Nur wenige Fans hatten sich erhofft, dass Werder Bremens Pflichtspieljahr 2023 mit einem Punktgewinn endet. Gegen RB Leipzig blieb Werder in diesem Jahrzehnt bislang chancenlos. Der letzte Sieg datiert aus dem Mai 2019, seitdem gab es sieben Pleiten in Folge. Dass diese Serie ausgerechnet am 16. Spieltag endet, dürfte so manchem Werder-Fan ein frohes Fest bescheren. Einen wesentlichen Beitrag zum überraschenden Punktgewinn leistete ein Angreifer auf einer ungewohnten Position.
Borré ersetzt Schmid
Der Spielberichtsbogen bot einige Überraschungen. Angesichts von Ausfällen musste Werner zwei Drittel seiner Dreierkette austauschen. Milos Veljkovic und Niklas Stark fehlten, sodass Marco Friedl und Christian Groß in die Anfangself rutschten. Neu im Team waren außerdem Felix Agu als Linksverteidiger und Justin Njinmah als rechter Stürmer. Auf beiden Flügeln agierte somit jeweils ein junger, schneller Spieler. Sie sollten für Tempo in Umschaltmomenten sorgen.
Die größte Überraschung stellte die fehlende Aufstellung von Schmid dar. Dadurch klaffte auf den ersten Blick eine Lücke im Mittelfeld. Bemerkenswert war, wer diese Lücke füllte: Der als Stürmer bekannte Rafael Borré spielte auf der halblinken Seite eine Mischung aus offensivem Mittelfeldspieler und linkem Halbstürmer. Diese Rolle füllt normalerweise Schmid auf der halbrechten Seite aus.
Borrés ungewohnt tiefe Position hatte taktische Gründe. RB Leipzig begann das Spiel im erwarteten 4-2-2-2-System. Leipzig überzeugt vor allem mit einer guten Organisation im Spiel gegen den Ball. Die Außenstürmer rücken weit ins Zentrum, sodass Leipzig diese Zone kontrolliert. Nach Ballgewinnen möchten die Leipziger schnell umschalten.
Werder schafft Überzahl im Mittelfeld
Gegen Werder konnte Leipzig nur phasenweise das Zentrum kontrollieren. Die tiefe Rolle von Borré sorgte dafür, dass Werder eine Überzahl kreierte: Drei Bremer Spieler standen der Leipziger Doppelsechs entgegen. Diese Überzahl konnte Werder besonders dann ausspielen, wenn ein Leipziger Mittelfeldspieler aus dem Zentrum nach vorne schob. Gerade Amadou Haidara rückte einige Male weit auf.
Werder überzeugte in dieser Partie vor allem im Passspiel. Sie bauten das Spiel ruhig aus der eigenen Hälfte auf. Mit flachen Pässen suchten sie zunächst die äußeren Verteidiger. Gerade Anthony Jung erhielt auf der halblinken Seite viele Bälle. Er spielte die meisten Pässe aller Spieler auf dem Feld. Häufig wagte er den Pass in Richtung offensives Zentrum.
Hier fand Werder immer wieder den freien Borré. Der Kolumbianer überzeugte in seiner Rolle als tiefer Spielgestalter. Häufig gelang es ihm oder einem Teamkollegen, im Anschluss den Pass auf die Flügel zu spielen. Hier rückte Mitchell Weiser weit nach vorne. In der ersten Halbzeit kam Werder so immer wieder zu Chancen.
Leipzigs individuelle Qualität
RB Leipzig mögen die Angriffe der Bremer Probleme bereitet haben. Doch auch die Gäste erspielten sich Chancen. Lois Openda suchte auf der halblinken Seite immer wieder das Laufduell mit Groß. Es war das auffälligste Ungleichgewicht zwischen beiden Teams. Gerade in Umschaltsituationen versprühte Openda viel Gefahr.
Aus dem Ballbesitz heraus entwickelten die Gäste hingegen wenig Dynamik. Sie beruhigten das Spiel immer wieder und ließen den Ball lange in der Abwehr laufen. Nur selten konnten sie den Ballbesitz konstruktiv nutzen, um Werders Mischung aus 5-3-2 und 3-4-3 ernsthaft zu prüfen. Nur manchmal gelang es ihnen, Jens Stage aus dem Zentrum zu ziehen und den freien Raum sofort zu besetzen. So erzielten sie ihren ersten Treffer, den der VAR jedoch wegen einer knappen Abseitsentscheidung annullierte (41.).
In der Halbzeitpause schien RB-Coach Marco Rose an den Einsatz seiner Männer appelliert zu haben. Aus der Kabine kehrten die Leipziger mit mehr Intensität zurück. Sie rückten im Mittelfeld weiter vor, warfen sich in die Zweikämpfe. So führte ein Konter direkt nach der Pause zur Führung (47.). Abermals setzte sich Openda gegen Groß durch.
Werder übernimmt die Kontrolle
Leipzigs Sturmlauf blieb ein Strohfeuer. Nach der 60. Minute zogen sich die Gäste merklich zurück. Die Hausherren konnten nun die Kontrolle über die Partie übernehmen. Taktisch veränderte sich bei Werder nicht viel. Weiterhin blieb Jung der dominante Mann im Ballbesitz.
Für Borré kam Schmid ins Spiel (62.). Seine Einwechslung änderte nichts daran, dass Werder eine Überzahl im Zentrum aufzubauen suchte. Nun ließ sich auch Marvin Ducksch häufiger fallen. Auf der rechten Seite wiederum rückte Groß nach vorne, um aus dem Rückraum Flanken zu schlagen.
Mit all diesen kleinen und großen taktischen Elementen gelang es den Bremern, vor das Tor der Leipziger zu gelangen. Njinmah gelang der verdiente Ausgleichstreffer (75.). Danach entwickelte sich ein offenes Duell. Werder kehrte nicht von der offensiven Marschroute ab. Werner brachte mit Nick Woltemade (83., für Bittencourt) sogar einen weiteren Angreifer, Werder presste nun im 3-4-3. Auch Leipzig versuchte, über das Vorrücken ihrer Außenverteidiger Offensivgefahr zu erzeugen. Keinem Team gelang der späte Siegtreffer.
Dennoch kann sich Werder über den Punkt freuen. Nicht viele Anhänger hatten vor dem Spiel mit diesem Erfolg gerechnet. Während Leipzig über weite Strecken enttäuschte, überzeugten die Bremer nicht nur in kämpferischer Hinsicht. Gerade spielerisch steigerte sich die Werner-Elf im Vergleich zu manch anderem Spiel der Hinrunde.