Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Taktikanalyse Warum der BVB Werder nicht in den Griff bekam

Unser Taktik-Kolumnist Tobias Escher analysiert die Partie zwischen Werder und BVB. Und er erklärt, warum das Spiel aus dem Bundesliga-Alltag herausstach.
21.08.2022, 12:39 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Tobias Escher

Bundesliga-Spiele im Jahr 2022 verlaufen meist recht ausrechenbar. Das bezieht sich nicht auf das Ergebnis. (Auch wenn man viel Fantasie benötigt, sich einen anderen Meister als die Bayern vorzustellen.) Vielmehr steht bei vielen Partien bereits im Vorhinein fest, wie sich die Teams strategisch einstellen. Trifft ein Aufsteiger auf einen finanzstarken Klub wie Borussia Dortmund, wird der Aufsteiger wenig Ballbesitz sammeln. Außenseiter wie Werder bleibt meist nur die Hoffnung, gut zu verteidigen und noch besser zu kontern.

Lesen Sie auch

Das Bremer Gastspiel in Dortmund stach heraus. Das lag nicht nur an der historischen Tatsache, dass noch nie eine Mannschaft nach der 88. Minute einen 0:2-Rückstand aufgeholt hat. Es war viel eher der Spielverlauf, der für Verwunderung sorgte: Werder Bremen dominierte das Geschehen, sammelte in Phasen des Spiels fast siebzig Prozent Ballbesitz – und das alles gegen den amtierenden Vizemeister.

Werder beginnt mutig

Trainer Ole Werner hielt auch gegen Borussia Dortmund an der Formation fest, die Werder vergangene Saison den Aufstieg bescherte. Werder begann in einem 5-3-2. Auffällig war erneut, wie stark sich die Bremer defensiv am Mann orientierten. Leonardo Bittencourt verfolgte den jeweils zurückfallenden Sechser, Christian Groß nahm Zehner Marco Reus in die Mangel.

Wie bereits gegen den VfB Stuttgart begann Werder die Partie äußerst mutig. Aus dem eigenen 5-3-2 schoben sie immer wieder weit nach vorne. Mohammed Dahoud ließ sich im Dortmunder 4-2-3-1 weit fallen, um Manndecker Bittencourt abzuschütteln. Der BVB bekam zwar kaum Pässe ins finale Drittel. Zumindest konnte er den Ball in der eigenen Hälfte laufen lassen. Es half, dass die tiefen Außenverteidiger häufig freistanden.

Lesen Sie auch

Nachdem Dahoud die Partie früh verletzt verlassen musste (18.), verlor Dortmund zunehmend die Kontrolle. Ersatzmann Emre Can wackelte einige Male, sodass Werders Pressing sich zunehmend auszahlte. Zwar gewann Werder den Ball nicht in der gegnerischen Hälfte. Sie störten jedoch zusehends den Spielfluss der Dortmunder. In der Anfangsviertelstunde lag der Dortmunder Ballbesitzwert noch bei über siebzig Prozent. Er sank nach der Dahoud-Auswechslung auf knapp über fünfzig Prozent.

Werder mit den besseren Angriffen

Der BVB versuchte weiterhin, über die Außen das Pressing der Bremer zu umspielen. Stürmer Anthony Modeste bewegte sich stets in den ballfernen Raum. Die Idee, über eine Seite anzugreifen und dann Modeste auf der anderen zu finden, ging aber nicht auf. Das lag vornehmlich an den Dortmunder Außenstürmern: Gerade der junge Linksaußen Jamie Bynoe-Gittens verlor häufig den Ball, er wies nur ein erfolgreiches Dribbling vor bei fünf Versuchen.

Werders Angriffe funktionierten besser. Wie gewohnt kamen die Bremer vor allem über die rechte Seite. Rechtsverteidiger Mitchell Weiser agierte offensiver als Linksverteidiger Anthony Jung. Werder verfolgte vor allem zwei Angriffsrouten: Entweder verlagerten sie das Spiel direkt von der rechten auf die linke Seite. Alternativ versuchten sie, Leonardo Bittencourt mit Läufen in die Tiefe einzusetzen. Werder kam damit einige Male in die Nähe des Strafraums, es fehlte jedoch die Genauigkeit im letzten Drittel.

Zumindest aber gelang es den Bremern, Dortmund vom eigenen Tor fernzuhalten. Die Dortmunder versteiften sich darauf, in einem 4-4-1-1 in der eigenen Hälfte zu verteidigen. Das Glück spielte ihnen in die Karten. Kurz vor der Pause landete ein Fernschuss von Julian Brandt im Bremer Kasten (43.).

Lesen Sie auch

Werder macht das Spiel, aber nicht die Tore

Dass Werder Spiele dominieren kann, haben sie in der Zweiten Bundesliga bewiesen. Dass ihnen das auch im Westfalenstadion gelingt, war hingegen eine große Überraschung. Der BVB stellte das Pressing nach der Pause vollkommen ein. Sie zogen sich in die eigene Hälfte zurück. Bremens Dreierkette durfte den Ball laufen lassen.

Werder nahm die Rolle des Spielgestalters an. In der ersten Viertelstunde nach der Pause sammelten sie 69% Ballbesitz, in der gesamten zweiten Halbzeit immerhin 61%. Werder suchte entweder den Weg über den rechten Flügel – oder versuchte direkt in das Zentrum zu spielen. Hier stand der BVB überraschend offen.

So kam Werder im Verlauf der zweiten Halbzeit zu immer mehr Chancen. Besonders Bittencourt wirbelte viel, aber auch Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug verließen immer wieder ihre Position. Dem BVB mangelte es an Struktur, um die Positionswechsel der Bremer zu verfolgen. Doch Werder konnte das Übergewicht nicht in Tore ummünzen. Schlimmer noch: Durch einen Sonntagsschuss erhöhte Guerreiro die Führung (77.).

Das Wunder vom Westfalenstadion

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der BVB bekam die Partie nach der 62. Minute besser unter Kontrolle. Hier tauschte Trainer Edin Terzic seine Außenstürmer aus. Das stabilisierte das Team gerade in der Rückwärtsbewegung. Mit Youssoufa Moukoko kam in der 81. Minute ein Konterstürmer, der Werders Verteidigern Probleme bereitete. Zwischen 64. und 89. Minute gab Werder keinen einzigen Torschuss ab.

Danach brannte Werder ein Feuerwerk ab. Die Einwechselspieler machten den Unterschied: Lee Buchanan spielte auf links extrem offensiv, Niklas Schmidt startete unentwegt in den Strafraum, Oliver Burke lief permanent die Schnittstellen der Verteidiger an. Zwei der drei Tore leitete Werder über die eigene rechte Seite ein.

Lesen Sie auch

Es war der außergewöhnliche Schlussakt eines außergewöhnlichen Spiels. Dass ein Aufsteiger über neunzig Minuten betrachtet mehr Ballbesitz sammelt als Borussia Dortmund, ist an sich schon bemerkenswert. Dass Bremen den Gegner über weite Strecken dominierte, erstaunt umso mehr. Werder hat lange gebraucht, ehe sie sich spät für ihre starke Leistung belohnten.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)