Werder-Fans können in dieser Saison während der ersten Halbzeit in Ruhe Bier holen oder Chips einkaufen gehen. Tore schießt die Bremer Mannschaft erst nach der Pause. Würde man eine Tabelle nur aus den ersten Halbzeiten aller Bundesliga-Teams erstellen, wäre Werder auf dem vorletzten Tabellenrang. Berücksichtigt man hingegen nur die zweite Halbzeit, wäre Bremen Bayern-Verfolger Nummer eins.
Auch gegen den VfL Bochum wiederholte sich dieses Muster. Trainer Ole Werner ging vor der Pause nicht mehr Risiko ein als nötig. Nach der Pause zog er die richtigen Schlüsse aus einem engen Spiel – und verhalf seinem Team mit taktischen Wechseln zum Sieg.
Bochum will es wissen
Werder-Coach Werner stellte nach dem kräftezehrenden 1:0-Pokalerfolg gegen Darmstadt seine Mannschaft auf zwei Positionen um. In der Abwehr begann Anthony Jung für den angeschlagenen Milos Veljkovic. Vorne startete Justin Njinmah an der Seite von Marvin Ducksch. Werder pendelte zwischen einer 5-3-2- und einer 5-2-3-Formation.
Auf dem Papier erwartete Werder Bremen eine machbare Aufgabe. Von den ersten zwölf Saisonspielen gewann der VfL Bochum kein einziges, magere zwei Punkte stehen auf ihrem Konto. Doch am Samstagnachmittag machte die Bochumer Elf früh deutlich, dass sie das Ziel Klassenerhalt keineswegs aufgegeben hat. Der VfL rückte von der ersten Minute an weit nach vorne.
Defensiv setzten die Bochumer auf eine Manndeckung – und zwar auf eine äußerst aggressive. Jeder Bochumer Akteur verfolgte seinen Gegenspieler eng. Selbst wenn sich die Bremer Mittelfeldspieler fallenließen, hefteten sich ihre Gegenspieler an ihre Hacken. Das betraf nicht nur die Sechser Senne Lynen und Jens Stage, sondern vor allem Romano Schmid. Der Bremer Ballkünstler ließ sich häufig aus dem Sturm ins Mittelfeld fallen. Tim Oermann hielt ständig den Kontakt zum Österreicher, selbst wenn dieser sich fast auf die Höhe der eigenen Verteidiger begab.
Holtmann attackiert über links
Werder hatte in der ersten Halbzeit große Mühe, sich aus der Manndeckung der Bochumer zu befreien. Der VfL verteidigte die Bremer Angriffe in einem leichten Ungleichgewicht: Rechtsaußen Koji Miyoshi startete aus einer höheren Position als Linksaußen Gerrit Holtmann. Das lag zum einen an der Bremer Asymmetrie im Spielaufbau: Werder bildet in der ersten Aufbaulinie häufig eine Viererkette. Dazu rückt Rechtsverteidiger Mitchell Weiser weit vor, Linksverteidiger Derrick Köhn hält sich zurück.
Zum anderen schien Bochum dieses Ungleichgewicht bewusst herzustellen. Holtmann hält aktuell den Rekord als schnellster Spieler der Bundesliga. Er konnte aus tieferer Position im Zweifel Weiser nachjagen, wenn Werder über seine Seite nach vorne spielte. Zudem hielt Bochum das Spiel auf diese Weise von Bremens linker Seite fern. Oermann konnte hier weit herausrücken, um Schmid zu verfolgen. Das Loch, das durch Oermanns Aufrücken entstand, konnte Werder so nie bespielen.
Holtmann war auch offensiv der präsenteste Bochumer Spieler. Immer wieder versuchten die Bochumer, ihn in Laufduelle mit Werders Verteidigern zu schicken. Linksverteidiger Maximilian Wittek zog dazu ins Zentrum, auch Rechtsaußen Miyoshi kam häufig nach links. Bochum überlud diese Seite, um Raum zu schaffen für Holtmann. So kam Bochums Flügelsprinter immer wieder in Eins-gegen-Eins-Situationen gegen Niklas Stark. Er vergab die größte Chance der ersten Halbzeit, als er im direkten Duell an Werder-Keeper Michael Zetterer scheiterte (26.).
Kleine Änderungen, große Wirkungen
Nach der Pause veränderte sich Werders Spiel. Die Bremer verteidigten nun häufiger in einem hohen 4-4-2. Somit konnten sie die offensive Formation der Bochumer besser spiegeln.
Mit der Einwechslung von Oliver Burke attackierte Werder zudem den Raum hinter Oermann. Burke ging häufig auf die halblinke Seite. Er sollte in den Raum hinter Oermann sprinten, wenn dieser auf Schmid herausrückte. Bochum musste im Anschluss die eigene Defensive umbauen. Fortan verteidigten sie weniger raum- und stärker mannorientiert im 4-4-2.
Vor allem aber spielte Werder nach der Pause wesentlich schnörkelloser. In der ersten Halbzeit hatte Werder noch fast 60 Prozent Ballbesitz gesammelt. Nach der Pause drehte sich die Statistik: Schon vor dem Bremer Führungstreffer lag ihr Ballbesitzwert in Halbzeit zwei bei 35 Prozent. Am Ende ging er auf 40 Prozent hoch. Damit hatte Werder weniger Ballbesitz als der Gegner. Stattdessen fokussierten sie sich stärker auf das Konterspiel.
Bochum mit der Spielgestalter-Rolle überfordert
Warum die neue Bremer Strategie die richtige Wahl war, zeigte sich nach dem Führungstreffer. In der 56. Minute waren die Bremer nach einem Standard in Führung gegangen. Danach musste Bochum das Spiel offensiver gestalten – und war mit dieser Aufgabe heillos überfordert. Bochums Coach Dieter Hecking stellte in der zweiten Halbzeit mehrmals seine Formation um. Doch egal, ob der VfL im 4-4-2, im 4-3-3 oder im 3-4-3 agierte: Ihre Angriffe entfalteten nie genug Wucht, um Werder in Schwierigkeiten zu bringen.
Den Bremern gelang es nach der Pause, besonders die rechte Seite stärker zu verteidigen. Weisers etwas offensivere Rolle sorgte dafür, dass Wittek seltener ins Zentrum einrücken konnte. Zugleich verteidigte Werder äußerst wachsam im Zentrum. Dazu stellte Werner auf ein kompakteres 5-3-2-System um. Die Bremer hatten zwar nach der Pause weniger Ballbesitz – dennoch kontrollierten sie das Spiel. Bochum fand keine offenen Räume. Zur Wahrheit gehört aber auch: Der VfL beging viele unerzwungene Fehler, oft kamen die Zuspiele zu ungenau oder der Ball versprang bei der Annahme.
So war Werders einziger Makel in der zweiten Halbzeit das ungenaue Konterspiel. Gegen einen harmlosen Gastgeber hätten die Bremer das Spiel früher entscheiden können. Am Ende blieb dennoch ein größtenteils ungefährdeter Sieg. Auch wenn Werder mal wieder eine Halbzeit zum Aufwärmen benötigte: In der zweiten Halbzeit sind die Bremer aktuell kaum zu schlagen.