Bisher stand der im Herbst gewählte Aufsichtsrat von Werder Bremen nicht im Verdacht, den Verein kritisch zu begleiten. Die Mitglieder dieses einflussreichen Gremiums gaben in den vergangenen Monaten zwar überraschend viele Interviews, hatten dabei aber nicht wirklich viel zu sagen. Man erfuhr, wie nett sie es fanden, den Geschäftsführer Frank Baumann mal aus der Nähe zu erleben. Und dass sie sich über die Tore von Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch freuten.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Die wichtigste Botschaft, die bisher aus diesem Gremium drang, klang wie die Fürbitte eines x-beliebigen Fußballvereins vor dem Saisonstart: Wir wollen mehr Spiele gewinnen und mehr Talente ausbilden. So lautete im Kern die Begründung, warum man nach langem Zögern den Vertrag mit Baumann verlängerte. Mehr Siege und mehr Talente? Wenn man keine grün-weiße Brille trägt, musste man sich fragen, ob es irgendeinen Verein in der Größe von Werder Bremen gibt, der das nicht möchte.
Der Aufsichtsrat muss die Geschäftsführung kontrollieren und kann sie auch entlassen. Theoretisch. Doch durch den Rückzug von Ex-Nationalspieler Marco Bode verlor dieses Gremium bei Werder seinen sportlichen Sachverstand und ein belastbares Netzwerk im Profifußball. Nun könnte man zwar einwenden, dass langjährige Fußballfunktionäre wie Clemens Tönnies (Fleischfabrikant auf Schalke) und Martin Kind (Hörgeräte-Mogul in Hannover) ihre Stärken auch nie darin hatten, einen guten Transfer von einem schlechten unterscheiden zu können. Aber sie butterten wenigstens so unfassbar viel ihres privaten Vermögens in diese Vereine, dass man sich jede noch so verrückte Fehlentscheidung auch leisten konnte. Das wagte in Bremen nicht mal der werdertreue Kurt Zech in seiner Zeit als Aufsichtsrat.
In ihren ersten Monaten im Amt konnten die Herren und Damen des Gremiums jedenfalls nicht die Bedenken der Kritiker entkräften, dass Werders Geschäftsführung – die den Abstieg geschlossen überstand – nun genau die Art von Aufsichtsrat über sich weiß, den sie auch haben wollte.
Doch nun meldete sich der Mann zu Wort, mit dem viele Fans die Hoffnung auf strategische Kompetenz im Aufsichtsrat am ehesten verknüpften: Harm Ohlmeyer, Finanzvorstand des Weltkonzerns Adidas. Ohlmeyer wollte nicht den Vorsitz im neuen Aufsichtsrat führen, gab nun aber ein Interview, das im WESER-KURIER erschienen ist, und das seinen natürlichen Führungsanspruch belegt.
Ohlmeyer lebt in Süddeutschland und ist nicht zu eng mit der Werder-Familie verwoben. Deshalb sagt er Sätze wie diese: „Das ist so ein Werder-Problem. Es wird viel über etwas gesprochen, aber dann muss man es auch machen.“ Damit bemängelt er das fehlende Vorankommen bei der Suche nach einem strategischen Partner – auf diese Bezeichnung hat man sich bei Werder verständigt, um den Begriff „Investor“ zu vermeiden. Ohlmeyer wörtlich: „Werder-Verantwortliche sprechen schon seit Jahren davon, dieses Thema angehen zu wollen, nur ist es bislang stets bei dem Wollen geblieben.“ Er sehe seine Verantwortung darin, Druck zu machen und anzuschieben.
Anschieben muss man natürlich nur da, wo es zu wenig Bewegung gibt. Von außen wird solche Kritik an Werders Vereinspolitik häufig formuliert, ob von Medien oder durch ehemalige Vereinsgrößen. Wo es Werder nicht am Willen fehlt, da fehlt es zu oft am Tempo oder an einem Plan B. Das zeigt sich auch beim Bestreben, ein zukunftsfähiges Nachwuchsleistungszentrum zu bauen, was in der Pauliner Marsch offensichtlich nur schwer möglich ist. Ohlmeyer bemängelt: „Unsere Kernbotschaft ist, dass wir ein Ausbildungsverein sind. Wir bezeichnen uns so, können aber nicht sagen, wie es mit dem Leistungszentrum weitergeht.“ Auch da möchte er mehr Schwung reinbringen, um für strategische Partner glaubwürdig zu werden.
Es ist ungewohnt für Werder, aber durchaus förderlich, dass Kritik auch mal von innen kommt, aus dem Aufsichtsrat – und nicht nach dem trügerischen Motto verfahren wird, durch den Aufstieg sei alles wieder in Ordnung. Auch das betont Ohlmeyer: „Der Aufstieg löst nicht alle Probleme.“ Schon 2023 müsse Werder deshalb für einen strategischen Partner zumindest bereit sein.
Dass sich Baumann nur einen Tag später – angesprochen auf den ambitionierten Zeitplan des Aufsichtsrates – mehr Realismus wünschte, bestätigte Ohlmeyer im Prinzip nur in seiner Analyse. Deshalb werden auch diese Aussagen des Adidas-Mannes vielleicht noch wichtig: „Wir können jetzt alle hoffen, dass wir viele Spiele gewinnen und den Marktwert unserer Spieler steigern, um sie dann zu verkaufen. Aber da ist natürlich viel Hoffnung drin. Das allein reicht mir nicht.“ Reibung in der Werder-Welt? Man darf gespannt sein, wie das weitergeht.