Es kommt immer mal wieder vor, dass sie auf dem Sportplatz des Ahlhorner SV das Flutlicht ein bisschen länger brennen lassen. Die Mannschaften haben ihr Training dann schon beendet, doch ein einzelner Fußballer läuft noch über den Platz und macht für sich alleine seine Übungen – mal bis 22 Uhr, mal bis 23 Uhr. Beim Ahlhorner SV kennt ihn inzwischen jeder: Allah Aid Hamid, der seit Saisonbeginn für den SV Tur Abdin in der Bezirksliga spielt. Servet Zeyrek, ehemaliger Trainer der Ahlhorner, grinst nur, wenn es um den 19-Jährigen geht, und sagt: „Der ist fußballkrank.“
Beim SV Tur Abdin staunen sie ebenfalls oft über den jungen Offensivspieler: Er trainiert schon vor dem Mannschaftstraining individuell und danach wieder. Allah Aid Hamid ist aber nicht nur außerordentlich fleißig, er ist auch außerordentlich talentiert. Zeyrek, der ihn in Ahlhorn trainierte, und Sven Apostel, der ihn bei Tur Abdin bis zu seinem Abschied als Trainer kennenlernte, halten große Stücke auf Hamid. Beide können sich das Talent gut bei einem höherklassigen Klub vorstellen. In der vergangenen Woche absolvierte der Bezirksliga-Spieler ein Probetraining beim Schweizer Zweitligisten FC Schaffhausen. Über Verbindungen war der Kontakt zu Schaffhausens Chefcoach Martin Andermatt zustande gekommen, und der renommierte Trainer, der einst bei Eintracht Frankfurt an der Seitenlinie stand, ließ Allah Aid Hamid drei Tage lang mittrainieren.

Probetraining in der Schweiz: Allah Aid Hamid war drei Tage lang beim Zweitligisten FC Schaffhausen zu Gast.
„Das hat sehr viel Spaß gemacht“, sagt der 19-Jährige. „Dort wird sehr professionell gearbeitet. Die Spieler sind technisch stark und sehr schnell. Der Trainer ist sehr gut. Ich konnte viel lernen, vor allem taktisch und technisch.“ Sven Apostel hat Hamid in die Schweiz begleitet und sich die Einheiten genau angeschaut. Er sagt: „Es war nicht zu erkennen, dass Allah nur zum Probetraining dort war. Er konnte mithalten, hat auch ein Tor gemacht, dabei hatte er mit einem schmerzenden Knöchel zu kämpfen.“ Dass das Talent nun in Kürze von Tur Abdin zum FC Schaffhausen wechselt, sei aber nicht geplant. Das Probetraining in der Schweiz sei vor allem als wichtige Erfahrung zu sehen. „Die Jungs müssen lernen, unter Stress zu funktionieren“, betont Apostel. Möglicherweise darf Hamid demnächst noch bei anderen Vereinen zur Probe mittrainieren, und jetzt weiß er schon einmal, wie so etwas abläuft.
Abseits des Platzes hat der 19-Jährige bereits vieles erlebt. Allah Aid Hamid kam vor rund sechs Jahren als Geflüchteter aus dem Irak nach Deutschland. Wie viele andere Jesiden verließ er das Land, um vor der Terrorgruppe "Islamischer Staat" zu flüchten. In Ahlhorn ist er inzwischen heimisch geworden und lebt dort mit seinen Eltern und seinen neun Geschwistern. Da er vom Fußball nie genug bekommen kann, ist Hamid beim Ahlhorner SV auch noch Co-Trainer der A-Jugend und Trainer der E-Jugend, in der sein achtjähriger Bruder Diyar spielt. Zudem besucht er die Berufsschule in Oldenburg.
Hamid fühlt sich wohl in Ahlhorn, doch für eine Fußballkarriere würde er auch das gewohnte Umfeld verlassen. „Profi zu werden ist mein Traum. Dafür arbeite ich jeden Tag“, betont er. „Ich will die Chance nutzen und glaube daran, dass sich harte Arbeit auszahlt. Wille schlägt Talent.“ Mittwochs und freitags trainiert er bei Tur Abdin, schiebt davor und danach oft Sonderschichten. Sonntags steht meistens ein Spiel in der Bezirksliga an. Montags, dienstags und sonnabends übt Hamid für sich alleine. Nur donnerstags trainiere er nicht, erzählt der 19-Jährige. Ohne Fußball geht es allerdings auch an diesem Tag nicht, denn dann ist Hamid als Co-Trainer beim A-Jugend-Training gefordert.
