Natürlich waren das hektische Stunden für Werder am Abend des 18. November 2021. Es war der Tag, an dem der Verein vom Impfpass-Skandal um Trainer Markus Anfang überrascht wurde. Aber es waren eben nicht nur ein paar Minuten, sondern mehrere Stunden, in denen es hinter den Kulissen zur Sache ging. Da verwundert es schon, dass der Trainer in seinen wortreichen Entschuldigungen zuletzt einige Dinge verschwieg, die sich an jenem Donnerstagabend abspielten und mit denen er viele Leute im Verein noch viel mehr enttäuschte als ohnehin schon durch seinen gefälschten Impfpass.
Wie sorgfältig Werder das unschöne Thema an jenem Abend bearbeitete, zeigt sich schon an der Uhrzeit der Pressemitteilung: Um 22.27 Uhr wandte sich der Verein an die Öffentlichkeit, also ungewöhnlich spät. Die Überschrift lautete: „Stellungnahme zum Impfstatus von Markus Anfang“.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Bereits am Nachmittag, also viele Stunden vorher, war der Verein von den Behörden über die Ermittlungen informiert worden. Kurz nach 18 Uhr griff Sportchef Frank Baumann zum Telefon und informierte Anfang über die Vorwürfe, der Trainer saß zu dem Zeitpunkt im Café Ambiente am Osterdeich und fuhr sofort hinüber zur Geschäftsstelle. In einem persönlichen Gespräch mit Werders Geschäftsführung wies der Trainer dort alle Vorwürfe zurück, mehr noch: Er und sein Berater – auch der mischte an jenem Abend mit – ließen in die erste Pressemitteilung sogar einbauen, Anfang sei „irritiert und verärgert“ wegen der Vorwürfe.
Es war also nicht so, wie Anfang es nun im Büßergewand erzählt. Dass er jeden Tag damit gerechnet habe, bald aufzufliegen, und: „Als es herausgekommen ist, bin ich zurückgetreten.“ Das Gegenteil ist richtig, und das hat es für Werder und vor allem für Frank Baumann in jenen Tagen deutlich schwieriger gemacht. Als es herauskam, erzählte Anfang seinen Vorgesetzten eine große Lügengeschichte, die so auch in der Mitteilung von 22.27 Uhr steht. Wörtlich erklärte der Trainer: „Ich habe genau wie jeder andere doppelt geimpfte Bürger meine beiden Impfungen in einem offiziellen Impfzentrum erhalten und dafür die entsprechenden Aufkleber im gelben Impfpass bekommen. Den habe ich anschließend in der Apotheke digitalisieren lassen und ging selbstverständlich davon aus, dass damit alles seine Ordnung hat. Ich hoffe sehr, dass sich das Thema schnell aufklärt.“
Diese Beteuerung war der Grund, weshalb sich Frank Baumann am nächsten Tag öffentlich vor seinen Trainer stellte und im Namen des SV Werder erklärte, die Vorwürfe würden sich bald ausräumen lassen. Auch Baumann konnte sich nicht vorstellen, dass ihm Anfang am Abend derart ins Gesicht gelogen haben könnte. Doch am Freitagnachmittag wurde Werder von den ermittelnden Beamten über die eindeutige Indizienkette informiert, dabei übrigens auch über den ebenfalls gefälschten Impfpass von Co-Trainer Florian Junge. Baumann & Co. erfuhren die ganze Wahrheit also nicht etwa vom ertappten und reuigen Trainer, sondern von der Polizei. Der Schock saß entsprechend tief. Deshalb sprach Baumann später davon, die Lage habe sich „nach dem ersten Vertrauensvorschuss dramatisch zugespitzt“.
Zu diesem Vertrauen gehörte auch, dass man dem Trainer glaubte, trotz seiner Ängste nun doch plötzlich geimpft zu sein. Als Werder ihn aus Darmstadt holte, wusste man, dass Anfang nicht geimpft ist. Der Fußball-Lehrer hatte immer offen über seine Bedenken gesprochen. Quasi im Vorbeigehen, so erzählen sie das bei Werder, habe Anfang dann im späteren Sommer erzählt, er sei jetzt übrigens doch komplett geimpft. Bei Werder glaubte man das und war erleichtert.
Zwei Details fallen auf
Doch blauäugig war der Verein schon am ersten Abend nicht, trotz der Beteuerungen des Trainers. Das zeigen zwei Details in der Mitteilung. Denn weder Baumann noch Klubchef Klaus Filbry ließen sich zitieren. Werder positionierte sich zunächst lieber gar nicht. Stattdessen fällt eine Formulierung im zweiten Satz auf: Anfang habe nachdrücklich versichert, ein gefälschtes Impfzertifikat "nicht genutzt" zu haben. An diesem Satz wirkte Werders Hausjurist mit. Dort steht also nicht, dass es keinen gefälschten Impfpass gab – sondern nur, dass er nicht benutzt worden sei.
Markus Anfang ist an diesem Abend aber nicht demütig zurückgetreten. Er hat stattdessen zugeschaut, wie sich Frank Baumann am kommenden Tag noch um Kopf und Kragen redete, um seinen Trainer und den Verein zu beschützen. Das war ganz schwach von Anfang, dessen Rücktritt dann erst am Abend des zweiten Tages erfolgte – als die Polizei auf Werders Geschäftsstelle schon auf ihn wartete.