ole habe ich ein gutes Verhältnis und schätze ihn als Trainer sehr. Bevor Werder ihn verpflichtet hat, hat Frank Baumann (Werders Sportchef, Anm. d. Red.) mich angerufen und sich nach Ole Werner erkundigt. Und ich kann wirklich nichts Negatives über ihn sagen, auch wenn er derjenige war, der mich in Kiel nach einem halben Jahr als Profitrainer gestrichen hat. Mein Vertrag hat sich dadurch im Sommer 2020 nicht verlängert. Ich hege aber gar keinen Groll gegen ihn. Ich hatte ein gewisses Alter, und der Verein hat anders geplant. Das war legitim. Wir sind nicht im Bösen auseinandergegangen.

Nach dem Ende in Kiel kam der Wechsel zum MSV Duisburg in die dritte Liga, der sich als vollkommen falscher Schritt herausstellen sollte. Warum ist beim MSV für Sie fast alles schief gelaufen?

Wir hatten ein schwieriges Jahr, nachdem die Mannschaft zuvor fast aufgestiegen war. Die Grundstimmung im Verein war negativ. Als Gino Lettieri Anfang 2021 als Trainer für Torsten Lieberknecht kam, musste ich mich direkt gegen Vorurteile wehren. Es hieß, dass ich ein schwieriger Typ sei und alle Vereine im Groll verlassen habe, was nicht stimmt. Nachdem Lettieri gegangen ist, war Pavel Dotchev auf dem Markt. Mit ihm war ich seit der Zeit in Münster immer in Kontakt. Ich habe ihn einfach mal angerufen und gefragt, ob er sich eine Tätigkeit als Trainer in Duisburg vorstellen kann. Und keine drei Tage später war er da.

Das muss doch gut für Sie gewesen sein.

Von den ersten drei Spielen haben wir zwei gewonnen. Dann kam das Spiel gegen 1860 München, und Pavel Dotchev hat gesagt, dass er mich schonen möchte. Kein Problem, habe ich geantwortet. Es war auch eine englische Woche. Nach dem Spiel sollte ich dann zum Trainer ins Büro kommen, und das Gespräch fing schon komisch an. Er hat mir gesagt, er wisse, dass mir noch zwei Spiele fehlen, damit sich der Vertrag verlängert, aber er könne mir nicht garantieren, dass ich diese zwei Einsätze bekomme. Wir standen damals kurz vor einem Abstiegsplatz. Und ich weiß, dass man es nicht an einer Person festmachen kann, aber Fakt ist, dass die Mannschaft bis dahin in den Spielen, in denen ich nicht auf dem Platz stand, nur einen Sieg eingefahren hatte. Letztlich haben wir uns darauf geeinigt, dass ich nicht mehr zu den Auswärtsspielen mitfahre, wenn ich ohnehin nicht spiele. So konnte ich die Zeit stattdessen mit meiner Familie verbringen.

Wie ging es weiter?

Nachdem die Mannschaft bei Viktoria Köln mit 1:3 verloren hatte, habe ich danach plötzlich wieder von Anfang an gespielt, ohne dass vorher jemand mit mir geredet hat. Bis zum Saisonende habe ich noch acht weitere Spiele gemacht. Am Ende kam der Klassenerhalt dabei heraus.

Richtig zufrieden war damit aber keiner, oder?

Wir haben am letzten Spieltag in Meppen verloren. Vorher hatte es im Landespokal eine 2:6-Niederlage gegen Wuppertal gegeben, da war ich verletzt. Trotz des Klassenerhalts war die Stimmung am Boden. Als wir aus Meppen zurückkamen, wurde der Bus am Stadion mit Eiern und Steinen beworfen. Es hat nur noch gescheppert. Wenige Minuten später kamen Polizisten in voller Montur, mit Helmen und Waffen, zu uns in den Bus. Am Stadion parkten unsere Autos, die die Polizisten erst einmal untersucht haben. Sie wollten sichergehen, dass keine Radmuttern gelöst worden waren. Danach wurde jeder Spieler von einem Polizeiauto nach Hause begleitet. Ich habe fußläufig nur fünf Minuten vom Stadion entfernt gewohnt. Erst einmal habe ich meine Frau angerufen und gesagt, dass sie alle Rollladen runtermachen soll. Mein Auto habe ich dann versteckt irgendwo geparkt. Es hieß, dass wir die nächsten Tage nicht zum Trainingsgelände kommen sollten.

Was haben Sie in den folgenden Tagen gemacht?

Ich saß zu Hause und durfte nicht raus. Von Holstein Kiel hatte ich eine Einladung zum Relegationsspiel gegen Köln bekommen. Ich habe mich dann entschieden, dorthin zu fahren, denn in Duisburg hätte ich ohnehin nichts machen können. Zu dem Spiel habe ich mir das Trikot meines besten Freundes Jannik Dehm (spielte damals für Kiel, ist inzwischen zu Hannover 96 gewechselt, Anm. d. Red.) angezogen und habe versucht, mit Käppi, Kapuze und Maske unerkannt zu bleiben. Trotzdem haben mich Holstein-Fans erkannt.

Sie haben Fotos mit Fans gemacht, und ein Bild von Ihnen im Kieler Trikot landete in den sozialen Netzwerken. Was ist daraufhin in Duisburg passiert?

