Es war ein äußerst bemerkenswertes Gespräch, das Leonardo Bittencourt am Mittwoch mit einigen Journalisten geführt hat. Bemerkenswert offen war es, im Ton beinahe durchgehend kritisch – und gefühlt bekam jeder beim SV Werder Bremen vom Mittelfeldspieler sein Fett weg. Der Trainer. Die sportliche Leitung. Zum Teil auch die Mitspieler. Alles in allem also ein Auftritt, der wenig überraschend für reichlich Nachhall gesorgt hat – und für Bittencourt noch am selben Tag das nächste, bemerkenswerte Gespräch nach sich zog: mit Werders Verantwortlichen, die ihm klipp und klar mitteilten, dass sie in mehreren Punkten nicht seiner Meinung sind und seinen öffentlichen Rundumschlag nicht gutheißen.
Auftritt sorgt für Nachhall
„Ich kritisiere Leo nicht dafür, dass er öffentlich Kritik geäußert hat, denn damit können wir umgehen“, sagte Sportchef Frank Baumann am Donnerstag im Gespräch mit unserer Deichstube – und schob direkt hinterher: „Womit ich aber nicht einverstanden bin, sind einige Inhalte, die er angesprochen hat, weil ich sie absolut anders sehe.“
So hatte Bittencourt, der mit seinen 30 Jahren und 244 Bundesligaeinsätzen zu den erfahrensten Kräften des Kaders gehört, moniert, dass Werders Leiter Profifußball Clemens Fritz nach der indiskutablen 1:3-Testspielpleite bei Zweitligist Eintracht Braunschweig mahnend an den vollkommen vergeigten Pflichtspielauftakt im vergangenen Jahr erinnert hatte. Damals hatte es ein krachendes 1:7 in Köln gesetzt. „Ich verstehe nicht, wieso Clemens das Spiel jetzt erwähnt, denn letztes Jahr haben wir vorher einen Test mit 1:0 auf Schalke gewonnen. Da hat keiner darüber gesprochen, dass so etwas passieren kann“, sagte Bittencourt. Außerdem seien inzwischen viele Spieler von damals nicht mehr dabei.
Aussagen, die Frank Baumann gar nicht gefallen haben. „Es ist das gute Recht von Clemens, das 1:7 gegen Köln anzusprechen, um damit für die aktuelle Situation zu sensibilisieren“, sagte der Sportchef. Und weiter: „Für uns ist es entscheidend, dass wir gut in die zweite Hälfte der Saison starten, und die Lage ist durchaus vergleichbar mit der von vor einem Jahr.“ Schließlich gehe es auch jetzt zum Auftakt wieder auswärts gegen einen direkten Konkurrenten, der nun eben nicht Köln, sondern VfL Bochum heißt. „Und wenn ich mir die Startelf aus Köln ansehe, dann stimmt es auch nicht, dass viele Spieler heute nicht mehr dabei sind“, sagte Baumann. In der Tat stehen neun der elf Profis noch immer bei Werder unter Vertrag. Was Baumann aber noch mehr missfallen hat, war folgende Äußerung Bittencourts in Bezug auf die aktuell dünne Personaldecke der Bremer: „Wir hätten im Test gern zweimal über 60 Minuten gespielt, was leider auch nicht geklappt hat. Deswegen mussten einige Jungs oder fünf Stammspieler über 90 Minuten gehen. Da weiß jeder auch, dass nächste Woche ein wichtiger Gegner wartet. Ich weiß, das klingt jetzt wenig professionell: Ob man dann aber so richtig hingeht in einem Testspiel, weiß ich nicht.“ Eine Einstellung, die für Baumann gar nicht geht.
„Ich bin anderer Meinung, was das Auftreten in Testspielen angeht. Da sollte man als Profi keine Unterschiede zu Pflichtspielen machen“, sagte der 48-Jährige. Und weiter: „Leos Aussagen zeigen, dass das Spiel in Braunschweig grundsätzlich nicht mit der richtigen Haltung angegangen wurde. Das geht nicht.“ Zwar habe der Spieler recht, wenn er sage, dass man Ergebnisse von Testspielen nicht überbewerten solle – „die Leistung muss aber zu sehen sein. In der Hinrunde haben wir es in einigen Spielen nicht geschafft, den Schalter umzulegen. Deshalb ist es wichtig, immer fokussiert zu sein.“ Des Weiteren hatte sich Bittencourt kritisch zur Bremer Transferpolitik der jüngeren Vergangenheit geäußert. „Ich würde mir schon wünschen, dass wir Jungs dazubekommen, die uns sofort helfen können. Das war in den letzten Jahren nicht unbedingt der Fall“, ließ der Mittelfeldspieler verlauten, was bei seinen Vorgesetzten gar nicht gut ankam und von Baumann inhaltlichen Widerspruch erfuhr.
„Wir haben in den vergangenen beiden Jahren mit Ömer Toprak und Niclas Füllkrug nur zwei Stammspieler abgegeben. Neuzugänge hatten es da nicht leicht, sich in ein gefestigtes und ja auch erfolgreiches Team hineinzuarbeiten. Auch gestandene Spieler wie Niklas Stark und Jens Stage haben unabhängig davon, ob sie Land und Liga kennen, Anlaufzeit benötigt. Das zeigt in meinen Augen, dass wir über ein gutes Grundgerüst verfügen.“ Die Konkurrenzsituation im Kader habe sich im Vergleich zum Vorjahr vergrößert, „was man daran sieht, dass Spieler wie Leo selbst, Niklas Stark und zuletzt auch Romano Schmid mal auf der Bank saßen“.
All das (und vermutlich noch etwas mehr) bekam Bittencourt am Mittwoch zu hören, nachdem er im Anschluss an die Medienrunde zum Rapport bei den Chefs gebeten worden war. Und jetzt? Geldstrafe? Suspendierung? Weiter so? Nun ja, nichts davon. „Wir haben mit Leo gesprochen und ihm gesagt, dass wir mit ihm in einigen Punkten nicht einer Meinung sind. Damit ist das Thema erledigt. Weitere Konsequenzen wird es für Leo nicht geben“, sagte Baumann, konnte sich einen kleinen Seitenhieb in Richtung des Spielers aber auch nicht verkneifen: „Wichtig ist jetzt, dass er sich auf seine Hauptaufgabe konzentriert, auf das, was ich als Profi beeinflussen kann – und das ist, auf dem Platz meine Leistung zu zeigen.“