Reden wir lieber über früher. Oder soll man sich noch aufregen über die immer gleichen Fehler, die eintönigen Erklärungen (oder eher: Ausreden) und die nächsten vier Gegentore, diesmal gegen Gladbach? Über die erneut so fahrlässig hergeschenkte Chance, in der Tabelle noch oben angreifen zu können? Leidenschaftsloser kann man mit der Bremer Sehnsucht nach einer Rückkehr auf die internationale Fußballbühne kaum umgehen, als es die aktuelle Werder-Mannschaft macht.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Der Verdacht liegt nahe, dass zwar noch Werder Bremen auf den Trikots steht, aber nicht mehr genügend Spieler es tragen, die das verkörpern, wofür dieser Verein über Jahre und Jahrzehnte stand: für Leidenschaft, für unbändigen Willen (der zu den berühmten Wundern führte), für fußballerische Klasse, für verschworenen Teamgeist, für Identifikation mit der grün-weißen Seele.
Reden wir also lieber über früher. Als Werder den größten internationalen Erfolg feiern durfte, den Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1992, da wurde das Bremer Trikot von Spielern getragen, die Legenden-Status erlangten. Zum Beispiel der Torschütze zum 2:0 im Finale gegen Monaco, Wynton Rufer. Wenn man heute unter Werder-Fans über Rufer spricht, dann leuchten die Augen. Jeder verbindet Momente und Anekdoten mit dem „Kiwi“, wie der Neuseeländer in Bremen genannt wurde.
Kiwi Rufer in der Provinz
Rufer ist heute 62 Jahre alt, seine Heldentaten in Bremen sind mehr als 30 Jahre her. Aber Spieler wie er schafften es, nicht nur Fußball zu spielen, sondern Herzen zu erobern. Deshalb ist er heute noch beliebt – und präsent. In zwei Wochen kann man das wieder erleben, dann kommt Wynton Rufer, der in Neuseeland eine Fußballschule betreibt, wieder nach Norddeutschland: Für ein Fußballcamp mit Kindern reist er in die Samtgemeinde Tarmstedt. „Wynton Rufer hier bei uns“, diese fünf Worte reichten auf den Ankündigungsplakaten. An drei Tagen wird er präsent sein: am Freitag, 4. April, als Aktiver bei einem S-50-Spiel. Samstags und sonntags als Trainer im Kiwi-Fußballcamp. Und am Sonntag im Gottesdienst in Kirchtimke. Kann man näher bei den Leuten sein?
Das Kuriose dabei: Um im Seniorenspiel mitwirken zu können, musste Rufer in den dortigen FC Ummel eintreten, einen Kreisklassenverein. Der SV Werder erteilte die Freigabe für den Wechsel, vom Bremer Fußballverband ging das Okay rüber nach Niedersachsen, und jetzt hat die Werder-Legende dort einen Spielerpass. Wynton Rufer, Ozeaniens Fußballer des Jahrhunderts, bei den Amateuren und Werder-Fans in der Provinz – das sagt viel aus über seine Bodenständigkeit, seine Leidenschaft und sein Herz für die Leute. Er lässt nicht raushängen, dass er in 174 Spielen für Werder fast 60 Tore geschossen hat, davon allein 20 Tore im Europapokal. Und das auf höchstem Niveau: 1994 war er mit dem Niederländer Ronald Koemann mit je acht Treffern Torschützenkönig der Champions League – als Stürmer von Bremen, nicht etwa von Madrid, Barcelona oder Manchester.
Über die Qualität der damaligen Werder-Spieler sagte Torhüter Oliver Reck einmal: „Die Mannschaft hat viele Dinge ohne den Trainer Otto Rehhagel geregelt, auf dem Feld, in der Kabine und außerhalb. Otto wusste, dass er sich auf uns Spieler verlassen konnte.“ Heute scheint es anders zu sein, im Fußball allgemein, und besonders auffällig in Bremen: In vielen Spielen wirkt es, als müsse Trainer Ole Werner alles regeln und vorgeben, und als könne er sich auf niemanden mehr verlassen.
Werder war der Verein der besonderen Spieler. Einer von ihnen, Diego, wird am Wochenende groß verabschiedet. Es wird die grün-weiße Anbetung der schönen alten Zeit. Ob offensive Mittelfeldspieler (Diego, Micoud, Herzog, Özil, Basler und viele andere), Stürmer (Pizarro, Ailton, Klose, Völler, Neubarth, Riedle, Rufer und sehr viele andere). Ob defensive Spieler (Borowka, Eilts, Bratseth, Frings, Höttges, Borowski, Baumann, Fritz, Naldo, Otten, Schaaf, Mertesacker und sehr, sehr viele andere) oder natürlich Torhüter (Burdenski, Bernard, Reck, Wiese, Rost und weitere) – Werder stand für Typen, für Könner, für Leute, die dem Verein Erfolge und Sympathien bescherten.
Es ist schwer zu sagen, wie und wann das verloren ging. Nach den Champions-League-Jahren? Nach den Umbrüchen in der Vereinsführung? Durch die Trainerwechsel? Für viele der heutigen Werder-Spieler gilt, was vom Fachmagazin Kicker mal hart, aber treffend so formuliert wurde: Im Endeffekt macht es keinen Unterschied, wer spielt – weil alle gleich schwach sind.
Was man braucht, um eine Werder-Legende zu werden? Jedenfalls kein tolles Auto und keine teuren Klamotten. Man braucht: Identifikation, Leidenschaft, Leistungsbereitschaft, vielleicht Titel und trotz alledem ein sympathisches Auftreten. Leute wie Wynton Rufer hatten das alles und sind deshalb auch Jahrzehnte nach ihrem letzten Spiel noch so beliebt bei den Menschen.