Als die Spielerinnen nach dem Abpfiff mit den Fans feierten, stand Werders Trainer Thomas Horsch in Höhe der Mittellinie und schaute einfach zu. Vor der neuen Rekordkulisse von 21.508 Zuschauern im Wohninvest-Weserstadion hatte seine Mannschaft den 1. FC Köln mit 3:0 besiegt. Es war das zweite „Highligt-Spiel“ der Werder-Frauen in diesem großen Stadion. Vor einem Jahr hatten sie hier mit 1:2 gegen Freiburg verloren, vor rund 20.000 Fans. Auch damals wurden Werders Spielerinnen von den Fans gefeiert. Aber halt nicht für einen Sieg, sondern einfach so. Genau das ging Horsch nun durch den Kopf, als er dem fröhlichen Treiben zusah. „Diesmal war es eine tadellose Leistung, wir haben die Kulisse im Stadion nicht nur genossen, sondern genutzt“, sagte er, „ich war nicht ganz zufrieden mit der Party nach dem Spiel gegen Freiburg. Damals haben sich die Spielerinnen zwar auch feiern lassen, aber diesmal hatten wir richtig was zu feiern. Das war das Schöne an diesem Spiel: Dass wir zwischen diesen beiden Partien in diesem Stadion eine Entwicklung durchgemacht haben.“
Entwicklung – das war rund um diesen zweiten Auftritt der Werder-Frauen vor großer Kulisse das am häufigsten betonte Wort bei Werder. Seit einem Jahr ist Frank Baumann als Geschäftsführer auch für die Frauen verantwortlich. Er möchte, dass es „eine nachhaltige Entwicklung ist“, die man bei Werder nun fördert, „es ist ein Marathon und es ist noch eine weite Strecke zu gehen – aber wir sind auf einem guten Weg.“
Auf dem Feld sahen die begeisterten Zuschauer, darunter viele Familien mit Kindern, eine spielerisch deutlich verbesserte Bremer Mannschaft, die sich nun nicht mehr von so einer Kulisse treiben ließ und ins Verderben rannte. „Das war die Herausforderung“, erklärte Kapitänin Lina Hausicke, die in der Schlussphase das erlösende 2:0 erzielt hatte, „diese Kulisse trägt einen durch so ein Spiel, aber es war uns wichtig, unseren Fußball zu zeigen.“ Nämlich mit hoher Intensität und der nötigen Abgeklärtheit, für die diesmal die überragende Abwehrchefin Michelle Ulbrich stand: Wie oft sie eine Gegenspielerin mit größter Lässigkeit im Laufduell besiegte und den Ball sicherte, hatten regelmäßige Besucher des Weserstadions in dieser Form schon lange nicht mehr gesehen.
Dass es kein Zufalls-Sieg war gegen die gleichwertigen Kölnerinnen, das zeigte schon das erste Tor: Es war ein einstudierter Freistoßtrick – auch das ein Alleinstellungsmerkmal der Werder-Frauen. Ulbrich stand dabei zum Pass bereit, etwa 20 Meter vor dem Tor. Nina Lührßen lief erst in den Strafraum und damit ins Abseits, trottete wieder zurück und sprintete sofort wieder hinein. Jetzt spielte Ulbrich den Ball, Lührßen stand frei im Strafraum und legte den Ball quer. In der Mitte schob Kölns Celina Degen den Ball ins eigene Tor. Das war die umjubelte Führung nach 32 Minuten. „Das hatten wir genau so geplant“, sagte Lührßen über den Freistoßtrick, den Co-Trainer Lucas Horsch ausgetüftelt hatte, „es war nur nicht geplant, dass eine Kölnerin dann ein Eigentor schießt.“

Wichtiger Sieg: Werder-Urgestein Michelle Ulbrich freut sich über den klaren Sieg über Köln.
Werder blieb danach die offensivere Mannschaft, aggressiv in den Zweikämpfen, aber oft nicht zielstrebig genug. Viele Angriffe wurden durch einen schlechten letzten Pass vergeben, weshalb das erlösende 2:0 lange nicht fiel – bis Hausicke den Ball nach einem Abwehrfehler aus kurzer Distanz unter die Latte hämmerte, direkt vor der Ostkurve. Für Thomas Horsch war das ein Schlüsselmoment, „denn es stand lange nur 1:0, und dann besteht immer die Gefahr, dass eine Mannschaft wie Köln den Ausgleich macht. So aber bin ich erleichtert und megastolz, wir haben diesen Sieg erspielt und erzwungen.“ Schön war auch das dritte Tor: Lührßen flankte von der linken Seite in den Strafraum, dort bugsierte die nach ihrer Einwechslung sehr spielfreudige Melina Kunkel den Ball mit dem Rücken zum Tor über die Linie.
Die Zuschauer feierten danach den Sieg einer Mannschaft, für die solche Erlebnisse alles andere als selbstverständlich sind. Manager Frank Baumann hatte am Rande der Partie angedeutet, welche Entwicklungsschritte im Hintergrund passiert sind. So hat Werders Frauenmannschaft seit dieser Saison eine eigene Kabine auf Platz 11. „Vorher haben sich die Spielerinnen oft zu Hause umgezogen oder zu Hause geduscht, daheim haben sie auch ihre Trainingsklamotten selbst gewaschen“, erzählte Baumann, „das ist jetzt alles anders.“ Werder werde, das versprach er, „weiter nachhaltig in die Qualität des Frauenfußballs investieren“. Man wolle in Bremen und der Region möglichst viele Mädchen für Fußball begeistern und ihnen die Möglichkeit bieten, sie bis in den Spitzensport zu bringen.
Dass nicht alle Entwicklungen in diese positive Richtung gehen, zeigt diese Personalie: Der langjährige Pressesprecher der Werder-Frauen, Marcel Kuhnt, der an einer professionelleren Medienarbeit der Frauen-Abteilung großen Anteil hatte, wechselt zum Jahreswechsel zum Bundesliga-Spitzenreiter TSG Hoffenheim. Werder verliert dadurch einen ligaweit angesehenen Mitarbeiter. Auch diese Lücke werden sie also schließen müssen bei Werder.
Abteilungsleiterin Birte Brüggemann genoss das besondere Erlebnis am Wochenende sichtlich: „Ich hätte mir noch vor fünf oder sechs Jahren gar nicht vorstellen können, dass sich mal mehr als 20.000 Menschen ein Frauenspiel ansehen“, sagte sie und versicherte: „Wir wollen sympathisch und bodenständig bleiben.“ Auch wenn der Frauenfußball eine aufstrebende Branche sei, dürfe diese Nahbarkeit nicht verloren gehen. „Denn das“, meinte Brüggemann, „ist ein Alleinstellungsmerkmal. Wir haben noch ein bisschen Fußballromantik in uns, die der Männerfußball ein Stück weit verloren hat.“