Herr Hess-Grunewald, ist Liebe endlich?
Hubertus Hess-Grunewald: Lebenslang grün-weiß lautet die Antwort darauf, oder?!
Das könnte so sein.
Es ist auf jeden Fall eine spannende Frage – bezogen auf Werder ist die Liebe aber sicherlich nicht endlich.
Dazu passt, dass die Begeisterung für den SV Werder ungeachtet fußballerischer Höhen oder Tiefen nicht abebbt. Die Mitgliederzahlen boomen weiter, inzwischen soll die 48.000er Marke geknackt worden sein. Wie sieht der Wert genau aus?
Wir stehen aktuell bei 48.357 Mitgliedern. Wir sehen, dass es einen enormen Hype und eine große Identifikation mit dem Verein gibt. Dieses Momentum wollen wir nutzen, um die Mitgliederzahlen im Hinblick auf das anstehende Vereinsjubiläum noch einmal signifikant zu steigern.
Was ist da genau angedacht?
Wir wollen nach vielen Jahren ohne Kampagne, in denen wir die Mitgliederzahlen kontinuierlich von damals 34.000 gesteigert haben, nun noch einmal ganz gezielt für eine Mitgliedschaft werben. Ich habe ja mal die Vision geäußert, dass 100.000 Mitglieder auch dem SV Werder Bremen gut zu Gesicht stehen würden. Das ist eine Zahl, die ich nicht für unrealistisch halte – sofern es uns weiterhin gelingt, den Hype um Werder zu transportieren. Die zugehörige Kampagne soll auch mit einer höheren Attraktivität und Aufwertung der Fördermitgliedschaft einhergehen.
Aktuell werden 84 Euro im Jahr für eine Fördermitgliedschaft fällig, im Gegenzug gibt es eine Bevorzugung bei der Ticketvergabe und diverse Vergünstigungen. Wie genau sieht die jetzige Nachbesserung aus?
Wir haben eine Struktur, die es in der Bundesliga kein zweites Mal gibt und die vorsieht, dass Fördermitglieder bei einer Mitgliederversammlung kein Stimmrecht haben. Dieses Missverhältnis wollen wir auflösen, damit sich auch Fördermitglieder als vollwertige Mitglieder fühlen und sie mitgestalten können. Wir müssen aber auch insgesamt niedrigschwelliger sein und die gesamte Beantragung einer Mitgliedschaft einfacher gestalten. Dieses Zugehörigkeitsgefühl zu Werder, das viele Menschen zum Ausdruck bringen möchten, muss leichter transportierbar sein.
Es gibt genügend Werder-Fans, die in den vergangenen 30, 40 oder 50 Jahren auch ganz gut ohne Mitgliedschaft gelebt haben. Wie kann man sie dennoch überzeugen, den entscheidenden Schritt zu gehen?
Die Mitgliedschaft im Verein ist die stärkste Form der Zugehörigkeit. Gerade in diesen Zeiten, in denen viele Menschen nach Orientierung suchen, man sich Werder noch enger verbunden fühlt und wir bestimmte Privilegien auch nur Mitgliedern vorbehalten, ist diese Identifikation ein klarer Vorteil für alle Seiten.
Liegt nicht genau im veränderten Ticketverkauf der Schlüssel für den rapiden Zuwachs innerhalb der vergangenen Monate?
Das war sicherlich ein Grund, das lässt sich nicht leugnen. Andererseits verkaufen wir jährlich 27.000 Dauerkarten, von deren Inhabern gerade einmal 6.000 auch Vereinsmitglieder sind.
Bei 27.000 Dauerkarten gehen abzüglich des Gäste-Kontingents rund 11.000 Tickets pro Bundesliga-Spiel in den Handel. Die Kapazitäten sind also begrenzt. Besteht nicht die Gefahr, dass Mitglieder, die nun neu gewonnen werden, schnell wieder abspringen, wenn sie häufiger bei der Kartenvergabe leer ausgehen?
Wenn es die alleinige Motivation einer Mitgliedschaft ist, dann könnte man diese Sorge in Einzelfällen haben. Eigentlich möchten wir aber eine nachhaltige Mitgliedschaft haben, die auf ehrlicher Überzeugung und Dauer angelegt ist. Die verknappte Ressource wird man niemals ganz aushebeln können, aber die realistische Chance zu besitzen, in den Genuss eines Heimspiels zu kommen, ist als Mitglied ungleich größer.
Werder muss also als Marke überzeugen. Wie kann das aussehen?
Wir müssen einerseits attraktiven und erfolgreichen Fußball spielen, andererseits aber auch weiterhin unsere Vielfalt zeigen. Wir dürfen uns nicht nur als reinen Fußballverein begreifen, sondern müssen stets vor Augen führen, dass wir auch im Tischtennis oder Schach erstklassigen Sport bieten. Im Handball sind wir zudem in der 2. Liga aktuell Tabellenführer. Wir haben ein großes Angebot an Breiten-, Senioren- und Rehasport. Das sind Entwicklungen, die alles andere als selbstverständlich sind. Darüber hinaus müssen wir uns weiter unserer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung bewusst sein, Haltung zu bestimmten Themen zeigen.
Wie schwierig ist es, da den richtigen Ton zu finden, damit es nicht aufgesetzt, sondern ehrlich klingt?
