Marvin Ducksch wusste ganz genau, welch Gelegenheit ihm da durch die Lappen gegangen war. Der Stürmer des SV Werder Bremen war in der 87. Minute frei vor Alexander Nübel aufgetaucht, bekam den Ball aber nicht am Schlussmann des VfB Stuttgart vorbei. So wurde es am Ende eben doch kein Heimsieg, sondern ein 2:2. Nur ein 2:2. „Sonst chippe ich den Ball immer in solchen Situationen oder versuche, ihn irgendwie übern Torwart zu spitzeln“, meinte Ducksch wenig später am ARD-Mikrofon. „Solch eine Parade aus so kurzer Entfernung habe ich lange nicht gesehen. Da kann ich mir nichts vorwerfen. Es ist ärgerlich, dass es so kurz vor Schluss war, denn es hätte uns mit Sicherheit die drei Punkte gebracht.“
Und damit hatte der Offensivmann den Grundtenor der Stimmungslage ziemlich gut auf den Punkt gebracht. „Ich bin einfach nur unfassbar sauer“, zürnte etwa Justin Njinmah wegen des Unentschiedens. „Wir hatten so viele Standards, Eckbälle, freie Schüsse im letzten Drittel. Wir müssen das Spiel heute gewinnen.“ In der Tat waren es elf Ecken, die Werder letztlich herausgeholt hatte, die neunte führte zum zwischenzeitlichen 2:1 durch Jens Stage (77.). Es war im 60. Anlauf in dieser Saison das erste Tor nach einer Hereingabe von der Fahne. Zuvor hatte Njinmah mit seinem Treffer für einen Bremer Blitzstart gesorgt (6.), Stuttgarts Ermedin Demirovic später jedoch doppelt ausgeglichen (20./85.). Und das schmerzte.
Auch Romano Schmid wollte sich mit dem Ergebnis partout nicht anfreunden. „Es war ein gutes Spiel von uns, aber die Tore bekommen wir viel zu einfach. Das darf uns nicht passieren. Deswegen sind es trotz der guten Leistung zwei verlorene Punkte. Gerade wenn wir führen, sollten wir solche Spiele gewinnen.“ Kapitän Marco Friedl hatte es sogar noch drastischer zusammengefasst: „Wir brauchen zu viele Chancen und kriegen wegen jeder Scheiße ein Tor.“
So frustrierend das Erlebte, so angenehm der Umgang damit. Ja, über das Vokabular lässt sich an der einen oder anderen Stelle streiten, im Kern aber werden im Bremer Lager die Defizite offen beim Namen genannt. Kein Rumgeeiere, kein verschleierndes Lob an falscher Stelle – auch wenn das öffentlich der viel einfachere Weg wäre. Die Äußerungen drücken vielmehr aus, wie ehrgeizig die Mannschaft ist, wie sehr sie unbedingt mehr erreichen will. Der Haken an der Sache: Werder bekommt diesen Hunger zum wiederholten Male nicht kanalisiert. „In solchen Spielen merkt man einfach, dass wir noch nicht so weit sind, wie wir gerne sein würden“, erklärte Friedl. „Stuttgart macht nicht viel, ist aber einfach eine super Mannschaft, die auf den Punkt da ist. Sie machen es nicht gut, aber nehmen trotzdem einen Punkt mit. Und wir kriegen es halt nicht auf die Kette.“
Ole Werner konnte der grassierenden Enttäuschung eine Menge abgewinnen. „Wenn man sich über nur einen Punkt gegen den VfB Stuttgart ärgert, ist man generell in der Art und Weise, wie man als Mannschaft auftritt, auf einem vernünftigen Weg“, urteilte Werders Coach, der logischerweise auch lieber einen Sieg zum Start in den Advent gefeiert hätte. Dennoch fokussierte er sich auf die positiven Dinge. „Unter dem Strich war es ein gutes Heimspiel von uns. In der ersten Halbzeit war es auch unser Ansatz, Tempo aus dem Spiel zu nehmen, Räume zuzustellen und aus diesen Situationen umzuschalten. Das ist uns gut gelungen. In der zweiten Hälfte wurde es wilder, was uns lange Zeit echt gutgetan hat“, hatte der 36-Jährige beobachtet. „Es ist am Ende einfach ärgerlich, dass wir es nicht schaffen, unsere Führung ins Ziel zu bringen. Unser nächster Schritt ist es, aus solch einem Spiel zwei Punkte mehr mitzunehmen und zum Schluss diesen Killerinstinkt zu haben.“
Am Dienstag Pokalspiel gegen Darmstadt
Und damit meinte der Coach zwar auch, aber nicht nur die erwähnte Ducksch-Szene – wenngleich der Angreifer sogar unmittelbar vor dem Stuttgarter Ausgleich auch noch die Chance auf ein wohl entscheidendes 3:1 ausgelassen hatte. Werners Gier nach besagtem Killerinstinkt betreffe in der heißen Schlussphase auch das Defensivverhalten des Teams, um „sich so clever zu verhalten, dass man die Räume entsprechend zustellt, damit es wie beim 2:2 nicht so einfach ist, gegen uns zu treffen“. Da liegt perspektivisch also noch reichlich Arbeit vor ihm und seinen Spielern – wenngleich Werder schon ganz kurzfristig eine Optimierung helfen würde. „Wir haben jetzt nicht viel Zeit, uns mit dem Ergebnis zu beschäftigen. Am Dienstag steht ein sehr wichtiges Spiel im Pokal an – und das wird auch nicht einfach“, prognostizierte Werner vor dem nahenden Achtelfinal-Duell mit dem Zweitligisten SV Darmstadt 98 (20.45 Uhr).
Peter Niemeyer als Werders Leiter Profifußball setzt darauf, dass die Stuttgart-Partie bei aller Verärgerung letztlich mehr Rückenwind als Negativstimmung produziert. „Auch wenn da gerade ein bisschen Frust mitschwingt, ist das ja eher ein Zeichen, dass man merkt: Hey, wir sind auch zu einem Champions-League-Verein absolut konkurrenzfähig“, betonte der 41-Jährige. Und auch Marvin Ducksch meinte: „Wir sind auf einem guten Weg. Jetzt gilt es, dass wir solche Spiele über die Bühne bringen.“ Darmstadt soll da erst der Anfang sein.