Manchmal spielt das Universum seltsame Streiche. Werder startet in wenigen Tagen frohen Mutes ins neue Fußballjahr – und das aufgrund eines Trainerwechsels, den eigentlich niemand geplant hatte. Doch seit Ole Werner den Job des in Folge der Impfpass-Affäre zurückgetretenen Markus Anfang übernommen hat, läuft es rund: drei Siege, 11:3 Tore, nur noch ein Punkt Rückstand auf die Aufstiegsränge. Wie konnte Werner das Team so schnell verbessern? Und viel wichtiger: Kann er die Leistung auch im neuen Jahr aufrechterhalten?
Angesichts der Ergebnisse überrascht die Diagnose, dass Werner zunächst gar nicht so viel verändert hat. Das 5-3-2-System, auf das er seit Amtsübernahme setzt, ließ auch schon Vorgänger Anfang zuletzt spielen. Bei seinem Ex-Verein Holstein Kiel war eigentlich das 4-3-3 Werners bevorzugte Variante. Anfang war mit diesem System mit Werder in die Saison gestartet, wegen ausbleibenden Erfolgs aber später davon abgerückt.
Werner tat in Bremen zunächst das, was viele neue Trainer probieren: Er setzte die vermeintlich stärksten Spieler auf ihren besten Positionen ein. Die Formation war zweitrangig. So stand für den 33-Jährigen früh fest, dass er weiter auf einen Doppelsturm setzt, damit Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch, die beiden besten Angreifer im Kader, gemeinsam auflaufen können. Auch Leonardo Bittencourt und Romano Schmid blühen unter Werner auf, seit sie in einer etwas zentraleren Position hinter den Spitzen spielen dürfen und nicht mehr über die Außen kommen müssen.
Werner profitierte zudem von der Rückkehr mehrerer Schlüsselspieler. Christian Groß und Abwehrchef Ömer Toprak sorgen für zusätzliche defensive Stabilität. Groß sichert vor der Abwehr ab, Toprak rückt als zentraler Mann der Dreierkette häufig vor und schließt Lücken. Beide Profis standen bereits in den Spielen gegen Schalke (1:1) und Kiel (1:2) in der Startelf, haben danach aber unter Werner wieder zu alter Form gefunden.
Die Rückkehr der Routiniers hilft dem Trainer dabei, einen Eckpfeiler seiner Philosophie umzusetzen: Unter dem neuen Coach legt Werder noch größeren Fokus auf ein hohes Pressing. Die beiden Stürmer laufen dabei die gegnerischen Verteidiger an. Dahinter setzt Werder auf eine enge Manndeckung. Gerade im Mittelfeld verfolgen die Bremer ihre Gegner bis weit in deren Hälfte. So rücken etwa Werders Außenverteidiger weit nach vorne, auch Sechser Groß findet sich immer wieder in der gegnerischen Hälfte wieder.
Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld erste große Baustelle
Manches Mal entstehen dadurch Lücken vor der Abwehr. Hier sind die Innenverteidiger gefragt: Sie müssen aus der letzten Reihe herausrücken, sobald ein Gegenspieler den eigenen Sechserraum besetzt. Das funktioniert auf individueller Ebene bereits gut; kein Wunder, schließlich zählen Toprak, Milos Veljkovic und Marco Friedl zu den stärksten Innenverteidigern der 2. Liga. Auf taktischer Ebene wirkt das Herausrücken aber noch nicht immer perfekt abgestimmt.
An diesem Punkt dürfte Werner ansetzen. Dass er Außenseiter Kiel in der vergangenen Saison fast zum Aufstieg in die Bundesliga führte, lag in erster Linie an der starken Defensive. Nur 35 Gegentore kassierte seine Mannschaft. In dieser Hinsicht hat Werner in Bremen noch Arbeit vor sich. Die Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld dürfte die erste große Baustelle sein, die der Trainer in der Winterpause angeht. In Kiel begann die Defensivarbeit nicht erst beim Spiel gegen den Ball. Werner beherzigt die alte Fußball-Weisheit: „Hat mein eigenes Team den Ball, kann der Gegner kein Tor schießen“. So hatten seine Kieler in der vergangenen Saison die dritthöchste Ballbesitz- sowie die höchste Passquote.
Auch Werder hatte in den ersten drei Partien unter Werner mehr Ballbesitz als der Gegner. Bislang setzt der neue Coach auf Angriffe über die rechte Seite: Felix Agu rückt hier deutlich weiter vor als Linksverteidiger Anthony Jung. Werder sucht häufig den Weg über das Zentrum, um von dort aus das Spiel nach rechts zu verlagern.
So gut das Angriffsspiel der Bremer zuletzt funktioniert hat: Werner weiß, dass die Konkurrenz nicht untätig ist. Die Gegner werden Werders Spielweise studieren und Gegenmittel finden. Hannover war dies im letzten Spiel vor der Winterpause bereits teilweise gelungen. Die Niedersachsen nutzten in der ersten Halbzeit die hohe Rolle von Agu aus, um Konterangriffe über seine Seite zu fahren.
In Kiel war Flexibilität eine große Stärke von Werner. Häufig wechselte er Personal und Grundformation, um sich an den Gegner anzupassen. Dass Werner in Bremen in drei Spielen in Folge dieselbe Startelf auf das Feld schickte, ist eher untypisch für ihn. „Die Normalität wird nicht sein, drei Wochen in Folge immer die gleiche Aufstellung oder Grundordnung zu haben“, sagte Werner nach den ersten drei Spiele.
Im besten Fall dürfen sich Werder-Fans im kommenden Jahr auf eine flexible Mannschaft freuen, die den Gegner dominieren möchte. Hohes Pressing und ein stabiler Spielaufbau sind dabei die Grundpfeiler von Werners Strategie. In seinen ersten Partien hat er bereits bewiesen, dass er seine grundsätzliche Idee von Fußball an den Bremer Kader anzupassen weiß. Geht seine Mannschaft im neuen Jahr den nächsten Schritt, könnte sich der erzwungene Trainerwechsel als großer Glücksfall für den Verein herausstellen.