Ich musste ins Büro von Sportdirektor Ivo Grlic. Der hat mir mitgeteilt, dass sie nicht mehr mit mir planen und zwei neue Innenverteidiger verpflichten wollen. Ich habe aber gesagt, dass ich für zwei Jahre unterschrieben habe und meine Aufgabe noch nicht als beendet ansehe. Ich habe versucht, ihm zu vermitteln, dass ich mit den Gedanken voll beim MSV Duisburg bin. Aber von diesem Zeitpunkt an war es eine politische Geschichte. Jedem Trainer wurde eingeimpft, dass ich nicht spielen darf. Ich konnte so gut trainieren, wie ich wollte, es hatte keine Auswirkungen.

Warum haben Sie Duisburg nicht schon im vergangenen Sommer verlassen?

Ich war noch nie ein Typ, der abhaut, wenn es schwierig wird. Zudem wollte ich meiner Frau und meinem Sohn, der gerade einen Kitaplatz bekommen hatte, nicht schon wieder einen Umzug zumuten.

Sie sind also geblieben und haben sogar noch einmal für Duisburg gespielt. Als Sie Anfang Oktober 2021 bei der Heimniederlage gegen Meppen kurz vor Schluss eingewechselt wurden, haben die eigenen Fans Sie ausgepfiffen. Nach dem Spiel sind Sie in Tränen ausgebrochen. Da war klar, dass es für Sie keine Zukunft in Duisburg mehr gibt, oder?

Auch wegen Corona gab es leider nie einen Austausch mit den Fans. Dann hätte ich die Aktion mit dem Holstein-Trikot erklären können, denn dahinter steckte ja nichts Böses. Ich wollte nur meinen ehemaligen Verein unterstützen. Das hieß aber auf keinen Fall, dass ich mich mit dem MSV Duisburg nicht identifiziert hätte. Man muss aber auch sagen: Ich bin in Duisburg nie mit einem guten Gefühl in die Stadt gegangen, gerade nach verlorenen Spielen. Dann habe ich mich immer umgeguckt, ob mich Leute beobachten oder schief ansehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ein Sündenbock war. Dabei habe ich mich immer korrekt verhalten, war immer pünktlich und freundlich und habe auf dem Platz immer alles gegeben.

Die Mannschaft hat nach dem Meppen-Spiel eine Erklärung abgegeben und Ihnen den Rücken gestärkt. Was hat das für Sie bedeutet?

Das war für mich sehr wichtig. Damit haben mir die Jungs Rückendeckung gegeben. Noch heute habe ich in der Mannschaft ein hohes Ansehen. Die Jungs sind durchweg top.

Anfang des Jahres haben Sie Ihren Vertrag beim MSV Duisburg aufgelöst. Wie lief das ab?

Ich hatte meinen Vertrag mit Ivo Grlic abgeschlossen, aufgelöst habe ich ihn mit jemandem, den ich kaum kannte. Ich habe immer gesagt, dass ich den Vertrag nur auflöse, wenn ich mein komplettes Gehalt bekomme. Warum sollte ich auf etwas verzichten, wenn ich nichts verbrochen habe? Jetzt im Winter waren sie dann bereit, mir die komplette Summe zu bezahlen. Menschlich und sportlich gesehen war Duisburg meine schlimmste Station. Daher war ich sehr froh, als das Kapitel zu Ende war.

Sie haben gesagt, dass Sie beim SV Atlas nun den Spaß am Fußball wiederfinden wollen. Was haben Sie sich noch vorgenommen?

Ich möchte meine Erfahrungen einbringen, damit der Verein weiterhin wachsen kann. Nach meiner aktiven Zeit werde ich wahrscheinlich den Sportdirektorposten übernehmen, und Bastian Fuhrken steigt in die Geschäftsführung auf. Wir wollen das dann Hand in Hand machen und sprechen jetzt schon sehr viel miteinander.

Wie bereiten Sie sich auf die Tätigkeit als Sportdirektor vor?

Ich möchte gerne die Trainer-A-Lizenz machen. Sobald unser Haus in Delmenhorst umgebaut ist, sodass meine Frau, mein Sohn und ich einziehen können, fange ich ein Sportmanagement-Fernstudium an. Außerdem treffe ich mich demnächst mit Frank Baumann, um zu besprechen, ob ich bei Werder in irgendeiner Form Erfahrungen sammeln kann. Hier zu Hause verblöde ich sonst. Zurzeit wohne ich noch bei meinen Schwiegereltern, die tagsüber arbeiten. Wenn meine Frau und mein Sohn in Duisburg sind, sitze ich alleine rum und warte, dass ich abends zum Training gehen kann.

Sie haben im Fußballgeschäft viele negative Erfahrungen gemacht. Warum wollen Sie trotzdem weiterhin dort arbeiten?

Ich bin davon überzeugt, dass das ganze Fußballgeschäft auch anders funktioniert. Es geht oft um viel Geld, und leider fehlt dabei die Menschlichkeit. Lässt man als Fußballprofi nicht alles über sich ergehen, ist man gleich der böse Bube, der Stress macht und auf der Streichliste ganz oben steht. Deshalb gibt es im Fußball kaum noch richtige Typen. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, aber ich möchte es auf andere Art versuchen. Mit Aufrichtigkeit und Menschlichkeit.

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Zur Person

Dominik Schmidt (34)

hat Ende Januar beim Fußball-Regionalligisten SV Atlas Delmenhorst einen Vertrag über anderthalb Jahre unterschrieben – mit der Option auf ein weiteres Jahr. Vorher spielte der Innenverteidiger für Werder Bremen, Eintracht Frankfurt, Preußen Münster, Holstein Kiel und den MSV Duisburg.

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