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Werder-Kolumne Für den Rathausbalkon könnte es an Helden fehlen

Die Niederlage gegen Kiel hat Werders Ist-Zustand schonungslos offengelegt. Kritik am Trainer wäre aber irreführend, meint Jean-Julien Beer. Es ist wohl eher so: Dank Ole Werner kann Werder noch aufsteigen.
02.05.2022, 18:23 Uhr
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Für den Rathausbalkon könnte es an Helden fehlen
Von Jean-Julien Beer

Hobbygärtner kennen das: Wenn man den Balkon im April zu früh schmückt, kann das böse enden. Die grün-weiße Balkon-Euphorie in Bremen bekam ihren Dämpfer am letzten Aprilwochenende, als Werder trotz einer 2:0-Führung im vollen Weserstadion mit 2:3 gegen Kiel verlor. Man konnte im Stadion spüren, wie Werder das Spiel aus den Händen glitt, trotz unfassbar vieler Torchancen, die locker für einen hohen Bremer Sieg gereicht hätten. Man wird es nie beweisen können, aber der Verdacht liegt nahe: Mit Ömer Toprak und Christian Groß in der Defensive hätte sich Werder von diesem durchschnittlichen Gegner nicht so überspielen lassen. Es fehlte an Kommunikation, Erfahrung und Cleverness.

Diese Schockstarre auf den Rängen, das ungläubige Verharren der Zuschauer – das erinnerte stark an den Abstiegskampf. Auch da passten Erwartungshaltung und Kulisse oft nicht zu dem, was auf dem Rasen gespielt wurde. Wenn man ehrlich ist, spiegelte dieser Spieltag, vielleicht sogar die komplette Woche vor dieser Niederlage gegen Kiel, den wahren Gemütszustand rund um die Grün-Weißen wider.

Im fußballbegeisterten Bremen geriet die Begeisterung mancherorts fast schon außer Kontrolle. Man konnte den Eindruck gewinnen, es gehe nur noch um die Frage, wann am Rathausbalkon gefeiert wird – und nicht mehr um das lästige Detail, ob der Aufstieg überhaupt gelingt. Von der berühmten norddeutschen Zurückhaltung war wenig zu spüren. Auf dem Rasen aber – und das war schon im verlorenen Abstiegskampf zu bestaunen und in den jüngsten Zweitligawochen nicht anders –  stecken in den Trikots keine Könner mehr wie in früheren Jahrzehnten, keine für einen Rathausbalkon prädestiniertem Spielerpersönlichkeiten, die alle Herausforderungen glänzend zu regeln wüssten. Fußballerisch ist bei Werder heute alles viele Nummern kleiner. Das ist auch der Grund, warum die Mannschaft selbst in der zweiten Liga nur eines der jüngsten fünf Spiele gewonnen hat. Dieser eine Sieg, spektakulär mit 4:1 auf Schalke, fühlte sich wie der Aufstieg an – aber Erstklassigkeit resultiert nicht aus Gefühlen, sondern nur aus erspielten Punkten.

Sicher: Es waren tolle Bilder in Grün und Weiß, wie tausende Fans den Mannschaftsbus vor dem Spiel am Stadion empfingen. Das war überwältigend, aber wie schon im Abstiegskampf ist derlei offenbar zu viel für die heutigen Spieler. Es scheint eher wie zusätzlicher Druck zu wirken, aber nicht beflügelnd. Auch das ist ein Bild, das Werder heute abgibt: Die tolle Kulisse ist noch da, auch die Begeisterung in der Region – aber es mangelt schon länger an einer genauso tollen Mannschaft.

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Deshalb sollte man eher nicht auf die Idee kommen, Ole Werner nun die Schuld an dieser Situation zu geben. Es ist wohl eher so, dass Werder vor allem dank dieses Trainers heute noch Chancen auf den Aufstieg hat. Werner übernahm die Mannschaft im dunkelsten Mittelfeld und führte sie an die Sonne, er baute die Teile neu zusammen. Erst bei ihm stürmten Ducksch und Füllkrug immer zusammen, erst bei ihm gab es keine Viererkette mehr in der Abwehr.  Er setzte auf zwei kreative Spielmacher hinter den Spitzen statt ständig irgendwelche Außenstürmer zu suchen, die es im Kader gar nicht gibt.

Dadurch holte er Punkte, die am Ende knapp zum Aufstieg reichen könnten. Damit würde der Verein mit dem teuersten Kader und der meisten Bundesligaerfahrung in dieser Liga seiner Favoritenstellung gerecht werden, mehr nicht. Dass die Mannschaft nach 32 Spieltagen noch nicht aufgestiegen ist, darf jeden Werder-Anhänger nachdenklich stimmen. Diese Skepsis gegenüber dem kickenden Personal schwingt bei vielen Diskussionen ja auch mit, wenn es um den Rathausbalkon geht: Warum sollte diesen Spielern eine solche Ehre zu Teil werden, wo sie doch sehr viel weniger geleistet haben als frühere Werder-Generationen? Vielleicht sollte man es anders aufziehen: Ein Fanfest wäre doch schön, damit die Leute ihren Bremer Aufstieg feiern können. Ein Fest für die Fans, die immer erstklassig waren. Mit einer Bühne, auf der die Mannschaft mitfeiern könnte. Für eine Heldenverehrung auf dem Rathausbalkon bräuchte es halt auch Helden – ob die bei Werder gerade wirklich zu finden sind, ist nicht erst seit Kiel eine ziemlich gute Frage.

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