Die Mitgliederversammlung im Weserstadion war etwas mehr als zwei Stunden alt, als Frank Baumann ans Rednerpult trat. Drei Wochen zuvor war er an gleicher Stelle noch von vielen Werder-Fans ausgepfiffen worden. „Baumann raus“ hieß es während der 1:4-Niederlage gegen den SC Paderborn. Doch als am Sonntag Klaus Filbry einen Sonderapplaus für seinen Geschäftsführer-Kollegen forderte, da lieferten die Mitglieder tatsächlich den geforderten Beifall. „Baumann raus“ – es war kein Slogan, der am Sonntag noch aktuell war. Jedenfalls nicht vonseiten der Mitglieder. Bei Baumann selbst sah das in einer Andeutung etwas anders aus.
Natürlich habe er die Kritik der vergangenen Wochen wahrgenommen, „sie ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen“. Baumann wiederholte aber, was er schon häufiger betont hat: Er macht nicht aus Trotz, Eitelkeit oder aus einer Versorgungsnot heraus als Sportchef weiter: „Ich brauche diesen Job nicht, ich bin finanziell unabhängig. Und wer mich kennt weiß, dass ich auch die Öffentlichkeit nicht brauche.“ Ihn treibe allein die Verantwortung an, die er für Werder spüre: „Für mich bedeutet Verantwortung zu übernehmen, auch in schwierigen Zeiten nicht davonzulaufen, sondern mit Sinn und Verstand anzupacken und zu versuchen, den Verein wieder in eine positive Zukunft zu lenken.“
Die negative Entwicklung der vergangenen Jahre nahm Baumann zum Teil mit auf seine Kappe. Nicht jeder Transfer sei „so aufgegangen, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagte er. Er sei mitunter aber auch von der finanziellen Not gefesselt gewesen. Ein Beispiel: „Uns war klar, dass wir nach dem Weggang von Davy Klaassen im Mittelfeld ein Riesenloch haben, wir konnten aber aus finanziellen Gründen nicht nachlegen, selbst wenn der Transfer von Milot Rashica nach Leverkusen noch geklappt hätte, wäre es nicht möglich gewesen.“
Und dann: Thema Florian Kohfeldt, Thema späte Trainerablösung. Baumann hatte bis nach dem vorletzten Spieltag an den Coach festgehalten. Ein Fehler, den der 45-Jährige jetzt erstmals eingesteht. Kohfeldt sei ein „sehr guter Trainer“ und bleibe das auch, behauptet Baumann. In der Rückschau, so hält er es fest, hätte die Geschäftsführung dennoch „früher handeln können und müssen“.
Zum Handeln gezwungen war Baumann nach dem Abstieg. Stichwort Umbruch. Mit Spielern aus der U23 und Leihrückkehrern sowie den externen Neuzugängen Rapp, Jung, Mai, Ducksch, Assale und Weiser hat der Ex-Nationalspieler ein Team zusammengebaut, das mit einem Durchschnittsalter von 24,5 Jahren das zweitjüngste der zweiten Liga ist. Zudem hätten Spieler, die über das eigene Leistungszentrum inklusive der U23 entwickelt wurden, in den bisherigen Spielen 49,2 Prozent der Spielzeit bei Werder bekommen. Und: Mit selbst ausgebildeten Spielern hat Werder in diesem Sommer 17 Millionen Euro erlöst – was auf die Transfers der Eggestein-Brüder und von Josh Sargent zurückzuführen ist.
Für die Zukunft gilt: „Gerade den jungen Spielern wollen wir Zeit und Raum geben, sich entwickeln zu können, um bei Werder den nächsten Schritt zu machen. Es geht jetzt auch darum, genau diesen Spielern den Rücken zu stärken, sie in ihrer Entwicklung zu fördern, Rückschläge aufzufangen, damit sie richtige Stützen in unserer Profimannschaft werden können und wir auch wieder Werte für die Zukunft schaffen können“, so Baumann, der die Mitglieder um Geduld im Umgang mit der für die 2. Liga neu zusammengestellten Mannschaft bat: „Geben Sie dieser jungen Mannschaft noch etwas Zeit!“
Zuvor hatte sich Filbry für Baumann schwer ins Zeug gelegt. Die Position des Geschäftsführers Sport war nach dem Abstieg intern so umstritten, dass an der Diskussion um ihn sogar der Aufsichtsrat zerbrach. Es folgte die Fan-Kritik wegen der lange stockenden Transfer-Aktivitäten. Genau das ist jedoch der Punkt, den Filbry zum Anlass nahm, um Baumann zu loben: „Mein Kollege Frank Baumann hat von der Öffentlichkeit auf die Fresse bekommen, weil er nicht bereit war, teure Transfers auf Vorrat zu machen. Frank hat im Sinne des Vereins agiert, dafür gebührt ihm ein Sonderapplaus.“ Den der Sportchef von der Versammlung auch bekam.
Allerdings wurde im Anschluss auch kontrovers über ihn diskutiert. „Es wird Zeit, dass hier keiner mehr Baumann raus ruft“, meinte ein Mitglied. Bei anderen Wortbeiträge geriet die komplette Geschäftsführung ins Visier. „In einem Wirtschaftsunternehmen würden sie heute nicht mehr hier sitzen“, schimpfte einer. Ein anderer forderte eine Entschuldigung von Filbry, Baumann und Hubertus Hess-Grunewald für den Abstieg.