Man muss sich im Vorfeld bewusst sein, dass man auch mal aneckt mit Aussagen, die nicht jeder gut findet. Es gibt viele sensible Themen auf der Welt oder auch ganz speziell hier in Bremen, wichtig ist, dass dennoch ein vernünftiger Umgang miteinander vorhanden ist.
Wie ist es eigentlich um die Idee einer eigenen Fan-Abteilung bestellt?
Wir beschäftigen uns weiterhin damit, die Protagonisten haben ihre Ideen im Präsidium vorgestellt. Nun geht es darum, das Thema breiter in die Fanszene hineinzutragen, weil es bislang noch nicht die Wucht hat, die es eigentlich bräuchte. Wir werden mit den Fanclubs in den Austausch gehen, um zu sehen, wie groß überhaupt das Interesse ist und welcher Schub sich daraus entwickeln könnte. Wir haben uns mit vielen Vereinen ausgetauscht, beispielsweise Borussia Dortmund, VfL Osnabrück oder Eintracht Braunschweig, die bereits ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht haben. Die Rückmeldung war immer die gleiche: Ja, es ist aufwendiger und anstrengender, aber alle haben ein sehr positives Bild von einer eigenen Fanabteilung gezeichnet.
Wäre solch eine Sparte der einfache, vielleicht sogar einfachste Weg, um neue Mitglieder zu gewinnen?
Wenn solch ein Schritt eine signifikante Vergrößerung versprechen würde, wäre es argumentativ noch einmal viel leichter, das zu vertreten. Genau das müssen wir jetzt verifizieren.
Ein hoher Mitgliederstand ist auch ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor. Geht es um die finanzielle Gesundheit des Vereins, ist aber auch das Dauerthema Investor nicht fern. Wie weit ist der Verkauf von Anteilen noch entfernt?
Da kann ich im Moment keinen neuen Stand nennen. Als Präsidium haben wir der Geschäftsführung den Auftrag erteilt, dafür Leitplanken definiert und befinden uns stets in Gesprächen.
Das klingt wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen…
Ich möchte das zu diesem Zeitpunkt gar nicht weiter kommentieren, weil es ein Thema mit vielen Aspekten ist. Es gibt Bedenken in der Fanszene, die wir ernst nehmen. Auf der anderen Seite gibt es die klare Erkenntnis, dass wir einen strategischen Partner brauchen, um weiter wettbewerbsfähig zu sein. Aus uns selbst heraus werden wir diese fast 40 Millionen Euro an Verbindlichkeiten nicht erwirtschaften können, um dann auch noch das Unternehmen zu modernisieren oder in den Spielerkader zu investieren.
Seit der letzten Mitgliederversammlung hat sich für Sie persönlich eine Menge verändert. Sie sind zum 1. Januar offiziell aus der Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft des Vereins ausgeschieden, fungieren nun aber als Vorsitzender des Aufsichtsrates. Wo spüren Sie diesen Wechsel am allermeisten?
Ich bekomme die Themen mittlerweile nach dem Prinzip des Zwiebelrings nicht mehr als Erster, sondern in zweiter oder dritter Instanz. Das ist ein gewaltiger Unterschied, den ich für mich persönlich erst einmal verarbeiten musste. Das ist ein Prozess, der mich mehr fordert, als ich gedacht habe. Man muss sehen, dass ich nun eine ganz andere Rolle habe. Ich bin nicht mehr der Kollege aus der Geschäftsführung und operativ tätig, sondern in einem Gremium, das berät und kontrolliert.
Ist kontrollieren nicht viel angenehmer, als operativ zu agieren?
Es ist natürlich nicht ganz so aufwendig, gleichwohl hat man eine bestimmte Verantwortung. Dennoch spricht man jetzt anders miteinander. Es gibt eine persönliche und eine professionelle Ebene, weil man nun in unterschiedlichen Rollen zu Hause ist. Diese Rolle muss man erst neu lernen. Sie müssen sich immer bewusst machen, was gerade aktuell wirklich wichtig für sie ist oder noch gar nicht ihr Thema.
Am 4. Februar steht Werders 125. Geburtstag an. Was hinter dem Verein liegt, ist bekannt. Aber haben Sie eine Idee davon, was auf ihn zukommt? Wo sehen Sie Werder beim nächsten großen Jubiläum in 25 Jahren?
Wir wollen Werder weiterentwickeln, die Aufgaben sind vielfältig. Die Organisation muss sich weiter modernisieren, wir haben eine andere Form der Unternehmensführung etabliert. Es gibt einen strategischen Prozess in der Kapitalgesellschaft und im e.V., wir müssen uns weiter digitalisieren und unsere Infrastruktur verbessern. Des Weiteren wünsche ich mir, dass wir dieses Grundprinzip „Ein Werder“ weiterleben und das Miteinander hochhalten. Wir müssen alle dasselbe Verständnis haben, dass Werder mehr als Männer-Bundesliga im Fußball ist. Und wir wollen ein Faktor in der Region sein, ein Leuchtturm, an dem sich die Menschen orientieren können, weil sie wissen, dass hier seriös und ehrlich gearbeitet wird.
Wie groß wird der Verein dann sein?
Wenn wir über 25 Jahre reden, dann sollten wir die 100.000 bei den Mitgliederzahlen auf jeden Fall geknackt haben.