Und was macht er so ganz alleine auf dem Platz in Ahlhorn, wenn das Flutlicht mal wieder länger brennt? „Ich sprinte, übe Flanken. Manchmal ist ein Freund dabei, dann trainiere ich mit ihm Eins-gegen-eins-Duelle. Oder ich arbeite an meinem ersten Kontakt.“ Dafür legt Allah Aid Hamid beispielsweise eine Bierbank als Bande auf den Rasen. Dann passt er den Ball gegen die Holzbank und versucht, das Spielgerät so schnell wie möglich zu verarbeiten. „Was er macht, ist Wahnsinn“, unterstreicht Servet Zeyrek. „Allah arbeitet härter als Cristiano Ronaldo.“
Zeyrek lernte seinen Schützling kennen, als Hamid Jugendspieler beim JFV Nordwest in Oldenburg war. „Er wurde dort aber nicht glücklich und hat aufgehört. Dann hat er mich gefragt, ob er mittrainieren kann.“ Zeyrek ließ ihn bei der ersten Herrenmannschaft des Kreisligisten Ahlhorner SV mitmachen und traute seinen Augen oftmals nicht: „Der war schon um 16 Uhr auf dem Platz, wenn wir um 19 Uhr Training hatten. Danach hat er dann noch bis 23 Uhr weitergemacht. Da habe ich gedacht: Der Junge will es wirklich.“ Also nahm Zeyrek Hamid unter seine Fittiche. „Wir haben gezielt an seinen Schwächen gearbeitet. Er war zum Beispiel zu ballverliebt.“ Zeyrek unterteilte den Platz in mehrere Zonen. Zonen, in denen der Ball schnell weitergespielt werden muss. Und Zonen am gegnerischen Strafraum, in denen ein Dribbling riskiert werden kann. „Allah nimmt alles auf und lernt enorm schnell“, schwärmt Zeyrek.
Wechsel im Winter ist das Ziel
Der Wildeshauser trainierte einst den SV Tur Abdin, vor der Saison vermittelte er Hamid an den Delmenhorster Klub. Dort traf der talentierte Offensivspieler auf Sven Apostel, der bis Ende September Abdin-Trainer war. Und auch der A-Lizenz-Inhaber war nach kurzer Zeit begeistert von dem Jungen aus Ahlhorn. „Der bringt alles mit: Tempo, Spielübersicht, Schusskraft, Stärke im Dribbling und im Zweikampf“, zählt Apostel auf. „In der Regionalliga kann er bestimmt spielen, vielleicht sogar in der dritten Liga oder höher.“ Bei Tur Abdin kommt Hamid als Flügelstürmer zum Einsatz und stach sofort heraus. Fünf Tore erzielte er in sieben Partien und glänzte zudem als Vorbereiter.
Jetzt will Allah Aid Hamid mehr als die Bezirksliga: „Es gefällt mir bei Tur Abdin, aber es wäre ein guter Schritt, im Winter in eine höhere Liga zu wechseln. Dort könnte ich dazulernen und mich verbessern. Auch wenn ich bei einem neuen Verein erst einmal auf der Bank sitzen würde, würde ich dranbleiben und immer weiterkämpfen. Irgendwann kommt die Chance.“ Beim Regionalligisten SV Atlas Delmenhorst kennen sie Hamid bereits, genauso wie bei anderen Klubs aus der Region. Und vielleicht schlägt der FC Schaffhausen aus der Schweiz ja doch noch zu. Wo das Talent landet, ist momentan völlig offen. „Ich hoffe nur, dass ihm ein Verein eine Chance gibt. Der Junge hat das echt verdient“, sagt Zeyrek.
Allah Aid Hamid ist Zeyrek und Apostel sehr dankbar für ihre Hilfe bei der Vereinssuche. Was seine Zukunft bringt, lässt er erst einmal auf sich zukommen und tut solange weiterhin das, was er ohnehin jeden Tag tut: Fußball spielen. Aber kriegt er wirklich nie genug vom Fußball? Gibt es Momente, in denen er einfach keine Lust darauf hat? Nein, antwortet Hamid entschieden. Früher im Irak habe er schon sehr gerne Fußball gespielt. „Aber da haben wir auf der Straße gekickt – ohne Fußballschuhe und ohne richtigen Ball.“ Ein gepflegter Rasenplatz, ein echter Fußball und ein Paar Fußballschuhe – „das ist für mich Luxus“, betont Allah Aid Hamid. „Jedes Spiel, jedes Training ist für mich wie Champions League. Wenn ich auf dem Fußballplatz bin, vergesse ich alles andere. Das macht mir so viel Spaß, davon bekomme ich nie genug.“ Beim Ahlhorner SV werden sie also auch weiterhin das Flutlicht an manchen Tagen etwas länger anlassen müssen.