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Werder-Kolumne Mehr Schein als Sein hinter Füllkrug und Ducksch

Die Zeiten sind lange vorbei, als sich halb Europa um Spieler von Werder Bremen gerissen hat. Auch die jetzige Mannschaft hält dem Vergleich mit anderen deutschen Teams kaum stand, meint Jean-Julien Beer.
26.06.2023, 18:01 Uhr
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Mehr Schein als Sein hinter Füllkrug und Ducksch
Von Jean-Julien Beer

Man kann es mit jungen Eltern vergleichen. Die finden ihre kleinen Kinder richtig toll. Die ersten Schritte, die ersten Worte, die ersten gemalten Buchstaben – das macht Laune. Doch irgendwann kommt für jedes Kind die Schule, und damit beginnt der Quervergleich: Die anderen Kinder können nämlich auch was, manche mehr, andere weniger. Die Eltern müssen es aushalten, wenn andere Kinder von den Lehrern besser eingeschätzt werden.

Im Profifußball ist das ähnlich. Je mehr Fans ein Verein hat, desto mehr Menschen himmeln die Spieler an. Auch die Macher in den Vereinen werden schnell dazu verleitet, ihre Spieler besonders gut zu finden. Aber dann gibt es auch hier den Quervergleich mit den Profis anderer Klubs: durch das Ranking in der Tabelle – und nach jedem Halbjahr auch durch die Rangliste des deutschen Fußballs, veröffentlicht vom Fachmagazin Kicker.

In der neuen Rangliste bekam Werder nun die Quittung für ein schwaches Halbjahr zwischen Januar und Juni. Nur zwei Spieler des Kaders wurden aufgelistet, nämlich die Stürmer Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch. Füllkrug landete als drittbester Stürmer der Bundesliga hinter Randal Kolo Muani (Frankfurt) und Christopher Nkunku (Leipzig). Füllkrug führt damit die Kategorie „Nationale Klasse“ an, in der auch Ducksch – etwas weiter hinten – rangiert.

Diese Rangliste ist keine neuzeitliche Spielerei, sondern eine Institution. Seit Januar 1956 erscheint sie regelmäßig und bildet das aktuelle Leistungsniveau der Spieler ab. Bei den ersten Ranglisten, die kurz nach dem „Wunder von Bern“ erschienen, ging es noch darum, die Leistungen der 54er-Weltmeister und potenzieller Nationalspieler vergleichen zu können, die übers ganze Land in verschiedenen Oberligen verstreut waren. Seit Bestehen der Bundesliga 1963 werden in den Ranglisten die besten Spieler der deutschen Vereine gelistet.

So lange Werder erfolgreich spielte, waren auch Bremer Profis in den vorderen Kategorien vertreten. Schon seit mehr als zehn Jahren ist das anders. Immer wieder sorgten Spieler des SV Werder bei den Konferenzen der Fachredakteure seither für hitzige Diskussionen, weil diese Fußballer in ihrer Heimatregion an der Weser und in ihrem Verein sehr viel besser eingeschätzt wurden, als es der bundesweite Vergleich mit anderen Spielern auf der gleichen Position letztlich hergab. Diese Vergleiche sind eine Wissenschaft für sich: Die über 50 Kicker-Reporter aus dem ganzen Land debattieren zwei Tage anhand einer riesigen Datenmenge, auch persönliche Eindrücke fließen ein. Dabei geht es nie um das Potenzial oder Talent eines Spielers, sondern nur um die Leistungen, die in den zurückliegenden sechs Monaten in den Stadien gezeigt wurden.

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Anders als in der guten Hinrunde spielte Werder zuletzt konstant auf dem Level eines Absteigers: Platz 17 in der Rückrundentabelle war die erste Quittung, die zweite folgte nun in der Rangliste. Neun Torhüter wurden nominiert – Jiri Pavlenka mal wieder nicht. 19 Innenverteidiger sind dabei – aus Bremen keiner. Das gilt auch für die Positionen defensive Außenbahn, defensives Mittelfeld, offensives Mittelfeld und offensive Außenbahn – nirgends schaffte es ein Werder-Profi wenigstens in die untere Kategorie. Nur im Sturm waren Füllkrug und Ducksch auf gutem Niveau konkurrenzfähig.

Eine so schlechte Einstufung der Werder-Profis gab es auch in den Jahren des Abstiegskampfes häufiger. Spieler wie Ludwig Augustinsson oder Milot Rashica wurden in Bremen und in der Werder-Blase arg überhöht, dem Vergleich mit anderen Spielern der Bundesliga auf ihrer Position hielten sie selten stand. Das zeigte sich auch in den Transferperioden, als die großen Angebote ausblieben. Beide Spieler machten nach ihrer Bremer Zeit nicht die geglaubte Karriere.

Auch jetzt hat Werder Mühe, die notwendigen Transfererlöse zu erzielen. Füllkrug und Ducksch haben auf sich aufmerksam gemacht – aber hinter ihnen war zuletzt mehr Schein als Sein im Werder-Team, vom Tor über die Abwehr bis ins Mittelfeld. Deshalb ist es so schwierig, diese Spieler zu verkaufen. Nichts anderes sagt auch die Rangliste aus. Übrigens: Früher riefen Spieler noch selbst beim Kicker an, wenn sie sich zu schlecht eingestuft wähnten. Sie hatten dafür den nötigen Arsch in der Hose. Bei der heutigen Generation erledigen das die Spielerberater. Schwach spielen können die heutigen Profis noch selbst – mit ihren Kritikern zu diskutieren, das fällt ihnen viel schwerer.

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