Leonardo Bittencourts Worte haben Gewicht. Intern wie extern. Deshalb bietet eine Medienrunde mit dem Profi des SV Werder Bremen in der Regel immer die Chance, ehrliche und deutliche Aussagen zu bekommen. Das war am Mittwochmittag nicht anders, als der 30-Jährige vor die Mikrofone der Journalisten trat, um über das anstehende Auswärtsspiel beim VfL Bochum (Sonntag, 15.30 Uhr) zu sprechen. Um den Restart der Liga ging es allerdings nur am Rande. Und die Vehemenz seiner Sätze war noch einmal intensiver. So holte Bittencourt zum verbalen Rundumschlag aus, schoss unter anderem gegen Werders Leiter Profifußball Clemens Fritz, kritisierte die Transferpolitik des Vereins und nannte überraschende Gründe für den dürftigen Auftritt im jüngsten Testspiel gegen Braunschweig (1:3). Ein Auftritt, der verdeutlichte, dass der Ist-Zustand des SV Werder in diesen Tagen alles andere als gewöhnlich ist.
Bittencourt benötigte keine lange Anlaufzeit, um auf Temperaturen zu kommen. Bereits die zweite Frage des Tages sorgte für Feuer. Bekanntlich hatte Clemens Fritz nach der Pleite in Braunschweig an die Ereignisse von vor einem Jahr erinnert, als Werder unmittelbar nach der Winterpause mit 1:7 beim 1. FC Köln unterging. Bei Bittencourt selbst sei das Debakel dagegen überhaupt nicht präsent. „Ich verstehe nicht, wieso Clemens das Spiel jetzt erwähnt, denn letztes Jahr haben wir vorher einen Test mit 1:0 auf Schalke gewonnen. Da hat keiner darüber gesprochen, dass so etwas passieren kann“, monierte Bittencourt. „Dass er jetzt dieses 1:7 anspricht, finde ich nicht wirklich passend, weil nicht mehr so viele Jungs da sind, denen das passiert ist. So ein Spiel gibt es halt mal. Genauso haben wir hier vor drei Jahren gegen Köln 6:1 gewonnen. Du kannst so ein Testspiel nicht wirklich vergleichen mit dem, was jetzt am Sonntag kommt.“
Überhaupt diese vermaledeite Generalprobe beim Tabellenvorletzten der 2. Liga. „Sie haben das Testspiel einfach mehr angenommen als wir, und dann passiert sowas auch“, erklärte der Bremer, stieg aber noch deutlich tiefer in die Materie ein. Und wie schon so oft in letzter Zeit ging es auch dieses Mal um Werders dünne Personaldecke, die das Arbeiten nicht erst seit dieser Woche erschwert. „Wir hätten im Test gern zweimal über 60 Minuten gespielt, was leider auch nicht geklappt hat“, holte Bittencourt aus. „Deswegen mussten einige Jungs oder fünf Stammspieler über 90 Minuten gehen. Da weiß jeder auch, dass nächste Woche ein wichtiger Gegner wartet. Ich weiß, das klingt jetzt wenig professionell: Ob man dann aber so richtig hingeht in einem Testspiel, weiß ich nicht.“ Und der 30-Jährige betonte: „Wenn ich jetzt für mich spreche, ist mir das Spiel am Sonntag hundert Mal wichtiger als das Spiel in Braunschweig.“
Der viel zitierte Konkurrenzkampf – für Leonardo Bittencourt ist er aktuell jedenfalls quasi nicht vorhanden. „Wir haben ein Trainerteam, das unter der Woche probiert, alles mit allen Widrigkeiten bestmöglich vorzubereiten. Es macht zwar nicht weniger Spaß, aber ich denke, dass die Qualität insgesamt leidet, weil man größere Sachen einfach nicht trainieren kann. Und das ist halt schade“, schilderte der Stammspieler. „Andererseits ist es manchmal auch besser, mit 13 guten Jungs zu trainieren als mit 20 nicht so guten.“
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Wenig überraschend forderte Bittencourt ähnlich wie zuletzt Chefcoach Ole Werner dringend Transfers in dieser Wechselperiode. „Ich würde mir schon wünschen, dass wir Jungs dazubekommen, die uns sofort helfen können. Das war in den letzten Jahren nicht unbedingt der Fall“, monierte der Deutsch-Brasilianer mit Blick auf Werders Transferpolitik. „Da haben wir Jungs dazubekommen, die noch Zeit brauchen, die Liga kennenzulernen. Die Umgebung und vielleicht ein neues Land kennenlernen müssen. Aber wie gesagt: Ich bin nur Spieler, deswegen muss ich meine Aufgabe erfüllen, verpflichten kann ich keine Jungs.“
Bittencourt lächelte, während er diese Worte mit Signalwirkung sprach. Worte, die ausdrückten, wie unzufrieden er mit der Gesamtsituation ist. Und das mitten in einer Phase, die Ole Werner jüngst mit Blick auf die vielen Duelle mit direkten Konkurrenten zu einer ganz entscheidenden für den weiteren Saisonverlauf ernannt hatte. Doch auch seinem Trainer widersprach Leonardo Bittencourt bei dieser Gelegenheit. „Wenn alles super läuft, kannst du sehr viele Punkte gutmachen“, gab er zu, verwies aber auch darauf, dass man im Fußball nie so genau wisse, was alles passiert. „Wenn du die nächsten Spiele gewinnst und dann die anderen verlierst, wird es am Ende auch nicht so rosig aussehen. Es warten wichtige Spiele auf uns, aber nicht die allerwichtigsten. Es sind noch 18 Spiele zu gehen und nicht fünf oder sechs. Das sollten wir schon auch wissen und den Druck nicht allzu hoch ansetzen“, forderte er. „Weil, mit zu viel Druck erreichst du auch nichts.“
Spannend ist jetzt, wie die Verantwortlichen mit der deutlichen Kritik des Führungsspielers umgehen werden. Von einer ruhigen Vorbereitung auf die Fortsetzung der Bundesliga-Saison kann an der Weser jedenfalls keine Rede sein.