Nick Woltemade ist in diesen Tagen in aller Munde. So sehr, dass sich nicht nur deutsche Tageszeitungen in ihrer Schnappatmung förmlich überbieten. Mit Dennis Bergkamp wurde der gebürtige Bremer bereits verglichen, auch die brasilianische Legende Socrates wurde genannt – oder Peter Crouch und Andres Iniesta. Ein spektakulärer Dreierpack bei der U21-Auswahl des DFB im Testspiel gegen Spanien machts möglich. Gerüchte über einen 40-Millionen-Euro-Transfer zum FC Bayern München sind längst im Umlauf. Zwölf Tore hat der 23-Jährige in dieser Saison wettbewerbsübergreifend für den VfB Stuttgart erzielt und gilt aktuell als ganz heiße Aktie auf dem Markt. Vor nicht einmal einem Jahr verließ der 1,98 Meter große Offensivakteur den SV Werder Bremen. Ablösefrei. Und damit steht der Abgang so ziemlich allem konträr gegenüber, was sich die Grün-Weißen bei ihrer Talentförderung vorgenommen haben. Auf eine Wiederholung dieses Szenarios ist verständlicherweise niemand erpicht, dem Nachwuchs sollen früh optimale Perspektiven aufgezeigt werden. Und da kommt automatisch Ole Werner ins Spiel.
Der Trainer des Bremer Bundesligateams lädt regelmäßig Talente aus dem Unterbau zu den Trainingseinheiten ein, Einsatzzeiten gibt es für die Junioren aber kaum einmal. In einer Saison, die vielerorts schon als gelaufen abgestempelt wird, könnte sich da der Acht-Spiele-Endspurt doch ganz gut anbieten, um die Eigengewächse noch näher an die Eliteklasse heranzuführen und ihnen Erfahrungen zu verschaffen, die sonst nicht so leicht sammeln würden. Oder etwa nicht? „In dem Moment, in dem es um nichts mehr geht, sind das sicherlich Überlegungen“, meint Ole Werner. „Da geht es nicht nur um Spieler der U19 oder U23, sondern man denkt dann generell darüber nach, was perspektivisch für eine Mannschaft und den Verein wichtig ist.“
Ein klares Nein ist das nicht – aber eben auch kein eindeutiges Ja. Die Tür bleibt eher so semi-offen. Aus einem bestimmten Grund, wie Werders Cheftrainer betont: „Fakt ist: Es geht noch um etwas, jeder Punkt ist wichtig – auch finanziell für den Verein.“ Und der 36-Jährige ergänzt: „Außerdem ist es so, dass wir hier grundsätzlich nach dem Leistungsprinzip arbeiten. Das sollte man auch nicht aufgeben, diesen Standard musst du immer hochhalten.“ Und genau das tue er. „Jeder Spieler hat die Möglichkeit, sich über Leistung zu empfehlen und dadurch auch persönliche Erfolgserlebnisse zu haben.“
Nun liegen Wochen hinter den Bremern, in denen gleich mehrere Profis nicht unbedingt Argumente für regelmäßige Einsätze gesammelt haben. Andererseits hat der Großteil des Kaders in der Vergangenheit auch schon bewiesen, auf welchem Niveau er spielen kann. Ein Umstand, der Gewicht hat – auch aus Mangel an Alternativen. „Über weite Strecken der Saison hatten wir Probleme mit der Kadergröße und deshalb im Schnitt immer drei, vier Jungs pro Woche aus besagten Mannschaften im Training dabei“, sagt Ole Werner. „Da sind gute Jungs dabei. Und wenn es dann einer von ihnen so gut macht, dass er sich eine Nominierung für den Spieltagskader oder Einsätze verdient, dann sind wir dafür auch offen.“
Als Paradebeispiel dient da aktuell Patrice Covic. Der 17-jährige Ex-Herthaner ist zentraler Baustein des U19-Teams, das kürzlich in begeisternder Manier ins Pokalfinale gestürmt ist. Und seit dem Winter ist der Mittelfeldspieler auch Dauergast bei den Profis, hat im Training den freien Platz des verliehenen Isak Hansen-Aaröen eingenommen. Sechsmal durfte er bereits in der Bundesliga Kaderluft schnuppern, auf sein Debüt auf der ganz großen Bühne wartet er aber noch. Doch ein Ende der Geduld scheint absehbar. „Ich bin sehr optimistisch, dass ein Patrice Covic, wenn er so weiterarbeitet, wie er arbeitet, irgendwann an den Punkt kommt, wo man ihn nicht nur reinwirft, sondern auch bei ihm das Gefühl hat, dass er die Erwartungen eines Bundesligaspiels schultern kann“, erklärt Werner. „Wann dieser Moment kommen wird, kann ich jetzt noch nicht seriös sagen.“
Und Seriosität ist dem Coach wichtig. Ein Talent auf den Rasen zu schicken, nur um sich stolz das Nachwuchssiegel anheften zu können – das wird es mit Werner nicht geben. „Einen Spieler einfach nur reinzuwerfen ist schwierig, denn man muss im Training oder in vorherigen Spielen natürlich auch etwas von ihm sehen und eine generelle Perspektive erkennen“, hebt er hervor. „Aber da gibt es ein paar Jungs bei uns, bei denen das der Fall ist – und Patrice gehört ganz sicher dazu.“
Und irgendwann, ganz vielleicht, gibt es dann auch an der Weser einen neuen Hype um einen aufstrebenden Jungstar. So wie derzeit in Stuttgart nach der rasanten Leistungsexplosion eines Nick Woltemade. „Ich habe ihm das zugetraut und sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet“, betont Ole Werner und meint mit Blick auf mögliche Schmerzen bei der Betrachtung der aktuellen Darbietungen des Ex-Schützlings: „Er hat von uns ein sehr gutes Angebot bekommen, das bei uns in der Spitze gewesen wäre. Er hat sich für einen anderen Weg entschieden. Ich wünsche ihm nur das Beste – außer zweimal im Jahr. Ich freue mich für ihn, aber ich arbeite jetzt genauso gern mit den Spielern zusammen, die hier sind.“