Fußball ist unter anderem deswegen ein so interessanter Sport, weil Kleinigkeiten entscheiden. Bei anderen Sportarten gibt es viele Punkte oder Tore, beim Fußball sind einzelne Situationen ausschlaggebend. Bei der Regionalligapartie in der Meisterrunde zwischen dem SV Atlas Delmenhorst und dem SC Weiche Flensburg war es ebenfalls so. Die Gäste setzten sich mit 2:1 (0:1) durch. "Fußball ist nicht immer gerecht. Ein Unentschieden wäre okay gewesen", sagte Weiche-Coach Thomas Seeliger.
Welche Szene war dieses Mal so bedeutsam? Im Grunde waren es 30 Sekunden ab der 85. Minute: Es stand 1:1, Atlas stand zu diesem Zeitpunkt die meiste Zeit mit fast allen Mann in der eigenen Hälfte, Flensburg suchte die Lücke und fand sie selten. Nach einem Fehlpass im Aufbau schalteten die Delmenhorster schnell um. Dimitrios Ferfelis trieb den Ball durch das Mittelfeld. Links vor ihm lief Tobias Steffen frei, Flensburg hatte nur noch drei Mann hinter dem Ball, Atlas griff zu viert an. Doch Ferfelis wartete zu lange mit dem Pass, und als er ihn spielte, war dieser viel zu steil, sodass Raphael Straub im Weiche-Tor das Leder aufnehmen und in die Gegenrichtung geben konnte. 20 Sekunden später klärte Atlas-Linksverteidiger Julian Stöhr den Ball in Strafraumhöhe ins Seitenaus. Auftritt Torge Paetow.
Einwurf als Waffe
Der Flensburger Verteidiger kann etwas, das sonst selbst in den drei Ligen oberhalb der Regionalliga kaum jemand kann. Er wirft den Ball mit Zug bis an den Fünf-Meter-Raum. Diese Standardsituationen sind mindestens genauso gefährlich wie Ecken. Und auch in Düsternort schleuderte Paetow das Leder weit. Patrick Thomsen kam herangerauscht und köpfte das 2:1 (86.). "Wir sind da 'all in' gegangen. Wir mussten gewinnen, um die Minimalchance auf den Aufstieg zu wahren. Die Einwürfe sind einfach eine Waffe und schwer zu verteidigen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass das funktioniert", sagte Seeliger.
Beim SV Atlas wusste jeder um diese Waffe, zu verteidigen war der Gegentreffer dennoch kaum. Grund dafür war das verletzungsbedingte Ausscheiden von Innenverteidiger Kerem Sari (80.). Er hatte bis dato gemeinsam mit Dominik Schmidt nahezu alle hohen Bälle stark wegverteidigt. Aufgrund der engen Personaldecke konnte Atlas-Coach Key Riebau jedoch keinen großen Spieler für Sari bringen und so den großen Flensburgern nicht genug entgegensetzen.
Verdiente Führung
Die Delmenhorster waren im ersten Durchgang die bessere Mannschaft, auch wenn die Gäste die erste große Chance hatten: Christopher Kramer köpfte eine Ecke an den Pfosten (11.). Atlas investierte im ersten Durchgang sehr viel. Mittelstürmer Tom Schmidt sowie die Dreierreihe mit Mattia Trianni, Tobias Steffen und Marco Stefandl hinter ihm sprinteten die Flensburger im Aufbau immer wieder an, sodass diese sich nicht herauskombinieren konnten. Aus Ballverlusten resultierten erste Abschlüsse durch Stefandl (14.) und Schmidt (21.), die ihr Ziel jedoch klar verfehlten.
In Minute 23 war es dann so weit: Flensburg versuchte es mit flachen Pässen, fand jedoch kein Durchkommen, sodass ein langer Schlag von Straub erfolgte. Nico Matern legte diesen per Kopf zu Cerruti Siya. Dieser zog dynamisch das Tempo an, spielte rechts raus auf Stefandl, der auf den durchlaufenden Siya zurücklegte – und der Achter schob platziert mit der Innenseite zur 1:0-Führung ein. Kurz darauf scheiterte Stefandl erneut aus der Distanz, bevor die Latte für Atlas rettete. Der schnelle Marcel Cornils nahm einen langen Pass gekonnt mit, legte auf Dominic Hartmann weiter, der über Rico Sygo im Atlas-Kasten hinweg ans Gebälk chippte (27.).
Chancen sind da
Atlas hätte nach 33 Minuten auf 2:0 erhöhen können, doch letztlich wurde Stefandl im Strafraum geblockt. Matern zielte nach schönem Kombinationsspiel mit Oliver Rauh zu hoch (42.), Schmidt verpasste eine Stöhr-Hereingabe nur knapp (45.). "Wir hätten das 2:0 nachlegen können. Die ersten 45 bis 60 Minuten waren sehr gut von uns", sagte Riebau. Das sah auch Seeliger so: "In der ersten Halbzeit waren wir nicht im Spiel. Es schien, als ob die Spieler noch im Bus waren", monierte er.
Nach dem Seitenwechsel agierte Flensburg aggressiver und druckvoller und belohnte sich. Stöhr spielte einen Fehlpass im Aufbau, Hartmann schaltete schnell und setzte den eingewechselten Noel Niklas Kurzbach auf rechts ein. Dieser flankte in die Mitte, wo Kramer stand und problemlos zum 1:1 einschob (59.). Atlas hatte zuvor durch einen Trianni-Distanzschuss (52.) und eine Stefandl-Flanke, die Steffen und Schmidt knapp verpassten (55.), zwei gute Gelegenheiten.
Das Spiel verlor nun an Tempo, Atlas stand tiefer und presste nicht mehr so stark. Torchancen blieben Mangelware, auch wenn Ferfelis artistisch einen Fallrückzieher aufs Tor brachte, den Straub jedoch sicher fing (74.). Es folgte der Atlas-Überzahl-Angriff und im Gegenzug der Paetow-Einwurf. "Wir sind frustriert, weil wir nichts mitnehmen. Wir belohnen uns nicht für unseren Einsatz", resümierte Riebau.